Corona-Krise |
05.03.2021 16:43:00
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Österreichs BIP brach 2020 ein, aber weniger stark als gedacht
Nur in noch mehr vom Tourismus abhängigen Ländern wie Spanien, Italien, Kroatien, Frankreich und Portugal ging das BIP voriges Jahr stärker zurück. Österreich wurde mit seiner Positionierung im schlechtesten Drittel in der EU vergleichsweise hart getroffen. Das liegt laut Statistik-Austria-Chef Tobias Thomas vor allem am kräftigen Rückgang der Wirtschaftsleistung in Beherbergung und Gastro: "Ihr Anteil an der heimischen Wertschöpfung wiegt mehr als dreimal schwerer als zum Beispiel in Deutschland", sagte er am Freitag in einem Pressegespräch.
"Der Unterschied zu Deutschland ist im Wesentlichen auf die unterschiedliche Rolle touristischer Dienstleistungen zurückzuführen", erklärte ähnlich Wifo-Experte Stefan Schiman am Freitag: "Die Rezession 2020 war in Österreich im Vergleich zu anderen OECD- und EU-Ländern und insbesondere Deutschland und der Schweiz recht tief." Für den Großteil verantwortlich seien Unterschiede in pandemiebedingten Verhaltensänderungen durch Lockdowns und Social Distancing sowie unterschiedliche Anteile an tourismusabhängigen Dienstleistungen.
Die Einbrüche in Beherbergung und Gastronomie wogen deshalb so schwer, weil der Bereich samt Handel und Verkehr mit 20,4 Prozent der Bruttowertschöpfung im Vorjahr ein besonders großer ist, gleich nach der Industrie (ohne Baugewerbe) mit 21,1 Prozent und noch vor der Öffentlichen Verwaltung (inkl. Erziehung/Unterricht, Gesundheits- und Sozialwesen) mit 18,7 Prozent. In Deutschland dagegen stehen Handel, Verkehr, Beherbergung und Gastro nur für 15,7 Prozent der Bruttowertschöpfung.
Laut Statistik Austria war das Jahres-Minus bei der Wirtschaftsleistung von 6,6 Prozent der markanteste Rückgang seit 1945, das BIP ging damit laut Thomas um 2,8 Prozentpunkte kräftiger zurück als im Jahr der Wirtschafts- und Finanzkrise 2009. Zudem wies das zweite Quartal 2020 mit 13,5 Prozent Minus im Jahresabstand einen noch stärkeren Rückgang als im zweiten Quartal 2009 von 5,9 Prozent auf. Das erste und dritte Quartal 2020 lagen 3,6 bzw. 3,7 Prozent unter Vorjahr, das vierte um 5,7 Prozent tiefer. Im Gesamtjahr schrumpfte die Bruttowertschöpfung des großen Bereichs Handel, Verkehr, Beherbergung und Gastronomie um 15,2 Prozent auf 71,0 Mrd. Euro, wie Ferdinand Leitner von der Volkswirtschaftsabteilung der Statistik Austria sagte.
Am stärksten von allen Dienstleistungsbranchen negativ tangiert wurden in Österreich voriges Jahr mit real minus 35,2 Prozent Beherbergung und Gastronomie, gefolgt von Kultur-, Unterhaltungs- und persönlichen Dienstleistungen (-19,6 Prozent) - umgekehrt konnten Banken & Versicherungen um 2,5 Prozent zulegen, Grundstücks- und Wohnungswesen um 1,9 Prozent. Am größten war das Minus in Beherbergung und Gastro im zweiten und vierten Quartal mit jeweils rund 61 Prozent. Kultur etc. litten besonders stark im Lockdown im zweiten Quartal mit -36,2 Prozent, gefolgt von -21,5 Prozent im Schlussquartal.
Bei den Verkehrsdienstleistungen betrug das Minus 15,5 Prozent. Der Handel insgesamt als gewichtigste Dienstleistungsbranche schrumpfte um 5,6 Prozent (Großhandel, Einzelhandel und Kfz-Handel) - dabei besonders stark im zweiten Quartal mit -12,7 Prozent, während es im dritten Quartal nur -1,4 Prozent waren. Im gesamten Dienstleistungssektor fiel der reale Rückgang mit -6,7 Prozent etwas stärker aus als im Produzierenden Bereich (-5,8 Prozent). Gestützt wurden die Dienstleistungen durch staatsnahe Bereiche (öffentliche Verwaltung, Gesundheitswesen, Bildungswesen). Das Minus im Bauwesen betrug nur 2,3 Prozent.
