Ukraine-Krise eskaliert 29.08.2014 10:58:32

NATO liefert Belege für russischen Einmarsch in der Ukraine

Der Westen steht unter Zugzwang. Ein hochrangiger NATO-Offizier erklärte, mehr als 1.000 russische Soldaten kämpften an der Seite der Separatisten im Osten der Ukraine. Das ist die höchste Zahl, die das westliche Militärbündnis bisher genannt hat. Er sprach jedoch nicht von einer Invasion, sondern von einem "Einfall". Russland versuche offensichtlich, eine Niederlage der prorussischen Rebellen zu verhindern.

   Das US-Außenministerium kritisierte, es gebe "ein Muster der eskalierenden Aggression von den Russen und den von Russland unterstützten Separatisten in der Ukraine". Dennoch betonte die Sprecherin des Außenministerium, Jen Psaki, dass die USA und ihre europäischen Verbündeten versuchten, den russischen Präsidenten Wladimir Putin mit diplomatischen statt militärischen Mitteln zum Rückzug zu bewegen.

   USA werden militärisch nichts unternehmen

   "Wir werden keine militärischen Aktionen unternehmen, um das Ukraine-Problem zu lösen", sagte US-Präsident Barack Obama vor Journalisten im Weißen Haus. "Die Ukraine ist kein Mitgliedsstaat der NATO." Die USA seien jedoch zu Militäraktionen bereit, sollten NATO-Mitgliedstaaten in Osteuropa angegriffen werden, betonte der US-Präsident. Washington werde seinen Bündnis-Verpflichtungen nachkommen und jedes Mitglied des Atlantischen Bündnisses "sehr ernsthaft verteidigen".

   Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte am Donnerstagabend, das russische Vorgehen in der Ukraine-Krise dürfe "nicht folgenlos bleiben". Merkel habe am Donnerstagabend mit US-Präsident Barack Obama telefoniert, beide seien sich "einig, dass ein solches Verhalten nicht folgenlos bleiben dürfe", teilte Merkels Sprecher Steffen Seibert mit. Der "Zustrom weiterer russischer Soldaten und russischen militärischen Geräts" in den Südosten der Ukraine höhle die "territoriale Integrität und Souveränität der Ukraine weiter aus".

   Merkel kündigte an, dass die europäischen Staats- und Regierungschefs bei ihrem Treffen in Brüssel am Wochenende eine Verschärfung der Sanktionen gegen Russland diskutieren würden.

   Der russische Präsident Putin sprach die Krise am Donnerstag nicht öffentlich an. Eine Kreml-Mitteilung, die sich auf ein Telefonat Putins mit dem italienischen Ministerpräsidenten Matteo Renzi bezog, erwähnte den mutmaßlichen militärischen Einfall Russlands nicht. Der Kreml teilte lediglich mit, beide Seiten seien sich einig, dass "eine rasche politische Lösung" der Krise notwendig sei.

   Renzis Büro äußerte sich jedoch sehr besorgt über die Lage und nannte die Präsenz russischer Truppen in der Ukraine "eine nicht tolerierbare Eskalation..., deren Konsequenzen sehr ernst sein könnten".

   Laut Kiew haben russische Truppen die Hafenstadt Nowoasowsk und mehrere Dörfer entlang der Grenze zu Russland erobert.

   "Kolonnen mit schwerem Geschütz, einer großen Menge an Waffen sowie Truppen der regulären russischen Armee haben einen Teil der Grenze, der nicht unter unserer Kontrolle steht, überquert", sagte der ukrainische Präsident Petro Poroschenko vor einer Krisensitzung mit seinem Sicherheitsstab auf seiner Webseite.

   Er rief die Menschen in der Ukraine jedoch zur Ruhe auf. "Die Situation ist natürlich außerordentlich schwierig....aber sie ist kontrollierbar, so kontrollierbar, dass wir nicht in Panik geraten müssen", sagte er. "Wir sind in der Lage, uns zu verteidigen."

