12.07.2022 20:29:38
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Vertrauensverlust, Kommentar zum Euro von Christopher Kalbhenn
Frankfurt (ots) - Am späten Dienstagvormittag war es so weit: Das
Refinitiv-Terminal zeigte einen Tiefstkurs des Euro von 1,0001 Dollar sowie
einen Geldkurs (von Kaufwilligen gebotener Kurs) von 0,9999 Dollar an. Damit hat
die Gemeinschaftswährung erstmals seit rund 20 Jahren die Parität zum Greenback
erreicht. Im Vergleich zu seinem Jahreshoch vom 12. Februar hat der Euro
mittlerweile 13 Prozent an Wert verloren und das Ende der Fahnenstange ist wohl
noch nicht erreicht. Denn angesichts der starken Kräfte, die derzeit auf die
Währung einwirken, bräuchte es jedenfalls viel Fantasie, um sich vorzustellen,
dass die Währung nun an der 1-Dollar-Marke abprallt und eine starke
Gegenbewegung einlegt.
Zu nennen ist nicht zuletzt die markante transatlantische Differenz in puncto
Geldpolitik und Zinsen. Das Protokoll der jüngsten Fed-Sitzung und der über
Erwarten robuste US-Stellenaufbau vom Juni haben aus Sicht des Marktes fast zur
Gewissheit werden lassen, dass die amerikanische Zentralbank auf ihrer nächsten
Sitzung erneut eine große Leitzinserhöhung um 75 Basispunkte (BP) beschließen
wird, während von der EZB im Juli eine erste Anhebung um lediglich 25 BP
erwartet wird.
Generell wird der Dollar wie während früherer Krisen von der sehr hohen
Risikoaversion getrieben, auch gegenüber anderen Valuten als dem Euro zieht er
an. Die europäische Währung ist zuletzt jedoch überdurchschnittlich stark unter
Druck geraten, weil der Markt erhebliches weiteres Abwärtspotenzial vermutet.
Hintergrund ist die Befürchtung, dass Russland die Gaszufuhr ganz einstellen
könnte, was den Euroraum in eine schwere Wirtschaftskrise zu stürzen droht. Die
Société Générale hat den Euro kürzlich sogar "unbuyable", also unkaufbar,
genannt, was an den chinesischen Aktienmarkt erinnert - der wegen der
Regulierungskampagne gegen Internet-Unternehmen als "uninvestable" bezeichnet
wurde - und einen deutlichen Vertrauensverlust zeigt.
Was könnte die Talfahrt des Euro beenden oder abbremsen? Zunächst einmal die
Wiederaufnahme der Gaslieferungen über die Pipeline Nord Stream 1 nach Abschluss
ihrer Wartung. Noch wichtiger wäre ein deutliches Signal der EZB, die auch ein
Interesse daran haben müsste, der inflationären Wirkung einer weiteren Abwertung
des Euro etwas entgegenzusetzen. Würde sie auf ihrer kommenden Sitzung über
ihren Schatten springen und nicht kleckern, sondern eine Zinserhöhung um 50 BP
beschließen, könnte dies den Vertrauensverlust des Marktes in den Euro stoppen.
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