24.09.2013 20:20:58
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Rheinische Post: Die SPD - so mächtig waren Verlierer nie = Von Michael Bröcker
Düsseldorf (ots) - Politik paradox. Die SPD hat am vergangenen
Sonntag das zweitschlechteste Ergebnis in der Geschichte der
Bundesrepublik eingefahren. Und das, ohne eine Agenda 2010 oder
ähnliche schmerzvolle Reformen durchgeführt zu haben. Die SPD konnte
sich in der Opposition von umstrittenen Beschlüssen befreien und
gegen eine bisweilen stümperhaft agierende Koalitionsregierung
argumentieren. Im Jahr ihres 150. Parteijubiläums reicht es dann
trotzdem nur für 25 Prozent? Ein mittelschweres Desaster. Der
angeblich so wirkungsvolle Haustür-Wahlkampf? Fehlanzeige. Der
angeblich so grandiose Schlussspurt? Verpufft. Und was macht die
SPD-Spitze? Sie lässt sich umjubeln als hätte sie gerade die absolute
Mehrheit geholt. In der Bundestagsfraktion gab es gestern stehende
Ovationen für Peer Steinbrück. So viel Realitätsverweigerung war
selten in der Politik. Während in anderen Parteien die Rücktritte im
Stundentakt erfolgen, setzt bei der SPD nicht einmal eine kritische
Analyse des Wahlergebnisses ein. Dabei wäre es doch interessant zu
erfahren, ob man sich in wirtschaftlich guten Zeiten als Volkspartei
auf die Ränder der Gesellschaft konzentrieren und dabei die Mitte
außer Acht lassen sollte. Wo ist die optimistische Fortschritts-SPD,
die Partei der Bildungschancen und des Aufstiegsversprechens
geblieben? Lieber wurde das Zerrbild einer Armutsrepublik gezeichnet
und einem Kandidaten ein Programm aufgedrückt, dass der vor vier
Jahren noch lachend in die Ecke geworfen hätte. Und doch ist die SPD
derzeit die mächtigste politischste Kraft. Weil Bundeskanzlerin
Angela Merkel und ihre Union so dringend einen Partner brauchen und
die Grünen es nach einem ehrlichen Blick auf das Programm eigentlich
kaum sein können, hat die SPD fast unbegrenzte Verhandlungsmacht für
die große Koalition. Ein gesetzlicher Mindestlohn, ein höherer
Spitzensteuersatz, höhere Sozialversicherungsbeiträge, neue
Milliarden für Rente, Pflege und Kitas. Die Deutschen mögen Angela
Merkel gewählt haben, am Ende werden sie ziemlich viel Sigmar Gabriel
bekommen. Zugleich pochen die Sozialdemokraten auf Kernressorts, etwa
das Finanz- oder das Arbeitsministerium. So könnte die als
Generalsekretärin gescheiterte Andrea Nahles bald als Ministerin
einen 120-Milliarden-Euro-Etat verantworten. Politik paradox? Nur
bedingt. Wer keine Mehrheit hat, muss sie sich eben suchen. Zu
wünschen wäre diesem Land aber, dass die Sozialdemokraten bald die
Taktik beiseitelegen und an den Verhandlungstisch gehen. Deutschland
braucht ein anspruchsvolles, mutiges politisches Programm für die
kommenden vier Jahre.
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