Massiv gesunken sind voriges Jahr die Konsumausgaben (real -9,6 Prozent). Das lag vor allem an den Konsumausgaben der privaten Haushalte, die um 9,8 Prozent tiefer waren. Die stärksten Einbrüche gab es beim Konsum von Dienstleistungen (Beherbergung und Gastronomie, Verkehr, persönliche Dienstleistungen). Einen Anstieg gab es bei dauerhaften Konsumgütern, etwa Möbeln, sowie bei digitalen Dienstleistungen - Internet, Streaming, Downloads, Spiele, "bis hin zur Partnervermittlung übers Internet", so Leitner.
Der Einbruch bei der Waren-Herstellung spiegelte sich 2020 auch in den Warenexporten wider, deren realer Rückgang mit 6,9 Prozent laut Statistik Austria ähnlich stark ausfiel wie jener der Warenimporte (-7,4 Prozent). Deutlich stärker waren die Einbrüche bei den Exporten (-18,0 Prozent) und Importen (-17,4 Prozent) von Dienstleistungen, nicht zuletzt wegen der Reiseverkehrs-Beschränkungen.
Die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden sank um 8,8 Prozent - die Zahl aller unselbstständig und selbstständig Erwerbstätigen ging lediglich um 1,8 Prozent auf knapp über 4,7 Mio. Beschäftigungsverhältnisse zurück. Hier habe mit Sicherheit die Kurzarbeit ihren Beitrag geleistet, sagte Statistik-Austria-Chef Thomas.
Im vierten Quartal lag das BIP saison- und arbeitstagbereinigt real um 2,7 Prozent unter dem Vorquartal. Den stärksten Rückgang im Quartalsabstand gab es durch den ersten Lockdown im zweiten Vierteljahr mit minus 10,7 Prozent, im Quartal darauf legte das BIP sogar um 11,8 Prozent zu.
Der Konsum privater Haushalte lag im Schlussquartal 2020 real um 11,2 Prozent tiefer als im vierten Quartal 2019, vor allem wegen des starken Rückgangs des Konsums von Dienstleistungen (-21,7 Prozent). Auch gegenüber dem Vorquartal gab es einen starken Einbruch beim Dienstleistungskonsum (-14,8 Prozent), der gesamte Konsum privater Haushalte ging um 5,5 Prozent zurück. Der Export von Dienstleistungen sackte im Jahresabstand real um 21,8 Prozent ab, der Import um 14,1 Prozent. Die Rückgänge im Warenexport (-2,4 Prozent zum Vorjahresquartal) und im Warenimport (-0,1 Prozent) blieben im vierten Quartal 2020 dagegen relativ moderat.
In Gastro, Beherbergung, Handel und Verkehr hinterließ der erneute Lockdown im vierten Quartal deutliche Spuren mit -19,7 Prozent real zum Vorjahresquartal, in Unterhaltung und Kultur betrug das Minus 21,5 Prozent. Gegenüber dem dritten Quartal, in dem sich diese Bereiche merklich erholt hatten, brach die reale Wertschöpfung erneut ein, laut Statistik Austria um 15,6 Prozent in Gastro, Beherbergung, Handel und Verkehr sowie um 12,5 Prozent in Unterhaltung und Kultur. Die Warenherstellung erreichte mit -1,3 Prozent gegenüber dem Schlussquartal 2019 zwar nicht das Vorkrisenniveau, wuchs gegenüber dem Vorquartal aber um 1,7 Prozent.
Zuletzt, in der zweiten Februarhälfte 2021, lag die heimische Wirtschaft laut Oesterreichischer Nationalbank (OeNB) um knapp vier Prozent unter dem Vorjahresniveau. "Damit ist die BIP-Lücke aktuell etwas geringer als während der beiden Teil-Lockdowns in der ersten Novemberhälfte 2020 und in den drei Wochen vor Weihnachten 2020", erklärte die OeNB am Freitag.
APA
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