21.12.2021 20:26:38

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Drama ohne Drehbuch, Kommentar zur Türkei von Stefan Reccius

Frankfurt (ots) - Währungsturbulenzen mit wilden Kursschwankungen. Wiederholte

Handelsstopps an der Istanbuler Börse. Panische Bürger und Unternehmer. Und ein

Staatspräsident, der einen "wirtschaftlichen Un­abhängigkeitskrieg" beschwört

und mit einem wirtschaftspolitischen Novum verblüfft: Die Krise in der Türkei

hat eine neue Eskalationsstufe erreicht. Es ist ein modernes Drama, für das es

längst kein passendes Drehbuch mehr gibt. Dafür staunende Kritiker, denen die

Superlative ausgehen. Verzweifelte Statisten, die um Jobs, Erspartes oder gar

die wirtschaftliche Existenz bangen. Und einen unter Allmachtsfantasien

leidenden Regisseur, der nur noch improvisiert.

Am Montagabend hat Staatschef Recep Tayyip Erdogan seinem Vermächtnis ein

denkwürdiges Kapitel hinzugefügt. Der selbsterklärte Zinsfeind verkündete ein

umfassendes Erste-Hilfe-Programm für gebeutelte Sparer, Unternehmer und

Investoren, das Experten als versteckte Zinserhöhung enttarnten. Im Zentrum der

Ad-hoc-Maßnahmen steht eine spezielle Form der Einlagensicherung, die so in

keinem volkswirtschaftlichen Standardwerk zu finden sein dürfte: Verliert die

Lira stärker an Wert, als Banken Zinsen auf Spareinlagen zahlen, entschädigt der

türkische Staat die Sparer. Eine vergleichbare Absicherung gegen

Wechselkursverluste erhalten Exporteure. Die Regierung haftet somit

gewissermaßen für Währungsrisiken mit der Absicht, die allgegenwärtige Flucht in

Hartwährungen wie Dollar und Euro zu stoppen.

Am Devisenmarkt hat das die erwünschte Wirkung erzielt: Die Lira hat stark

aufgewertet. Trotzdem wäre es verfrüht, von einer Konsolidierung zu sprechen.

Denn obwohl die Lira in der Spitze mehr als ein Drittel zu Dollar und Euro

zulegte, sind die Verluste auf Jahressicht noch immer exorbitant. Es handelt

sich lediglich um eine ruckartige Korrektur, nachdem die Lira im Prinzip über

Wochen im freien Fall war.

Erdogans Notfallplan taugt nicht, den Teufelskreis aus Lira-Verfall und hoher

Inflation zu stoppen, solange der Staatschef der Notenbank seinen

Niedrigzinswillen aufzwingt. Zudem hat die Raserei eine spekulative Blase

genährt, die nun geplatzt ist. An drei aufeinanderfolgenden Tagen musste der

Aktienhandel unterbrochen werden, weil der Leitindex Borsa Istanbul 100 um mehr

als 5 Prozent absackte. Wochenlang haussierten die Börsenkurse, weil türkische

Unternehmen stark vom Export leben und eine günstige Lira deren Waren auf den

Weltmärkten attraktiv macht. Doch der größte Wirtschaftsverband rebelliert wegen

der Nebenwirkungen offen gegen das Niedrigzinsdiktat. Das hat die Anleger

verschreckt.

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