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10.11.2020 13:30:00

Österreicher haben in Coronakrise mehr gespart, Cash und Gold gefragt

Die Österreicher haben in den ersten Monaten der Coronakrise mehr Geld zur Seite gelegt, während die Einkommen gesunken sind. Zu Beginn des Pandemieausbruchs war Bargeld sehr gefragt - und Goldmünzen. Heruntergerechnet hat "jeder neunte Haushalt einen Philharmonika gekauft. In der Finanzkrise 2008 war es jeder fünfte", sagte Nationalbank-Vizegouverneur Gottfried Haber am Dienstag bei einer Online-Pressekonferenz. Auch in Haus und Heim wird kräftig investiert.

Im ersten Halbjahr 2020 ging die Nachfrage nach privaten Konsumkrediten zurück, Immobilienkredite erfreuten sich hingegen großer Beliebtheit. "Die Haushalte setzen auf Vermögensaufbau. Sie nützen die Zeit, um in die eigenen vier Wände zu investieren", sagte Haber. In Österreich hat das Coronavirus dem Immobiliensektor bisher nichts anhaben können, eher im Gegenteil. In den Ballungszentren, vor allem in Wien, sind die Preise für Einfamilienhäuser noch etwas stärker angestiegen.

Insgesamt sind die heimischen Haushalte in der Coronakrise bisher finanziell auf Sicht gefahren - wegen der Unsicherheit und weil es während des Lockdowns eine Zwangskonsumpause gab. Im Gegensatz zu einigen anderen Ländern im Euroraum ist der Konsum in Österreich aber im ersten Halbjahr 2020 nicht so sprunghaft zurückgegangen, und auch die Sparquote stieg nicht so stark an wie im Euroraum . Die Notenbanker werten das als positiv. Im Juni 2020 betrug die Sparquote hierzulande 10,4 Prozent (auf Basis vier kumulierter Quartale), der Schnitt des Euroraums lag bei 10,3 Prozent. Für das Gesamtjahr 2020 prognostizierte die Oesterreichische Nationalbank (OeNB) zuletzt, im Juni, eine Sparquote von 13,4 Prozent, der aktuelle Lockdown ist da freilich noch nicht eingerechnet.

In der Zeit des ersten Lockdowns, im zweiten Quartal 2020, sind sowohl die verfügbaren Nettoeinkommen als auch der Konsum in historischem Ausmaß eingebrochen. Die Einkommen gingen, kumuliert über vier Quartale, um 1 Prozent zurück, zehnmal stärker als während der Finanzkrise 2009 (minus 0,1 Prozent). Grund dafür war hauptsächlich das Absacken des Vermögenseinkommens (zusammengerechnete vier Quartale: minus 19,7 Prozent), das Arbeitnehmerentgelt stieg hingegen leicht um 0,8 Prozent an. Der Konsum knickte im Frühjahrsquartal um 3,5 Prozent ein.

Dass die Angst der Österreicher zu Beginn der Krise groß war, zeigt sich etwa am Bargeldbestand. Vor allem in den ersten Tagen und Wochen haben sie vermehrt Cash abgehoben - im Schnitt hortete ein Haushalt im ersten Halbjahr 2020 rund 350 Euro. Insgesamt erhöhte sich der Bargeldbestand des Haushaltssektors in dem Zeitraum um 1,4 Mrd. Euro. Gleichzeitig führten private Gesellschafter (kleine Unternehmer), die die OeNB im Haushaltssektor erfasst, Unternehmen 2,9 Mrd. Euro an frischem Eigenkapital zu.

Einen Rekord gab es bei der Geldvermögensbildung, die im ersten Halbjahr mit knapp 13,5 Mrd. Euro so hoch war wie in manchen vorangegangenen Gesamtjahren. Weiterhin besonders gefragt sind - wegen der niedrigen Zinsen - täglich fällige Einlagen. Reduziert wurden hingegen im ersten Halbjahr 2020 gebundene Einlagen und Anleihen. Börsennotierte Aktien sind beliebter geworden - "vor allem nach dem Börsencrash im März", wie Haber erläuterte. Insgesamt spielen börsennotierte Aktien aber bei der Geldvermögensbildung im Gegensatz zu täglich fälligen Einlagen oder Beteiligungen ohne börsennotierte Aktien, Bargeld sowie sonstige Forderungen noch immer eine untergeordnete Rolle.

