26.10.2014 20:32:47

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Börsen-Zeitung: Europas (Ohn-)Macht, Kommentar zur Bankenprüfung von

Bernd Wittkowski

Frankfurt (ots) - Europa hat am Sonntag an Macht gewonnen. Die

großflächige Bankenprüfung unter Regie der Europäischen Zentralbank

(EZB) schafft 22 Jahre nach Einführung des Binnenmarktes und fast 16

Jahre nach Etablierung der Währungsunion die Voraussetzungen für die

in acht Tagen mit der gemeinsamen Aufsicht startende Bankenunion. Der

Schritt kommt eineinhalb Jahrzehnte zu spät, denn eine Bankenunion

mit einheitlichen Regeln, gemeinsamer Aufsicht und

länderübergreifendem Abwicklungsfonds - Letzterer folgt erst 2016 -

ist die logische und nötige Ergänzung und Absicherung der Freiheiten

des Binnenmarktes und der gemeinsamen Währung und Geldpolitik.

Wie sollten die Mitglieder eines Staatenbundes friedlich und

halbwegs krisenresistent zusammenwachsen können, wenn - unter anderem

- an einer zentralen Stelle des Wirtschaftskreislaufs, eben im

Bankensystem, Regularien, Aufsichtsregime, Meldewesen und

Bilanzierungsregeln Flickenteppichen gleichen, während die

maßgeblichen Wirtschaftsakteure längst global unterwegs und obendrein

miteinander verflochten sind? Dieser Problematik waren sich,

zumindest in Fensterreden, die Politiker 1991 bewusst, als sie den

Maastrichtvertrag aushandelten und damit den Weg für den Euro

freimachten.

Doch dann hat man das Projekt politische Union - dazu gehört auch

eine Bankenunion - verdrängt und allweil fröhlich über seine

Verhältnisse gelebt. So entstand der berühmt-berüchtigte Teufelskreis

zwischen Finanz- und Staatsschuldenkrise. Nationale Aufseher schauten

wohlwollend weg, etwa wenn in einem Land ohne Sinn und Verstand

Immobilienkredite rausgehauen wurden oder Banken bis zum Exzess in

Staatsanleihen investierten. Jetzt aber, im Angesicht der Krise,

musste die Bankenunion in zwei Jahren mit heißer Nadel gestrickt

werden. Das hat man nicht zuletzt bei dem teilweise chaotisch

abgelaufenen, in manchen Details willkürlich anmutenden und allem

Anschein nach mitunter die Prüfer selbst überfordernden umfassenden

Gesundheitscheck der 130 bedeutendsten Banken in Euroland gemerkt.

Gute und schlechte News

Wie sieht nun der Befund aus? Die gute Nachricht, mit den Worten

der obersten deutschen Bankenaufseherin Elke König: "In Deutschland

gibt es kein Institut mit einer Netto-Kapitallücke." Die hiesigen

Banken hielten mit ihrer Eigenmittelausstattung also sogar einen

schweren globalen Finanzschock aus. Auch die als einziges Haus beim

Test formal durchgefallene Münchener Hypothekenbank hat inzwischen

mehr als das fürs Erste Notwendige getan. Die schlechten Nachrichten:

Erstens hat die eine oder andere Bank bei der Berechnung ihrer

Kapitalquoten erheblich von Restrukturierungsplänen profitiert, die

erst noch umgesetzt sein wollen. Da wundert man sich dann schon ein

wenig, wer alles die Prüfung bestanden hat. Sind da nicht auch

Hoffnungswerte gebucht worden? Zweitens fällt das deutsche

Kreditgewerbe, so gießt Bundesbank-Vorstand Andreas Dombret Wasser in

den Wein, durch eine ausgeprägte Ertragsschwäche und teils nicht

unbedingt nachhaltig tragfähig erscheinende Geschäftsmodelle auf.

Drittens wird gerade die europäische Bankenunion, die nach einer DZ

Bank-Studie allein die deutsche Branche bis zu 10 Mrd. Euro pro anno

kosten soll, diese Schwäche kurz- bis mittelfristig kaum beheben.

Viertens sind die Testergebnisse auf europäischer Ebene, vor allem im

Süden, schon eher besorgniserregend.

Zerfallserscheinungen

Dass Europa mit der Bankenunion - bei allen Konstruktionsmängeln

und ungelösten Interessenkonflikten der Geldpolitiker und

Bankenaufseher - an Macht gewinnen wird, darf man wörtlich nehmen.

Wer daran zweifelt, schaue sich die Befugnisse der EZB in der neuen

Aufsichtsära an: Banklizenzen vergibt und entzieht - auch bei kleinen

Instituten - allein oder letztinstanzlich die EZB. Sie hat auch das

Sagen beim Erwerb qualifizierter Beteiligungen an Banken. Und wenn

die Hüter des Euro eine Bank vor Ort untersuchen wollen und dabei auf

Widerstand stoßen, ist die nationale Polizei zur Amtshilfe

verpflichtet, während die Kompetenzen eines von der geprüften Bank

womöglich angerufenen nationalen Gerichts eng begrenzt sind. Hier

kommt der viel zitierte Verzicht auf nationale Souveränitätsrechte

fraglos zum Tragen.

Wem angesichts der europäischen Schuldenorgie, versäumter Reformen

zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit, ständiger Vertragsbrüche der

Regierungen und Regelverletzungen der EZB die Lust auf "mehr Europa"

nicht längst völlig vergangen ist, der könnte sich mithin freuen,

dass es bei der Integration endlich mal wieder einen nennenswerten

Fortschritt gibt.

Wären da nicht erneut diese aktuellen verstörenden Entwicklungen,

die all jene, die in jüngerer Vergangenheit zu Euro(pa)- Kritikern

geworden sind, in ihrer Skepsis hinsichtlich der Tragfähigkeit des

Jahrhundertprojekts "Europäische Einigung" bestätigen oder sogar

bestärken. Der britische Premier David Cameron kehrte wegen der

milliardenschweren Brüsseler Nachforderung an sein Land ("vollkommen

inakzeptabel") gerade wieder wutentbrannt den Antieuropäer heraus und

stellte einmal mehr die EU-Mitgliedschaft der Insel in Frage. Derweil

sind auch Frankreich und Italien mit ihrer Finanzpolitik stramm auf

Konfrontationskurs gegen den Rest Europas und scheren sich einen

Dreck um die europäischen Defizit- und Schuldenkriterien, die sie

selbst völkerrechtlich verbindlich mitbeschlossen haben.

Das sind schon Zerfallserscheinungen. Doch wie gewohnt werden alle

Seiten wieder irgendwelche übel riechenden Kompromisse finden, um den

Laden krampfhaft zusammenzuhalten. Hier zeigt sich exemplarisch die

ganze Ohnmacht Europas.

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