08.07.2013 18:03:32

ROUNDUP: Spähvorwürfe belasten Freihandelsgespräche von USA und EU

    WASHINGTON/BERLIN (dpa-AFX) - Überschattet von Spähvorwürfen gegen den US-Geheimdienst NSA haben in Washington die Verhandlungen über eine gemeinsame Freihandelszone zwischen der EU und den USA begonnen. Das bestätigte ein Sprecher des US-Handelsbeauftragten der dpa in der US-Hauptstadt am Montag. Einzelheiten wurden zunächst nicht bekannt. Es heißt, zunächst gehe es lediglich um Verfahrensfragen. Insgesamt dürften die Gespräche über die weltweit größte Freihandelszone, die 800 Millionen Bürger umfassen soll, weit über ein Jahr dauern.

    Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hob in Berlin die wirtschaftliche Bedeutung der Freihandelszone hervor, verlangte aber erneut Aufklärung der Amerikaner "zu Fragen des Datenschutzes". Die Opposition forderte die Bundesregierung auf, über die Zusammenarbeit zwischen dem amerikanischen und dem deutschen Geheimdienst Klarheit zu schaffen. Angesichts der Spionageaffäre hatte es zuletzt europaweit auch Forderungen gegeben, die Handelsgespräche vorerst nicht zu beginnen.

    Die NSA soll EU-Vertretungen ausgespäht und in großem Stil auch in Deutschland Kommunikation per E-Mail und Telefon überwacht haben. Auch Wochen nach den ersten Enthüllungen, die auf den Ex-NSA-Mitarbeiter Edward Snowden zurückgehen, wartet die Bundesregierung auf Antworten aus Washington. In den nächsten Tagen sind Spitzenbeamte von Regierung und Nachrichtendiensten sowie Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) zu Gesprächen in der US-Hauptstadt. Der "Spiegel" hatte am Wochenende berichtet, dass die Zusammenarbeit zwischen NSA und dem BND intensiver sei als bislang bekannt.

    Die geplante Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) soll durch den Abbau von Handelshemmnissen Wachstum in der EU und den USA ankurbeln und Hunderttausende neue Arbeitsplätze schaffen. Beide Seiten hatten das Vorhaben erst vor drei Wochen beim G8-Gipfel in Nordirland offiziell angekündigt. Nach Meinung von Experten könnten bis zu zwei Millionen zusätzlicher Jobs entstehen. Am Mittwoch wollen die Verhandlungspartner erstmals vor die Presse treten.

    Zwar gibt es bereits heute eher geringe Zölle zwischen den USA und der EU, doch unterschiedliche technische Normen, Sicherheitsstandards oder Wettbewerbsvorschriften erschweren den Handel. Zudem stehen die beiden Handelsblöcke USA und EU in Konkurrenz mit aufstrebenden Ländern wie China, Indien und Brasilien. Es wird erwartet, dass die echten Knackpunkte der geplanten Freihandelszone frühestens im Herbst zur Debatte stehen. Als schwierig gilt unter anderem, dass sich Frankreich mit der Forderung durchsetzte, Film, Musik und andere Medien aus den Gesprächen zunächst auszuschließen.

    "Dass heute die Verhandlungen dazu in Washington beginnen, parallel im Übrigen auch mit Diskussionen zu Fragen des Datenschutzes - diese Frage hat in Deutschland auch eine sehr, sehr hohe Bedeutung - das ist ein gutes Zeichen", sagte Merkel bei einem Firmenbesuch in Berlin. "Das Abkommen liegt im Interesse Europas und im besonderen Sinne Deutschlands", sagte Bundeswirtschaftsminister und FDP-Chef Philipp Rösler der "Passauer Neuen Presse" (Montag).

    EU-Handelskommissar Karl De Gucht äußerte sich zum Gesprächsauftakt überzeugt, "dass dies im Ergebnis zu mehr Jobs, mehr Wachstum führen wird und uns aus der wirtschaftlichen Krise helfen kann". Eine Einigung "wäre eine sehr, sehr gute Botschaft an die gesamte Weltwirtschaft".

    Mit Blick auf die Ausspähvorwürfe sagte Regierungssprecher Steffen Seibert: "Wir sind jetzt im Prozess der Sachaufklärung." Er dämpfte aber zugleich die Erwartungen an schnelle Ergebnisse: "Wir werden vielleicht mehrere Gespräche dafür brauchen."

    FDP-Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger trat für nachhaltige Aufklärung ein. "Mit den Enthüllungen eines einzelnen Whistleblowers ist die Gefahr verbunden, das Vertrauen in die unbefangene digitale Kommunikation und in die parlamentarische und gerichtliche Kontrolle und damit in unseren Rechtsstaat zu untergraben - wenn sie unbeantwortet bleiben", schrieb sie in einem Beitrag für die "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (Dienstag).

    SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück sieht vor allem die Kanzlerin in der Pflicht. "Angesichts neuer Medienberichte stellt sich noch drängender als bislang die Frage, was die deutschen Nachrichtendienste, vor allem aber was das Bundeskanzleramt von den Abhöraktivitäten gewusst hat." Sollte sich herausstellen, dass deutsche Nachrichtendienste durch ihre Zusammenarbeit mit ausländischen Diensten deutsches Recht umgangen hätten, sei er gespannt, wie Merkel diesen Verfassungsbruch rechtfertigen wolle.

    Linke-Bundesgeschäftsführer Matthias Höhn sieht ebenfalls immer mehr Ungereimtheiten bei dem Zusammenwirken der Geheimdienste. "Diese Zweifel muss Frau Merkel, muss Herr Friedrich endgültig ausräumen. Und zwar jetzt!"

    Der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Ulrich Grillo, warnte vor einem Überfrachten der Verhandlungen. "Wir sollten ein Datenschutzabkommen mit den USA davon getrennt verhandeln", sagte er der "Rheinischen Post" (Dienstag)./jac/kmu/pm/DP/jkr

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