19.04.2022 20:29:38
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Krise im Quadrat, Kommentar zur Weltwirtschaft von Stefan Reccius
Frankfurt (ots) - 3,6 Prozent statt der bis zum Krieg erwarteten 4,4 Prozent
Wachstum im laufenden Jahr: Die Zahlen an sich - so drastisch die
Abwärtsrevision sein mag - lassen den Schock des Ukraine-Kriegs für die
Weltwirtschaft allenfalls erahnen. Der Internationale Währungsfonds (IWF) setzt
auf Metaphorik, um seinen im Angesicht des Kriegs kalt und merkwürdig steril
wirkenden Prognosen jene Wucht zu verleihen, die der Lage angemessen ist: Der
Krieg sei wie ein Erdbeben, dessen wirtschaftliche Folgen sich wie seismische
Wellen ausbreiten - vor allem über Rohstoffmärkte, Handel und finanzielle
Verflechtungen.
Die Frühjahrstagung von IWF und Weltbank steht ganz unter dem Eindruck des
Ukraine-Kriegs. Das scheint gerade aus hiesiger Sicht folgerichtig. Der
fürchterliche Krieg auf dem eigenen Kontinent geht mit dem Beginn der russischen
Großoffensive im Donbass in eine neue, noch unerbittlichere Phase über. Noch
weit einschneidendere Sanktionen wie ein Öl- oder Gasembargo rücken näher - mit
unabsehbaren Folgen vor allem für die deutsche Wirtschaft.
In streng ökonomischer Denke kommt dabei ein zweites Problem zu kurz, auf das
die Analogie des IWF ebenfalls zutrifft. Nicht Militärs in Tarnkleidung mit
Panzern und Maschinengewehren haben es ausgelöst, sondern Testkommandos in
weißen Schutzanzügen mit Wattestäbchen. Das Epizentrum dieses Erdbebens liegt in
Schanghai. Chinas Nulltoleranzpolitik in Sachen Corona hat die Wirtschafts- und
Finanzmetropole seit Wochen lahmgelegt. Behörden in anderen chinesischen Städten
sind gefolgt. Ein Ende der drakonischen, unverhältnismäßigen Beschränkungen des
öffentlichen Lebens bei Deutschlands wichtigstem Handelspartner ist nicht
absehbar. Westlichen Wirtschaftsvertretern, die ihre Kritik gewöhnlich sorgsam
verklausulieren, um es sich mit Peking nicht zu verscherzen, fällt es immer
schwerer, die Contenance zu bewahren.
Krieg in der Ukraine und permanenter Corona-Alarm in China: Für die
Weltwirtschaft potenzieren sich gerade die Risiken. Die Gefahr einer Stagflation
- also einer schwachen Wirtschaftsleistung bei hoher Inflation - ist real und
wird von Tag zu Tag größer. Selbst die drastisch gestutzten Wachstumserwartungen
des IWF für Deutschland, die Eurozone und die Welt könnten zu hoch gegriffen
sein. Das vergrößert das Dilemma für die Zentralbanken, die Inflation im Zaum zu
halten, ohne die Konjunktur abzuwürgen. Trotzdem mahnt der IWF, Zinserhöhungen
nicht auf die lange Bank zu schieben. Mehr denn je muss sich insbesondere die
Europäische Zentralbank angesprochen fühlen.
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