24.07.2015 22:42:39
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Neue Westfälische (Bielefeld): Kommentar Brüssel in der Sommerpause Die EU in der Sinnkrise Fabian Fellmann, Brüssel
Bielefeld (ots) - Der zu Ende gehende Monat wird in die Geschichte
Europas eingehen. Jetzt, zu Beginn der Brüsseler Sommerferien,
kratzen sich Proeuropäer verlegen am Kopf und fragen sich bange,
wohin die Reise den Kontinent führen mag. "Das ist nicht mehr meine
Europäische Union", schreibt etwa der 24-jährige Pietro Grandi,
italienischer Student in Großbritannien, in einem Blog-Beitrag. Viele
fühlen ähnlich, vor allem jüngere Bürger. Die EU habe ihre
politischen Ideale verraten und werde wieder zu einem reinen
Binnenmarktprojekt, das sich nur um die Wirtschaft kümmere, beklagt
sich der Mitarbeiter eines EU-Parlamentariers. Es sind zwei
Ereignisse im Juli, welche diese Sinnkrise in der Europäischen Union
ausgelöst haben. Zum einen haben die Euro-Länder Griechenland einen
harten Spar- und Reformkurs diktiert. Zum andern haben die EU-Länder
die Zielvorgabe verpasst, 40.000 Flüchtlinge aus Italien und
Griechenland aufzunehmen und die beiden Grenzstaaten zu entlasten.
Damit wurde gleich zweimal auf die Probe gestellt, was die Union
zusammenhalten soll: die Einheit der Werte und die Solidarität unter
den Mitgliedern. Beide Male hat die EU versagt - so fühlen viele. Der
Philosoph Jürgen Habermas kritisierte, die deutsche Regierung habe in
einer Verhandlungsnacht das politische Kapital eines halben
Jahrhunderts verspielt. Bundeskanzlerin Angela Merkel sei die
"Zuchtmeisterin des Kontinents", schrieb der Kurier in Österreich.
Die Sinnkrise trifft die EU in einem schwierigen Moment: Russland
spielt in der Ukraine und dem Baltikum Katz und Maus mit der Union.
Großbritannien droht mit einem Austritt. Von rechts und links
bedrängen Protestparteien in vielen Ländern die bröckelnde
proeuropäische Mitte. Auf all diese Herausforderungen reagieren die
Staats- und Regierungschefs der EU keineswegs souverän, sondern
höchst defensiv. Freimütig wies EU-Kommissionspräsident Jean-Claude
Juncker diese Woche auf den Mangel an politischem Gestaltungswillen
hin: "Wir haben das Schlimmste verhindert, und zwar nicht, weil wir
so unglaublich klug wären, sondern weil wir schlicht Angst hatten."
Die europäischen Politiker haben Angst. Angst vor Russland, Angst vor
ihren eigenen Bürgern, die sich gegen Kredite für Griechenland oder
Flüchtlingsheime wehren könnten. Sie haben Angst, politischen Mut zu
zeigen. Dabei ist überdeutlich geworden, dass die Eurozone stärker
zusammenwachsen muss und dafür eine stärkere politische Legitimation
benötigt. Deutschland und Frankreich arbeiten derzeit an Vorschlägen,
doch die Pläne bergen die Gefahr, dass die EU in zwei Lager gespalten
wird: die enge Euro-Union und die losere Gesamt-EU. Doch existiert
diese Trennung schon heute. Noch zeigen der französische Präsident
François Hollande und Kanzlerin Angela Merkel keinen großen Willen,
diese Diskussion offensiv anzugehen. Nach der Sommerpause müssen sie
aber dringend wieder Europa den Weg weisen. Selbst wenn das Ziel eine
weniger ambitionierte, zweiteilige Union ist, die vielleicht zunächst
weniger Begeisterung weckt, langfristig aber mehr Resultate liefern
kann.
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