23.06.2017 23:47:55

Neue Westfälische (Bielefeld): Kommentar: EU-Gipfel Europa en marche Knut Pries, Brüssel

Bielefeld (ots) - Die EU-Oberen haben ihre jüngste Zusammenkunft in Brüssel zur Leistungsschau gemacht: Auf breiter Front wurden Themen zügig abgeräumt, Beschlüsse gefasst und weitere große Dinge angekündigt. Brexit, Trump und Macron haben der EU geholfen, das Bild der Geschlossenheit zu vermitteln, dem sie in der Vergangenheit so oft vergeblich hinterherhechelte. Das ist politisch ein Fortschritt und als Marketing-Übung jedenfalls erstklassig. Die Substanz ist freilich nicht ganz so eindrucksvoll wie die kraftstrotzenden Parolen glauben machen wollen. Das zeigt sich vor allem beim leidigen Thema Migration. Der zähe Widerstand der Visegrad-Staaten gegen jede gemeinschaftlich organisierte Verpflichtung zur Aufnahme von Flüchtlingen ist ungebrochen. Das andere Verständnis von internationaler Solidarität und nationaler Identität geht einher mit der offenen Weigerung, bindende EU-Regeln zu akzeptieren. Das ist mehr als punktuelle Meinungsverschiedenheit. Das ist ein Grundsatzkonflikt über die Ausgestaltung und Ausrichtung der EU. Die beim Brüsseler Gipfel verbreitete Aufbruchsstimmung, der Glanz des neuen Hoffnungsträgers Emmanuel Macron, der eindrucksvolle Tatendrang des wiedererwachten deutsch-französischen Tandems - all das hat bei diesem Sonnenschein-Gipfel die Differenzen zwar überstrahlt. Aufgelöst hat es sie aber nicht. Und dass auch die aktuelle Begeisterung keineswegs flächendeckend ist, zeigte die vielsagend muffelige Reaktion des ungarischen Ministerpräsidenten Orban auf den Auftritt des jungen Kollegen aus Paris: "Wenig ermutigend!" Es sind dies indes nur Abstriche an einer grundsätzlich begrüßenswerten Dynamik. Nichts hat der EU zuletzt so gefehlt wie der Glaube an sich selbst und der Wille, das längst nicht vollendete Werk der europäischen Integration weiter voranzutreiben. Schon wahr - Stimmungen können schnell wieder kippen. Doch Stimmungen haben auch das Zeug, politische Produktivkräfte zu werden. Nach dem alten Motto: Nur wer selbst begeistert ist, kann auch andere begeistern. Wie es Angela Merkel, Stubenälteste im Europäischen Rat, nach zwölf Jahren im Amt schafft, sich an der Seite des EU-Frischlings Macron zur besseren Hälfte einer europäischen Jugendbewegung zu inszenieren, muss Martin Schulz, ihren Nachfolgekandidaten, persönlich deprimieren. Als Erz-Europäer aber müsste er Beifall klatschen.

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