24.06.2016 20:40:39

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Börsen-Zeitung: No no never, Kommentar zum Brexit von Detlef Fechtner

Frankfurt (ots) - Brüssel ist bestürzt über die Entscheidung der

Briten, die Europäische Union zu verlassen. Kaum ein Vertreter der

EU-Institutionen, der seine bittere Enttäuschung über das Votum

verhehlte. Alle seien sehr traurig, berichtete EU-Parlamentschef

Martin Schulz. Erfreulicherweise erlagen nur wenige

EU-Spitzenpolitiker der Versuchung, das Votum als britisches Kuriosum

abzutun - und die Verantwortung allein auf Premier David Cameron

abzuschieben. Alle anderen waren aufrichtig und einsichtig genug,

einzuräumen, dass in ganz Europa das Vertrauen in die Union schwer

angeschlagen ist. Insofern zeigt sich Brüssel geläutert - und bereit,

das Referendum zum Anlass zu nehmen, um eigene Arbeit und

institutionelles Design der EU auf den Prüfstand zu stellen.

Das ist mehr als angebracht. Denn es besteht akute

Explosionsgefahr - und es kommt mehr denn je darauf an, dass die EU

nicht noch mehr an Glaubwürdigkeit einbüßt. Schließlich dringen

Rechtspopulisten allerorten auf Nachahmung des britischen Vorbilds.

"Bye-bye Brüssel - und die Niederlande werden die Nächsten sein",

polterte bereits der Chef der Freiheitspartei, Geert Wilders.

Ist der Brexit-Entscheid also der Anfang vom Ende? Die klare

Antwort: ja und nein. Ja, wenn damit das Ende einer Union gemeint

ist, die glaubt, alles richtig zu machen - und es den Bürgern nur

nicht clever genug zu vermitteln. Nein, wenn damit gemeint ist, dass

das Brexit-Referendum quasi automatisch das Ende der EU einläutet.

Wer dieser These zustimmt, ist der Kampagne der Europa-Gegner

bereits auf den Leim gegangen. "Die EU versagt, die EU stirbt",

orakelt der britische Rechtspopulist Nigel Farage. Seine Prophezeiung

fußt auf der Behauptung, dass sowieso alle Bürger der Meinung sind,

die EU sei zu nichts nutze - und deshalb die angeblich völlig

übertriebene Harmonisierung von Spielregeln satthaben.

Ein solches Urteil unterschätzt aber nicht nur die politische

Leistungskraft der Union, sondern auch die Weisheit der Bürger. Denn

einer großen Mehrheit ist durchaus gewahr, dass offene Grenzen,

gemeinsame Märkte und einheitliche Standards von Vorteil für sie

sind. Im Warenverkehr ebenso wie bei der Verkehrssicherheit, beim

Verbraucherschutz ebenso wie bei der Zusammenarbeit nationaler

Polizeidienste, Umweltbehörden oder Finanzämter. Das alles wird

wertgeschätzt - und vieles mehr.

Die Aufgabe der nächsten Monate wird sein, auszusortieren, was

nach Ansicht der Bürger hingegen nicht zum Hausstand der EU gehören

sollte - wo die Union also über ihren Auftrag hinausschießt. Und

andersherum: an welchen Stellen sie sogar nachlegen sollte. Natürlich

wird ein solches Aussieben in einer Gemeinschaft mit

unterschiedlichen Interessen verdammt kompliziert. Aber ohne diese

Bereitschaft zur inneren Reform setzt sich die EU der Gefahr aus, als

unbelehrbar zu gelten - und noch mehr Bürger dazu zu bringen, sich

von ihr abzuwenden. No no never. Einen weiteren Exit dürfte die EU

kaum verkraften.

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