11.06.2021 20:26:38
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OTS: Börsen-Zeitung / Schief gewickelt, Marktkommentar von Alex Wehnert
Schief gewickelt, Marktkommentar von Alex Wehnert
Frankfurt (ots) - Beim Börsenhype um Windeln.de haben aktivistische Kleinanleger
inzwischen jeglichen Vorwand, es handle sich um eine fundamental zu
rechtfertigende Rally, fallen gelassen. Zu Beginn der Kurskapriolen hatte noch
die in deutschsprachigen Subforen der Plattform Reddit verbreitete Behauptung
gestanden, die Aufhebung der Ein-Kind-Politik in China helle die
Geschäftsaussichten des Unternehmens massiv auf. Tatsächlich generiert
Windeln.de rund drei Viertel ihres Umsatzes in der Volksrepublik - Effekte der
neuen Vorgaben aus der Volksrepublik auf die Nachfrage dürften aber höchstens
mit langer Zeitverzögerung spürbar werden. Zudem wäre der Babyausstatter
aufgrund der angespannten Liquiditätssituation vielleicht gar nicht in der Lage,
davon zu profitieren.
Mittlerweile scheint das China-Narrativ aber beiseite gefegt und durch pure Lust
an der Kurstreiberei ersetzt worden zu sein. Nachdem auf eine Warnung der BaFin
vor Kaufaufrufen im Internet am Donnerstag ein Kurssturz von über 30 Prozent
gefolgt war, wurden Anleger, die nach eigenen Angaben viel Geld verloren hatten,
von anderen Nutzern zum Nachkaufen gedrängt. Andere proklamierten das Ziel, die
Aktie bis auf 10 Euro anzuschieben. Dass der Titel davon weit entfernt ist,
liegt auch an einem entscheidenden Unterschied zwischen dem Hype um Windeln.de
und der Rally vieler sogenannter Meme-Stocks aus den USA. Denn bei Investitionen
in Aktien von Gamestop und AMC können sich die Reddit-Aktivisten an einem
gemeinsamen Feindbild austoben: Hedgefonds, die bei diesen Gesellschaften
großvolumig Short-Positionen aufgebaut haben.
Das Narrativ von einer organisierten Masse an Privatanlegern, die sich gegen die
Finanzelite verbündet und in Not geratene Unternehmen rettet, verstärkt den
Herdentrieb am Markt. Wobei sich ironischerweise Hinweise darauf verdichten,
dass Hedgefonds, die algorithmenbasierte Momentum-Strategien verfolgen,
ebenfalls bei der Rally der Meme-Stocks mitmischen.
Auch bezüglich Windeln.de kursierten in Internetforen wilde Gerüchte um
chinesische Hedgefonds, die angeblich die Kurse drücken wollten, um die
Gesellschaft günstig übernehmen zu können. Anleger, die daran glaubten, waren
schief gewickelt: Im Bundesanzeiger liegen keine Meldungen über
Leerverkaufspositionen in Aktien von Windeln.de vor. Weil diese Information
infolge der medialen Berichterstattung auch in die Internetforen vorgedrungen
ist, löst sich das zusammenschweißende Feindbild der chinesischen Hedgefonds in
Luft auf.
Dass die Verbreiter solcher Gerüchte ihre Kommentare oft schnell wieder löschen,
unterstreicht den Wahrheitsgehalt der jüngsten BaFin-Warnung, in der es heißt:
"Häufig dienen Chat-Gruppen in sozialen Netzwerken lediglich dazu, Anleger zum
Kauf von bestimmten Aktien zu verleiten, damit die Absender von steigenden
Kursen dieser Aktien profitieren." Derartige Komplotte sind am Finanzmarkt nicht
neu - doch während Kaufaufrufe früher in Anlegerjournalen verbreitet wurden,
ermöglichen Social Media heute eine schnellere und großflächigere Publikation.
Es sind allerdings nicht nur Reddit-Investoren, die im Zuge des Hypes auf dem
Rücken leichtgläubiger Kleinanleger Kasse machen. Bei AMC haben laut Einträgen
bei der US-Börsenaufsicht SEC zuletzt hochrangige Manager große Aktienpakete
abgestoßen. Dass offenbar selbst Insider Zweifel an einem anhaltenden Aufschwung
haben, sollte Investoren zu denken geben. Zugleich nutzen die Unternehmen die
Kursanstiege, um Aktien auf den Markt zu werfen. Bei Gamestop könnte eine
weitere Kapitalerhöhung die Blase laut Analysten zum Platzen bringen - hinzu
kommt, dass die SEC den Handel mit Aktien des Videospielhändlers prüft.
Außerdem erwägt die Aufsicht angeblich, Neobroker dazu zu verpflichten, vor
Transaktionsabschluss Warnhinweise an Privatanleger zu schalten. Wenigstens ein
paar Privatinvestoren könnten so eventuell vor gewaltigen Kursverlusten bewahrt
werden. Auch die BaFin, deren Mandat natürlich nicht kongruent zu dem der SEC
ist, sollte überlegen, welche Maßnahmen sie über ihre jüngste Warnung hinaus
ergreifen kann. Denn gerade dem deutschen Markt, an dem Aktien gerade wieder
etwas mehr Zuspruch erfahren, droht sonst ein herber Rückschlag. Schließlich
könnte es den Enthusiasmus vieler junger Menschen nachhaltig dämpfen, wenn ihre
erste Anlageerfahrung aus einem Totalverlust ihrer Investition in Windeln.de
bestünde.
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