07.05.2020 19:55:41
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Toilettenpapier 2.0 / Kommentar von Michael Flämig zu den
Konjunkturfolgen unternehmerischer Hamsterkäufe
Frankfurt (ots) - Ein L, U, V oder W? Dieser Buchstabensalat veranschaulicht die
Billion-Dollar-Frage für Kapitalmarktinvestoren und Unternehmen. Denn ob sich
die Konjunktur in Europa und Amerika nach der Pandemie-Vollbremsung gar nicht,
langsam, schnell oder stotternd erholt, entscheidet über Wohl und Wehe jeder
Investition. Wer falsch liegt, verbrennt viel Geld.
Bald wird ein weiteres Konjunkturphänomen zu beobachten sein, das sich mit dem
"Fachbegriff" Toilettenpapier 2.0 fassen lässt. Den Anblick kennt fast jeder. Zu
Beginn der Pandemie herrschte Leere dort, wo sich zuvor das Toilettenpapier
stapelte. Weltweit räumten die Bürger die Regale. Die Logik der Aktion: Das
Risiko ausschalten, dass der Supermarkt in der nächsten Woche nicht mehr liefern
kann.
Derartige Hamsterkäufe wurden in der Vergangenheit je nach Naturell belächelt
oder verurteilt. Mittlerweile sind die Vorräte in den Läden wieder aufgefüllt.
Doch das Phänomen wird zurückkommen - unauffälliger für die Allgemeinheit, aber
ungleich bedeutsamer für die Konjunktur. Denn jedes Unternehmen muss künftig das
Risiko minimieren, ohne Vorprodukte für seine Fertigung dazustehen.
Welche Folgen dies hat? Konsens herrscht über die mittelfristigen Auswirkungen.
Firmen werden Lieferketten verkürzen, um die Kontrolle zu erhöhen. Derlei
Strukturänderungen benötigen jedoch Zeit. Kurzfristig greifen die Manager daher
in den nächsten Monaten, sobald Produktion und Absatz Fahrt aufnehmen, zu einem
anderen Mittel: Hamsterkäufen.
Das ökonomische Motiv: Die Kosten der Lagerhaltung sind viel geringer, als
aufgrund eines fehlenden Vorprodukts die eigene Produktion zu stoppen. Denn das
Risiko des Stillstands bleibt bis zur Entdeckung eines Impfstoffs hoch. Bereits
ein regionales Aufflammen der Infektion reicht aus, dass Lieferanten ausfallen.
Wenn eine zweite Welle anrollt, wird die Gefahr erst richtig virulent.
Das Beispiel China zeigt, dass Hamsterkäufe keine theoretische Annahme sind. Der
Lichtspezialist Osram beispielsweise erlebt, dass Kunden jene Produktmengen, die
sie ansonsten über ein Jahr verteilt anfordern, auf einen Schlag kaufen wollen.
Nun kann es sich nicht jeder leisten, sein Lager zu füllen und das Working
Capital in die Höhe zu treiben. Außerdem ist Vorratshaltung in extenso nicht in
allen Branchen möglich, zudem folgen Konsumenten nicht dieser Logik. Trotzdem
wird der Effekt beträchtlich sein. Er geht über ein Strohfeuer hinaus, weil die
Lager längerfristig gefüllt bleiben müssen. Dies unterstützt eine schnellere
Erholung der Konjunktur in Form eines "V".
(Börsen-Zeitung, 08.05.2020)
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