07.04.2022 19:24:38

OTS: Börsen-Zeitung / Schubumkehr, Kommentar zur Geldpolitik von Stefan Reccius

Schubumkehr, Kommentar zur Geldpolitik von Stefan Reccius

Frankfurt (ots) - Die gerade veröffentlichten Sitzungsprotokolle von

US-Notenbank Fed und Europäischer Zentralbank (EZB) bestätigen es: Die nicht

enden wollenden Inflationsschocks haben die Währungshüter diesseits wie jenseits

des Atlantiks aufgeschreckt. Zu lange schlafwandelten sie, statt mit der

gebotenen Dringlichkeit auf die sich aufbauenden Preisschübe zu reagieren.

Glücklicherweise ist inzwischen unverkennbar, dass ein Sinneswandel eingesetzt

hat. Der ist auf Seiten der Fed wesentlich ausgeprägter als bei der EZB. Dafür

gibt es fundamentale Gründe. Insofern besteht (noch) kein Grund für Panik im

EZB-Tower. Trotzdem muss die EZB die richtigen Schlüsse aus dem Zaudern der Fed

ziehen - solange sie noch kann.

In den USA hat das Lohnwachstum längst beunruhigende Dimensionen angenommen.

Dass diese Dynamik abbricht, ist nicht absehbar: Es herrscht quasi

Vollbeschäftigung. Der Krieg in der Ukraine trifft die amerikanische Wirtschaft

in deutlich geringerem Ausmaß als die europäische. Eine Rezession droht

allenfalls, wenn die Fed überzieht.

Anders die Lage im Euroraum. Hinweise auf eine Lohn-Preis-Spirale gibt es hier

bislang kaum, Anzeichen einer Stagflation - einer Kombination aus schwachem

Wachstum und hohen Teuerungsraten - hingegen sehr wohl. Ans Eingemachte geht es

in einigen Monaten, wenn große Lohnrunden anstehen. Bis dahin dürfte die

Inflationsrate kaum unter 7 % sinken. Das wird bei den Tarifpartnern die

Alarmglocken schrillen lassen.

Deshalb muss die EZB jetzt klarstellen, dass sie erhebliche Kaufkraftverluste

für Arbeitnehmer nicht auf Dauer tolerieren wird. Nur indem sie konsequent die

Zinswende vorantreibt, kann sie auf gehaltspolitische Mäßigung hinwirken.

Lohnexzesse im Keim zu ersticken ist eine wichtige Lehre aus dem Fehler der Fed:

Die US-Notenbank hat den Post-Pandemie-Preisschock viel zu lange unterschätzt.

Die Quittung: Sie ist gezwungen, ihre Bilanzsumme durch den Abverkauf von

Wertpapieren im Volumen von monatlich bis zu knapp 100 Mrd. Dollar radikal zu

stutzen - parallel zu kräftigen Zinserhöhungen. Die heftige Schubumkehr hat das

Potenzial, für erhebliche Marktturbulenzen zu sorgen und im schlechtesten Fall

den Aufschwung abzuwürgen.

Dieses Szenario treibt vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs auch manchen

Euro-Notenbanker um. Priorität muss in der jetzigen Phase aber eindeutig die

Inflationsbekämpfung haben. Die Preise ziehen längst auch in der Breite an. Die

Inflationserwartungen steigen merklich. Im dritten Quartal muss die Zinswende

beginnen - sonst droht auch der EZB ein böses Erwachen.

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