19.07.2019 19:01:41

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Börsen-Zeitung: Marktkommentar Lira auf der Kippe von Christopher

Kalbhenn

Frankfurt (ots) - Seit die Zentralbanken der USA und des Euroraums

ihren Schwenk hin zu einer lockereren Geldpolitik kommuniziert

haben, rollt eine Leitzinssenkungswelle um den Globus.

Möglicherweise wird die EZB in der neuen Woche ihren Einlagensatz

leicht senken, Ende des Monats erwartet die Märkte von der Fed eine

Senkung der Fed Funds Rate um 25 Basispunkte. Andere Notenbanken

warten nicht auf die Großen der Zunft, sondern haben bereits

gehandelt. Mit Rückenwind durch die neue geldpolitische Linie der

Fed, aber auch aufgrund inflationsseitigen Spielraums sowie wegen

sich abschwächenden Wachstums haben allein in der abgelaufenen Woche

die Notenbanken Südafrikas, Südkoreas und Indonesiens ihre Leitzinsen

gesenkt. Die indonesischen Währungshüter haben mit ihrem Schritt

überdies begonnen, die Leitzinserhöhungen um 175 Basispunkte, mit

denen sie im Vorjahr die Rupiah stabilisiert haben, zumindest

teilweise rückgängig zu machen. Parallelen zur Türkei, deren

Zentralbank am kommenden Donnerstag über ihren Leitzins entscheidet,

sind unübersehbar. Auch die Währungshüter dieses Landes haben 2018

zur Zinskeule gegriffen, um ihre taumelnde Währung aufzufangen. Um

insgesamt 11,5 Prozentpunkte auf 24% wurde der Repo-Satz angehoben.

Eine Zinssenkung der türkischen Zentralbank wurde bis vor kurzem von

den Experten nicht nur erwartet, sondern auch mit Wohlwollen

betrachtet, da die Inflationsrate in dem Land in den zurückliegenden

Monaten gesunken ist. Seit Präsident Erdogan den Notenbankgouverneur

Murat Cetinkaya entlassen und dies auch noch damit begründet hat,

dass dieser seine Anweisung, den Leitzins zu senken, nicht befolgt

habe, ist die Akzeptanz von Lockerungsschritten der türkischen

Währungshüter bei den Analysten aber passé. Denn nun scheint der

letzte Rest Notenbankunabhängigkeit dahin. Am Donnerstag steht damit

viel für die Türkei auf dem Spiel. Die zentrale Frage: Wird der neue

Zentralbankchef Murat Uysal auf Geheiß Erdogans den Zins kräftig

senken und sich damit als vollkommen willfähriger Befehlsempfänger

Erdogans erweisen? Kommt es so, könnte das die Lira abstürzen lassen

und schlimme gesamtwirtschaftliche Folgen für das Land haben. Umso

erstaunlicher ist auf den ersten Blick die moderate Reaktion der Lira

auf die Entlassung Cetinkayas. Ihre seither angefallener Verlust

beschränkt sich auf bis zu rund 2,5%. Offensichtlich glauben die

Marktteilnehmer, dass der Worst Case nicht eintreten wird, und dafür

gibt es auch Argumente. Erdogan könnte durchaus davor zurückschrecken

- oder erst gar nicht vorhaben -, eine kräftige Zinssenkung zu

erzwingen. Die Entlassung Cetinkayas und die Ankündigung umwälzender

Veränderungen in der Notenbank müssen eingeordnet werden. Der

türkische Präsident wettert schon lange gegen die Geldpolitik der

Notenbank bzw. den höheren Leitzins. Dass er Cetinkaya gerade jetzt

entlassen hat, ist kein Zufall. Erdogan, der sonst nur Siege kennt

(und anerkennt), hat bei der Istanbuler Oberbürgermeisterwahl eine

krachende Niederlage erlitten, die an seinem Nimbus der

Unbesiegbarkeit kratzt. Zudem wenden sich derzeit etliche wichtige

und langjährige politische Weggefährten von ihm ab. Erdogan muss also

gerade jetzt einen Erfolg bzw. Sieg darstellen und hat zu diesem

Zweck die Zentralbank auserkoren. Der Schuss könnte allerdings noch

viel gewaltiger als die Annullierung der ersten Runde der Wahl in

Istanbul nach hinten losgehen, wenn sich eine Leitzinssenkung am

Donnerstag nicht auf ein moderates Ausmaß beschränken und nicht von

einer überzeugenden und glaubwürdigen Erklärung begleitet werden

sollte. Der Türkei würde dann ein Schock drohen. Die Lira würde

absacken mit der Folge, dass die hohen Dollarschulden des

Privatsektors zu einer prekären Last und die Inflation wieder stark

anziehen würde. Letztlich würde die Wirtschaft schrumpfen. Die

Ratingagentur Fitch hat die Türkei bereits im Rahmen einer

vorgezogenen Überprüfung aus Anlass der Entlassung Cetinkayas von

"BB" auf "BB-" herabgestuft und die neue Note auch noch mit einem

negativen Ausblick versehen. Die Entlassung verstärke Zweifel an der

Bereitschaft der Regierung, eine für die Stabilisierung der

Wirtschaft notwendige längere Phase mit sinkender Inflation und unter

Trend liegendem Wachstum hinzunehmen, so Fitch. Sie laufe Gefahr, ein

bereits schwaches Vertrauen im Inland zu beschädigen, die für den

hohen Außenfinanzierungsbedarf notwendigen Kapitalzuflüsse aufs Spiel

zu setzen und die wirtschaftliche Entwicklung zu verschlimmern.

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