03.01.2020 20:29:41

OTS: Börsen-Zeitung / Im Jahr des Chaos, ein Marktkommentar von Dieter Kuckelkorn

Im Jahr des Chaos, ein Marktkommentar von Dieter Kuckelkorn

Frankfurt (ots) - Am ersten Handelstag des neuen Jahres herrschte an den

internationalen Finanzmärkten noch eitel Sonnenschein. An der Wall Street

stiegen die drei großen Aktienindizes wieder einmal auf Allzeithochs, und auch

diesseits des Atlantiks gab es deutliche Gewinne an den Aktienmärkten. Nur einen

Tag später sah die Situation schon wieder gänzlich anders aus. Die jüngsten

Ereignisse im Irak machen den Marktteilnehmern die großen Risiken deutlich, die

das Potenzial haben, für starke Verwerfungen an den Märkten zu sorgen.

Dabei geht es nicht nur, aber auch um politische Risiken - wie sie jetzt wieder

die Schlagzeilen beherrschen. Im vergangenen Jahr haben sich die politischen

Konflikte rund um den Globus an vielen Orten deutlich verschärft, was zu einem

starken Anstieg der Kriegsgefahr geführt hat. An erster Stelle zu nennen ist der

Versuch der USA, den Aufstieg der großen eurasischen Landmächte China und

Russland mit allen Mitteln zu verhindern oder zumindest zu verlangsamen, um so

die globale Vormachtstellung Amerikas zu zementieren.

An Orten wie den baltischen Staaten, der Ukraine, Syrien sowie dem

Südchinesischen Meer hätten dabei ohne weiteres bereits militärische

Konfrontationen entstehen können - und in der Folge scharfe Korrekturen an den

Finanzmärkten. Im vergangenen Jahr war es jedoch ein Glücksfall für die Märkte,

dass sämtliche führenden Akteure auf beiden Seiten der jeweiligen Konflikte ein

erstaunliches Maß an Zurückhaltung und Mäßigung bewiesen. Das galt nicht nur für

den amerikanisch-iranischen Konflikt, sondern auch beispielsweise für die

Konfrontation zwischen den beiden Atommächten Indien und Pakistan, deren

Militärs zeitweise bereits aufeinander schossen.

Dass diese überall zu spürende Zurückhaltung ein ungewöhnlicher Glücksfall war,

machen die jüngsten Ereignisse im Nahen Osten deutlich. Der amerikanische

Mordanschlag auf einen prominenten iranischen General und - das sollte nicht

übersehen werden - einen hohen General des mit den USA verbündeten Irak entbehrt

jeglicher strategischer Weitsicht und lässt für die kommenden Monate Schlimmes

erahnen. In die für die Energieversorgung der Welt unentbehrliche Region rund um

den Persischen Golf ist damit Chaos und Ungewissheit zurückgekehrt. Es besteht

die Gefahr, dass der Ölpreis, der bereits deutlich reagiert hat, in völlig neue

Dimensionen steigt. Die Folge davon wäre eine schwere Rezession der

Realwirtschaft rund um den Globus - mit verheerenden Folgen für die

Finanzmärkte, die sich bereits in einem recht anfälligen Zustand präsentieren.

Die aber wohl größte ökonomische Gefahr geht von der global exorbitant

gestiegenen Verschuldung aus. Nach Schätzungen des Institute of International

Finance (IIF) sind die Schulden weltweit per Ende 2019 auf den Rekordstand von

255 Bill. Dollar geklettert. Im gerade beendeten Jahr kletterten sie damit um

nicht weniger als 12 Bill. Dollar. In den entwickelten Ländern stieg die

Verschuldung per Ende 2018 - neuere Daten gibt es dazu nicht - auf 256 Prozent

des Bruttoinlandsprodukts und damit auf ein höheres Niveau als vor der

Finanzkrise von 2008/09.

Die Analysten der Bank of America merken dazu an, dass das größte

Rezessionsrisiko in einem ungeordneten Anstieg der Credit Spreads und in der

Folge einem Abbau des Leverage liege. Die Bank für Internationalen

Zahlungsausgleich (BIZ) warnt in einer Studie vor der Gefahr einer neuen

Finanzkrise. Und laut Einschätzung der Weltbank stellt die aktuelle Situation

eine besondere Gefahr dar, weil von dem Anschwellen der Verschuldung sowohl

Staaten als auch Unternehmen und private Haushalte betroffen sind und weil rund

drei Viertel der Staaten weltweit bereits jetzt Haushaltsdefizite aufweisen.

Zwar muss es nicht dazu kommen, dass die geschilderten politischen Konflikte und

ökonomischen Verwerfungen in diesem Jahr eskalieren. Vielleicht geht es auch

noch einmal gut, womit aber die Ungleichgewichte weiter zunehmen würden und

damit die Krisengefahren in den Folgejahren. Es besteht aber eine nicht

unerhebliche Wahrscheinlichkeit, dass es nach einem Jahr 2019 mit relativer

Stabilität und stattlichen Erträgen an den Finanzmärkten nun zu einem Jahr der

Konflikte und des Chaos und in der Folge erheblichen Korrekturen an den

Kapitalmärkten kommt.

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