Unternehmenseinlagen stiegen mit Ausbruch der Coronakrise sowohl in Österreich als auch im Euroraum sprunghaft an, wohl aufgrund aufgeschobener Investitionen. Auch Firmenkredite legten stark zu. Hierzulande stieg die Jahreswachstumsrate von 5,4 Prozent im Februar auf 7,2 Prozent im April, danach nahm sie wieder ab, auf 5,8 Prozent im September, was jedoch ein hohes Niveau ist. Im Euroraum brauchten besonders nicht-finanzielle Unternehmen in Frankreich, Spanien und Italien mehr Geld von der Bank.

Unternehmenskredite bis zu einer Million Euro waren in Österreich besonders im Mai und Juni stark nachgefragt, speziell jene mit einer Laufzeit von ein bis fünf Jahren. Unter diese fallen nämlich die zu 100 Prozent staatlich garantieren Überbrückungsfinanzierungen bis 500.000 Euro und null Prozent Zinsen. In den ersten neun Monaten 2020 wurden 6,9 Mrd. Euro an Krediten bis zu einer Million vergeben, mehr als im Vergleichszeitraum 2019 (6,5 Mrd. Euro). Der Durchschnittszinssatz sank wegen des hohen Staatsgarantieanteils von 1,7 Prozent im April auf 1,21 Prozent im Juni.

Das Volumen der gestundeten Kredite reduzierte sich von Juni bis September von mehr als 30 Mrd. auf 17,3 Mrd. Euro. Davon waren 10,7 Mrd. Euro freiwillige Stundungen, von denen wiederum 7,3 Mrd. Euro auf Unternehmenskredite entfielen. Bei den privaten Stundungen (im September noch insgesamt 10 Mrd. Euro) war hingegen das Gros gesetzlich (6,6 Mrd. Euro).

Im Gegensatz zur Finanzkrise 2008/09 seien die Banken nicht Teil des Problems, sondern Teil der Lösung, sagte Haber. Die vermehrte Kreditvergabe berge aber auch Risiken. "In den Büchern der Kreditinstitute befinden sich höhere Risiken als zuvor." Der Anteil notleidender Kredite sei zwar noch nicht angestiegen, "aber wir gehen davon aus, dass das in den nächsten ein, zwei Jahren bei den Banken aufschlagen wird." Daher müsse sichergestellt werden, dass die Finanzmärkte nicht überfordert werden.

Wie sich der zweite Lockdown auswirken wird, sei seriös noch nicht vorherzusagen. Momentan sei er auf einige wenige Branchen beschränkt. Während sich die Sommermonate in Österreich - Stichwort Urlaub im Inland - besser entwickelt hätten als befürchtet, sei nun die globale Coronaentwicklung schlechter als erhofft. Die Wirtschaftsforschungsinstitute hätten ihre Prognosen für 2020 schon etwas gesenkt. Es könnte 2021 zu einer weiteren Verzögerung des Aufschwungs kommen. Der treibende Faktor werde das Pandemiegeschehen sein, dazu zähle auch die Verfügbarkeit eines Impfstoffs. Neben kurzfristigen Auswirkungen habe Corona auch langfristige Folgen, beschleunige Entwicklungen wie die Digitalisierung, ergänzte Johannes Turner, Direktor der Hauptabteilung Statistik. Möglicherweise werde der Kongresstourismus abnehmen, Friseure hingegen dürfte der Strukturwandel weniger treffen.

Aber auch wenn ein Impfstoff da ist und das Gesundheitsthema im Griff ist, werde die Unsicherheit in den kommenden Monaten anhalten, so Haber. Ein Risiko sei etwa das Thema Brexit bzw. Handelsabkommen mit Großbritannien. Zum Ausgang der US-Wahl sagte der Notenbanker, dies deute auf eine Entspannung der internationalen Handelsbeziehungen hin, wenngleich China und Russland verhalten reagierten. Joe Biden dürfte weniger protektionistisch agieren als der noch im Amt befindliche US-Präsident Donald Trump.

Für das Tourismusland Österreich sind nach Ansicht der OeNB Reisebeschränkungen eines der größten Risiken. Im zweiten Quartal 2020 brachen die Reiseverkehrseinnahmen nach Berechnungen der Nationalbank fast völlig weg, der Rückgang gegenüber dem Vorjahresquartal betrug 82 Prozent. Die Reiseverkehrseinnahmen deutscher Touristen sackten um 80 Prozent ab, Gäste aus den USA, Großbritannien und China blieben fast vollständig aus.

(GRAFIK 1310-20, Format 88 x 68 mm) (Schluss) snu/bel

WEB http://www.oenb.at/

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