08.04.2022 19:22:38

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Mehr Schein als Sein, Marktkommentar zum Rubel von Wolf Brandes

Frankfurt (ots) - Der Schlagabtausch zwischen dem Westen und Russland nimmt auf

ökonomischer Ebene immer wieder überraschende Wendungen. Die USA und die EU

hatten zuletzt neue, noch schärfere Sanktionen angekündigt. Am Freitag nun

senkte die russische Notenbank den Leitzins auf 17 %. Mit der Zinssenkung möchte

die Central Bank of Russia (CBR) offensichtliche erste Schritte in Richtung

Normalität andeuten. Auch der Wechselkurs weist darauf hin, denn der Rubel ist

wieder auf das vor Ausbruch des Krieges erreichte Niveau gestiegen. Mit

Kriegsbeginn hatte die Zentralbank den Leitzins von 9,5 % auf 20 % mehr als

verdoppelt, während der Rubel auf ein Allzeittief stürzte.

Mit der Rubel-Abwertung scheint es vorerst vorbei - sehr zur Überraschung der

meisten Beobachter. Das russische Finanzsystem steht aber weiterhin unter Druck.

Erst kürzlich untersagten die USA russischen Institutionen, Anleihen mit Geldern

von eingefrorenen Konten zu bedienen. Die Commerzbank vermutet, dass mit diesem

Schritt ein technischer Zahlungsausfall immer wahrscheinlicher wird. Doch der

Rubel steigt und steigt - bis auf ein Niveau von in der Spitze 76,50 Rubel pro

Dollar. Verglichen mit dem Tief ist die russische Währung um fast 80 %

gestiegen.

Die Erklärungen für die auf den ersten Blick widersinnige Rubel-Stärke sind

vielschichtig. Zum einen sei der Rubel-Kurs kein echter Marktkurs, sagt Xueming

Song von der DWS. Die Unternehmen müssten ihre Deviseneinnahmen bei der

Zentralbank abliefern. Dadurch entstehe kurzfristig mehr Nachfrage nach Rubel.

Die Commerzbank argumentiert, dass der Rubel so lange keine frei konvertierbare

Währung sei, wie die russische Zentralbank Gegenstand von Sanktionen sei.

"Entscheidend ist die Unfähigkeit des Finanzsystems, Rubel frei in Hartwährung

zu konvertieren, und die Tatsache, dass sanktionierte Oligarchen und Unternehmen

nicht mehr auf ausländische Bankkonten überweisen können", kommentiert Antje

Praefcke von der Commerzbank. Gerade diese beiden Mechanismen seien wesentliche

Komponenten eines normalen Kapital- und Devisenverkehrs - und damit der Grund,

warum der Rubel-Kurs aktuell kein echter Preis sei.

Ein Blick auf die anderen Märkte zeigt, dass der erholte Rubel-Kurs wenig mit

normalen Verhältnissen zu tun hat. Verglichen mit der Erholung des Wechselkurses

hätten russische Aktien beziehungsweise die Anleihenspreads nach dem Absturz

keine besondere Erholung gezeigt. Der Moex notiert etwa 28 % unter

Vorkriegsniveau und die Rendite für zehnjährige russische Staatsanleihen lag

Anfang des Jahres bei 8,4 %, stieg in der Spitze auf 14,1 % und beträgt aktuell

10,9 %. "Damit erhärtet sich die These, wonach die Resilienz des Rubel

devisenspezifischen Faktoren und der Handelsbilanz Russlands geschuldet ist",

heißt es bei der Commerzbank.

Eine weitere Erklärung für den Rubel-Kurs dürfte sein, dass weiterhin Einnahmen

aus Energieexporten nach Russland fließen und das Land umgekehrt immer weniger

importiert. "Im Ergebnis stützt dies ganz offensichtlich den Rubel, zumindest

temporär. Wie lange genau all dies anhält: schwer zu sagen", so die Analyse der

LBBW. Im Markt ist zu hören, dass China und Indien viel Öl und Kohle aus

Russland abnehmen, das zum Teil in Yuan gezahlt wird, und dass Indien einen

Abschlag von 10 bis 15 % zum Marktkurs bekommen habe. Unter solchen Bedingungen

kann der Überschuss Russlands lang anhalten - mit entsprechenden Folgen für den

Rubel. "Da die Kapitaltransfers ins Ausland in der Regel relativ groß waren, was

seit dem Krieg ja weggefallen ist, könnte ein Überschuss von Deviseneinnahmen

entstanden sein. Genau kann das nur die russische Zentralbank sagen", so die

DWS.

Sofern das Land durch neue Sanktionen zunehmend von der Weltwirtschaft

abgeschnitten wird, dürfte sich die Leistungsbilanz Russlands weiter verbessern,

weil weiter Energie exportiert wird, wohingegen andere Importe implodieren,

argumentiert auch die Commerzbank. Sie ist aber überzeugt: "Die fehlende

Rubel-Schwäche bedeutet nicht, dass Sanktionen keine Wirkung erzielen."

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