21.05.2021 19:30:38
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OTS: Börsen-Zeitung / Wachstumsängste voraus, Marktkommentar von Kai Johannsen
Wachstumsängste voraus, Marktkommentar von Kai Johannsen
Frankfurt (ots) - Dass die Kapitalmärkte bzw. deren Akteure gern eine Karte
spielen und dieses Thema dann gleich richtungsweisend ist und deutliche Spuren
in den Kursen hinterlässt, ist bekannt. Dass die Märkte dann auch genauso
schnell einen Schwenk vollziehen können und eine andere Karte spielen, die
thematisch komplett konträr zur ersten Karte sein kann, ist auch ein bekanntes
Phänomen, das so alt ist wie die Märkte selbst.
Zurzeit spielen Märkte die Inflationskarte. In Erwartung einer wirtschaftlichen
Erholung nach der Covid-19-Pandemie rechnen viele mit einem stärkeren
Teuerungsdruck, der dann auf längere Sicht die Zentralbanken auf den Plan rufen
sollte: Eine restriktivere Gangart in der Geldpolitik wäre ein schlechtes
Vorzeichen für die Aktien, die von der jahrelangen Zufuhr billigen
Notenbankgeldes profitierten und einen Gipfelsturm erlebten. Bondrenditen würden
weiter steigen, sie nehmen das künftig höhere Renditeniveau vorweg. Die
zehnjährige Bundrendite rangiert bereits in der Nähe ihre Zweijahreshochs. Und
auch in anderen europäischen Ländern ziehen die Renditen der Staatsanleihen an.
Den Experten von Candriam zufolge, dem europäischen Assetmanager von New York
Life Investment Management, könnte sich der Teuerungsdruck kurzfristig weiter
entfalten. Aufgrund der Wiedereröffnung der Wirtschaft sehen die
Investmentmanager höhere Rohstoffpreise, steigende Frachtkosten, Engpässe in
einigen Branchen - insbesondere bei Halbleitern -, leere Lager, aber auch
Preissteigerungen im Dienstleistungssektor. Alle diese Faktoren würden die
Teuerung antreiben. Sowohl die Erzeugerpreise als auch die Verbraucherpreise
seien im April in vielen Ländern merklich gestiegen. Der Inflationsdruck könnte
noch anhalten. Diese Phase geht laut Candriam wohl in ein paar Monaten zu Ende,
da das Angebot sich dann an die Wiedereröffnung angepasst hat und die
Lagerbestände wieder aufgebaut sind. Aufgrund der starken Störungen in globalen
Lieferketten könnte dies jedoch nach Ansicht der Experten etwas länger dauern,
als manche erwarten. Die meisten Zentralbanken würden sich Zeit lassen, bis sie
die expansive Geldpolitik wieder straffen würden. Auch die Währungshüter seien
der Ansicht, dass die Preise nur zeitweilig aufflammen, da die Aktivität derzeit
an Fahrt gewinne. Die meisten Volkswirtschaften seien noch weit von der
Vollbeschäftigung entfernt. Trotz der Konjunkturerholung fehlten in den USA im
April 2021 rund 10 Millionen Arbeitsplätze. Im Euroraum liege die
Beschäftigungsquote immer noch weit unter dem Niveau vor der Krise. Die Experten
erwarten keine vorzeitige geldpolitische Straffung.
Und bald kommt wahrscheinlich die zweite Karte an den Märkten ins Spiel, und die
hat eine gänzlich andere Farbe. Viele inflationssteigernde Effekte wie etwa
Nachholeffekte im Tourismus dürften einmaliger Natur sein und eben nicht
dauerhaft. Die Notenbanken dürften froh darüber sein, wenn sich die
Preissteigerungsrate endlich mal wieder in Richtung des lange nicht gesehenen
Zielwertes bewegen wird. Da wird so mancher Zentralbank-Chef bzw. -Chefin gern
ein wenig warten wollen und nicht gleich über Zinssteigerungen die begonnene
Erholung wieder abwürgen wollen. Überdies muss sich erst herausstellen, wie
nachhaltig das Wachstum aufgrund von Konsum und Investitionsausgabensteigerung
ausfallen wird. Die Verunsicherung ist hoch, und viele Wirtschaftssubjekte
könnten mit ihren Ausgaben noch sehr zögerlich umgehen. Das Wachstum würde damit
nicht so stark ausfallen. wie das heute mancher erwartet oder besser gesagt,
sich erhofft. So gehen viele Experten denn auch davon aus, dass die
Inflationsraten bereits 2022 wieder unter das Niveau fallen, das in diesem Jahr
in vielen Ländern erreicht wird. Aus der Inflationssorge könnte somit schnell
die Wachstumsbefürchtung werden, wenn sich abzeichnet, dass die Erholung
aufgrund der Einmaleffekte wieder abbricht. Da reicht es an den Märkten aus,
dass die eine oder andere Makrozahl enttäuscht. Und diese Enttäuschung könnte
über Insolvenzen Realität werden.
In vielen Ländern sind Termine für Insolvenzanmeldungen verschoben und Firmen
mit Hilfsgeldern am Leben erhalten worden, was den Lockdowns geschuldet war und
ist. Doch nun sieht man, dass die Default Rates ansteigen. Wegfallende Firmen
können erhebliche Nachfrageausfälle bei Investitionsgütern, freigesetzte
Arbeitnehmer und dadurch wiederum Konsumrückgänge nach sich ziehen. Die Karte
Wachstumssorge sticht sehr wahrscheinlich die Karte Inflationsangst - zumal die
Zentralbanken letztere sehr schnell aus dem Spiel befördern können.
Pressekontakt:
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