23.06.2014 20:50:55
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Börsen-Zeitung: Neues Rollenmodell, Kommentar zur Beteiligung
Frankreichs an Alstom von Michael Flämig
Frankfurt (ots) - Die Karten im Poker um Alstom liegen auf dem
Tisch. Das Spiel ist allerdings mit der Offenlegung, anders als in
der Kasino-Variante, noch lange nicht entschieden. General Electric
wird erst zum Gewinner, wenn die vielfachen Tücken der Integration
gemeistert sind. Siemens ihrerseits materialisiert sich als Verlierer
dann, wenn in der veränderten Wettbewerbssituation keine neuen
Trümpfe gefunden werden. So weit, so üblich nach solchen Schlachten.
Bemerkenswert an der aktuellen Poker-Konstellation ist ein anderer
Aspekt: Quasi als "Royal Flush" hat die französische Regierung am
Ende ihre 20-%-Beteiligung an Alstom auf den Tisch gelegt. Wie ist
das zu bewerten?
Typisch Frankreich, mag eine Reaktion lauten. Tatsächlich ist die
Regierung auch in der Vergangenheit vor kaum einem Eingriff
zurückgeschreckt. Jede Menge Branchen werden im Élysée-Palast als so
wichtig eingestuft, dass Übernahmeversuche abgeblockt wurden. Zudem
unterstützt Paris klamme Firmen mit Steuergeld, um Arbeitsplätze zu
erhalten. Die Liste entsprechender Interventionen reicht von PSA über
Danone bis Suez.
Nicht nur Siemens musste dabei erleben, dass die Politiker im
Notfall lieber amerikanische Unternehmen als Käufer akzeptieren. Die
Mehrländerbörse Euronext wurde einst der Deutschen Börse im letzten
Moment zugunsten eines US-Marktbetreibers entrissen. Typisch
Frankreich ist auch, die Staatsbeteiligung quasi aus dem Ärmel zu
ziehen. Die Spielweise während des Alstom-Pokers darf deswegen als
unorthodox bezeichnet werden; viele andere Gründe sind darüber hinaus
zu nennen. Es ist dreist, sich kurzfristig per Dekret
Mitspracherechte bei M&A zu verschaffen. Auch die Durchstecherei
vertraulicher Infos erlebt man in dieser Konsequenz selten. Regeln
scheinen aus französischer Perspektive nur für alle anderen
Beteiligten zu gelten.
Die Einordnung als "typisch Frankreich" greift dennoch zu kurz.
Denn die implizite Folgerung lautet: Nur Frankreich pflegt diese
Tradition in derart drastischer Ausprägung, also wird das Phänomen
auf das Land beschränkt bleiben. Diese Analyse mag früher berechtigt
gewesen sein. Für die Zukunft dagegen gilt: Der Fall Alstom wird sich
zu einem Rollenmodell für Europa entwickelt. Hierfür gibt es drei
Gründe.
Erstens: Der Zeitgeist hat sich geändert. Bis zur Finanzkrise
bestand weit über neoliberale Kreise hinaus der Konsens, dass der
Staat sich aus Firmen zurückzuziehen hat. Die Liberalisierung
beispielsweise der Telekomanbieter oder Energieversorger ist die
Frucht dieses Denkens, die Kunden haben die Ernte eingefahren in Form
sinkender Preise.
Infolge der Schulden- und Euro-Krise aber hat sich ein neuer
Konsens herausgebildet aufbauend auf der Überzeugung, dass die
Wirtschaft dem Bürger zu dienen hat: Wenn Unternehmen ihrer
gesellschaftlichen Verantwortung nicht gerecht werden, dann muss der
Staat das Allgemeininteresse forciert sichern. Die Regulierung der
Finanzbranche, kombiniert mit staatlichem Eigentum, ist eine
Konsequenz dieses Ansatzes. Schließlich gehört zum Kern der
Gesellschaft, dass Banken stabil bleiben und somit die Firmen
finanzieren können. Ein weiteres Beispiel ist der Telekomsektor. Dort
wird die Option ausländischer Eigentümerschaft - wie in Holland in
der Diskussion - mit Blick auf Sicherheitsaspekte beschränkt werden.
Was aber ist das wichtigste gesellschaftliche Produkt, das
Industrieunternehmen bereitstellen? Es sind Arbeitsplätze. Wenn
dieser Beitrag in Gefahr gerät, dann wird der Zeitgeist staatliche
Einstiege bei Firmen europaweit eher fordern als blockieren.
Diese Stimmung trifft, und das ist der zweite Treiber, auf eine
veränderte Ökonomie. Europa stagniert auf hohem Niveau. In der
westlichen Welt dagegen locken die Vereinigten Staaten mit niedrigen
Preisen die Industrieunternehmen an, und in Asien boomt China. Dies
bedeutet: Europäische Firmen werden verstärkt zum Übernahmeziel.
Regierungen werden nationale Interessen wahren wollen, auch durch
direkte Beteiligungen.
Drittens: Die Welt macht europäischen Bürgern vor, dass
Interventionismus funktioniert. In China expandieren Staatsfirmen
plangerecht, russische Unternehmen feiern mit Moskauer Hilfe manchen
Erfolg und auch in Brasilien mischt die Regierung mit. Bei genauerem
Hinschauen mag es Ineffizienzen zuhauf geben, doch öffentlich wird
die Wachstumsstory wahrgenommen.
Das neue Rollenmodell wird sich keinesfalls schlagartig, sondern
schrittweise etablieren. Widerstände, nicht zuletzt in Brüssel,
müssen abgeschliffen werden. Doch steter Tropfen höhlt den Stein. Wie
ist das aufkommende Modell zu bewerten?
Der Staat ist und bleibt der schlechtere Eigentümer, das zeigen
Geschichte und Gegenwart. Bei Alstom allerdings nimmt Paris die Zügel
gar nicht in die Hand, sondern überlässt sie General Electric. Die
Politik beschränkt sich auf eine Minderheit und erobert damit "nur"
ein Vetorecht - es wird das Prinzip der Goldenen Aktie wiederbelebt.
Das ist nicht die reine ordnungspolitische Lehre. Aber die Realität
ist eben manchmal komplexer. Entscheidend ist im Einzelfall, ob die
Politik reif genug ist, auf Gekungel im Hinterzimmer zu verzichten
und - wie ein stabiler Ankeraktionär aus der Privatwirtschaft - nur
in grundsätzlichen strategischen Fragen ihre Sichtweise einzubringen.
Zweifellos haben europäische Regierungen bei Corporate Governance
dazugelernt. Aber die divergierende Rationalität der Systeme Politik
und Wirtschaft stimmt dennoch skeptisch.
Welche Konsequenzen sollten Unternehmen ziehen? Sie müssen ihre
gesellschaftliche Rolle viel stärker als in den vergangenen 30 Jahren
definieren und kommunizieren. Dies ist das beste Rezept gegen
staatlichen Interventionismus.
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