21.07.2022 19:27:38
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OTS: Börsen-Zeitung / Prinzip Hoffnung, Kommentar zur EZB von Stefan Reccius
Prinzip Hoffnung, Kommentar zur EZB von Stefan Reccius
Frankfurt (ots) - Die Zeit der Realitätsverweigerung ist vorbei: Das ist die
eine, die positive Botschaft, die vom Ende der Negativzinsen in der Eurozone
ausgeht. Mit der Leitzinserhöhung um 50 Basispunkte zeigt die Europäische
Zentralbank (EZB) lang ersehnte, von manchem nicht mehr für möglich gehaltene
Entschlossenheit im Kampf gegen die Rekordinflation. Die EZB ist zur Besinnung
gekommen - endlich!
Allerdings geht von dem historischen Doppelbeschluss, mit Beginn der Zinswende
ein neues Notfallinstrument gegen Verwerfungen am Staatsanleihenmarkt
aufzulegen, eine zweite Botschaft aus. Sie muss jeden beunruhigen, dem an der
Stabilität der Eurozone gelegen ist. Diese Botschaft lautet: Wenn es darauf
ankommt, kann die EZB ihr Hauptmandat der Preisstabilität nur erfüllen, indem
sie ein Sicherheitsnetz nach dem anderen für hoch verschuldete und notorisch
labile Euro-Staaten wie Italien aufspannt.
EZB-Chefin Christine Lagarde würde das so niemals sagen. Etliche ihrer Aussagen
lassen aber genau diesen Schluss zu. Während mancher Beobachter
berechtigterweise hinterfragt, ob ein neues Anleihekaufprogramm den Ausstieg aus
der lockeren Geldpolitik nicht konterkariert, dreht der EZB-Rat den Spieß um:
Vielmehr werde das "Transmission Protection Instrument" (TPI) "die effektive
Transmission der Geldpolitik" - also deren Wirkung - unterstützen.
Lagarde hob auch die Bedeutung anderer Instrumente hervor: die flexible Handhabe
der Anleihebestände aus dem Pandemie-Notfallprogramm PEPP. Dazu das bereits 2012
im Zuge der Euro-Rettung aufgelegte OMT-Programm. Nun also auch noch das als
"Antifragmentierungsinstrument" bezeichnete TPI. Ein prall gefüllter
Werkzeugkasten für alle Fälle als Voraussetzung für die überfällige Zinswende -
deutlicher hätte die EZB kaum machen können, wie prekär der Zustand der
Währungsunion auch ein Jahrzehnt nach der Euro-Schuldenkrise ist.
"Der EZB-Rat würde TPI lieber nicht nutzen": So ehrenwert die Aussage von
Lagarde, so entlarvend ist das Prinzip Hoffnung. Wie beim nie aktivierten
OMT-Programm setzt die EZB auch diesmal auf den Placebo-Effekt. Skeptikern
schwant Böses: Das TPI wird - wie bislang jedes EZB-Kaufprogramm - eines Tages
den Test vor dem Bundesverfassungsgericht bestehen müssen. Die Kriterien für den
Einsatz sind zwar vermeintlich ausbuchstabiert. Ob die Euro-Staaten sie aber
auch erfüllen, liegt allein im Ermessen des EZB-Rats. Lagarde kokettierte lieber
mit einem ordentlichen Maß an Geheimniskrämerei, statt auf berechtigte Zweifel
einzugehen. Wer da Willkür wittert, liegt nicht falsch.
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