   Rebellen sagen, die russischen Soldaten seien im Urlaub

   Bei der Krisensitzung führte der Nationale Sicherheits- und Verteidigungsrat der Ukraine die nationale Wehrpflicht wieder ein. Zudem will das Gremium von den USA den Status als Sonderverbündeter außerhalb der NATO erbitten. Es war allerdings nicht klar, ob die Regierung in Washington oder andere NATO-Mitglieder einen solchen Antrag unterstützen würden.

   Der ukrainische Botschafter bei der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) sagte, es gebe eine "direkte Invasion des russischen Militärs".

   Der russische OSZE-Botschafter bestritt jedoch, dass sich russische Soldaten auf dem Gebiet der Ukraine befinden - abgesehen von zehn Soldaten, die laut Moskau versehentlich die Grenze übertreten haben. "Keine russischen Soldaten übertreten irgendwo die ukrainische Grenze", sagte Andrej Kelin.

   Die Separatisten im Osten der Ukraine bestätigten hingegen erstmals, dass reguläre russische Truppen in dem Konflikt kämpften. Sie behaupten jedoch, dass sich die russischen Soldaten nur kurzfristig in der Ukraine aufhielten, während sie im Urlaub seien.

   "Ich werde offen sagen, dass an unserer Seite aktive Soldaten kämpfen, die ihren Urlaub nicht am Strand verbringen wollen", sagte Alexander Khartschenko, Ministerpräsident der von den Rebellen ausgerufenen "Volksrepublik Donezk" im Interview mit dem russischen Fernsehen. "Sie sind unter uns als Brüder, die für ihre Freiheit kämpfen."

   Börse reagiert heftig auf die Spannungen

   An der Börse schlugen sich die neusten Entwicklungen deutlich nieder. Der russische Aktien-Leitindex Micex fiel wegen der Spannungen um 2 Prozent. Der Kurs des Rubels fiel gegenüber dem US-Dollar auf den niedrigsten Stand seit fast sechs Monaten.

   Der Westen droht seit Monaten mit einer Verschärfung der Sanktionen gegen Russland, sollte das Land in der Ostukraine einmarschieren.

   Bundeskanzlerin Angela Merkel vermied es jedoch bisher, den mutmaßlichen Einmarsch Russlands in die Ukraine scharf zu verurteilen. Sie kündigte aber an, dass sich der EU-Gipfel mit einer neuen Sanktionsrunde gegen Moskau befassen werde, und bekräftigte, alles für eine diplomatische Lösung tun zu wollen. Auch die USA sehen keine Basis für ein militärisches Eingreifen.

   Das ukrainische Militär ist schlecht ausgerüstet und muss sich stark auf kaum ausgebildete Freiwillige verlassen. Es dürfte kaum Chancen gegen eine größere Offensive aus Russland haben.

   Wenn die Sanktionsdrohungen Moskau nicht länger abschrecken, müsste Kiew einen Waffenstillstand eingehen, der den Separatisten - und ihren Unterstützern in Russland - die Kontrolle über einen beträchtlichen Teil des Landes überlassen würde. Das wäre ein dramatischer Rückschlag für die prowestliche Regierung von Poroschenko, die engere Beziehungen zu EU und USA knüpfen will, und ein erneuerter Dämpfer für die am Boden liegende Wirtschaft.

   Krisengipfel der NATO am Freitag

   Die 28 NATO-Botschafter werden am Freitag zu einem Krisentreffen mit der Ukraine zusammenkommen, wie die Organisation mitteilte. Zweck des Treffens sei, Informationen über die Situation in der Ostukraine zu prüfen und auszutauschen, insbesondere was die Entwicklung in den letzten Tagen angehe.

   NATO-Brigadegeneral Nico Tak sagte am Donnerstag, mehr als 1.000 russische Soldaten operierten in der Ukraine. "Russische Kräfte sind aktiv in die Kämpfe in der Ukraine verwickelt. Die NATO verwende aber den Begriff "Einfall" für dieses Vorgehen. "Es ist nicht Sache der NATO, den russischen Einfall zu definieren. Aber es ist eine extrem beunruhigende Entwicklung."

   DJG/WSJ/sha

   Dow Jones Newswires

Von James Marson in Mariupol, Ukraine, und Gregory L. White in Moskau

MOSKAU

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