14.07.2015 22:37:42

Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zum Atom-Deal: Obamas großer Wurf von Thomas Spang

Regensburg (ots) - Gebissene Hunde bellen, sagt ein Sprichwort. Gemessen an der Heftigkeit der Kritik an dem ausgehandelten Nuklear-Deal mit Iran, hat Obama seinen Widersachern schmerzhafte Wunden beigebracht. Die lernen einmal mehr einen Präsidenten kennen, der so ziemlich das Gegenteil von der Karikatur ist, zu der sie ihn zu stilisieren versuchten: Ein prinzipienloser Schwächling, der sich von anderen bloß herumschubsen lässt. Von wegen! Der Friedensnobel-Preisträger braucht nicht mit dem Säbel zu rasseln, um zu beweisen, ein Rückgrat aus Stahl zu haben. Seine robuste Atom-Diplomatie produzierte in 20 Monaten mehr Ergebnisse als die Kraftmeierei seiner Kritiker. Sie stellt sicher, dass Iran über die kommenden zehn Jahre nicht in den Besitz einer Atomwaffe gelangt und danach vor erheblichen Hindernissen steht. Im Gegenzug für das Aufheben von Sanktionen gibt Iran fast seine gesamten Vorräte an angereichertem Uran auf. Damit verzichten die Mullahs auf das Material, ohne das sich keine Bombe bauen lässt. Gleichzeitig werden zwei Drittel aller Zentrifugen eingemottet und die gesamte nukleare Zulieferungskette unter Rund-um-die-Uhr-Kontrolle gestellt. Für den Fall einer Zuwiderhandlung gibt es einen Mechanismus, der das Gegenteil von blauäugig ist. Ein Gremium aus acht Vertretern der Verhandlungsparteien hat 65 Tage Zeit, etwaigen Vorwürfen nachzugehen. Es reicht ein einfacher Mehrheitsentscheid, die Sanktionen wieder in Kraft zu setzen. Das heißt, der Iran bräuchte mehr als die Unterstützung Russlands und Chinas, eine Rückkehr zu den schmerzhaften Strafmaßnahmen zu vermeiden. Tatsächlich ist dieses Nuklear-Abkommen alternativlos. Es sei denn, jemand hielte einen Waffengang für das probatere Mittel. Wer Benjamin Netanjahu zuhört oder dessen republikanischen Verbündeten im US-Kongress, könnte den Eindruck gewinnen, das Problem ließe sich mit ein paar Bunker-Buster-Bomben lösen. Dass eine regionale Macht wie Iran dies ohne Gegenwehr hinnähme, ist ähnlich illusionär wie die damalige Vorstellung der Neokonservativen, bei der Invasion des Irak mit Süßigkeiten und Blumen überhäuft zu werden. Deshalb werden die Kritiker des Iran-Abkommens auch die Mutter aller Lobby-Schlachten verlieren, die nun über Washington hereinbricht. Am Ende dürfte sich Präsident Obama mit einem Veto und der Erkenntnis durchsetzen, dass eine Welt ohne das Mullah-Regime gewiss sicherer wäre, der Weg dorthin aber nicht mit Waffen, sondern Diplomatie geebnet wird. Der Nuklear-Deal trägt dazu bei. So gesehen ist das Abkommen Obamas Äquivalent zu Richard Nixons Annäherung an die Volksrepublik China. Gewiss wird es noch lange dauern, ehe sich das Verhältnis zu Iran normalisieren kann. Aber es gibt gemeinsame Schnittmengen, wie zum Beispiel der Kampf gegen den IS. Zehn Jahre sind eine lange Zeit, in der die Spielräume genutzt werden können, die der Nuklear-Deal erschlossen hat. Obama lotet im Verhältnis zu Iran aus was geht. Einen neuen Waffengang im Mittleren Osten zu vermeiden und Regime auf Reformkurs, das die Bombe von sich aus nicht mehr will, wäre die beste aller Welten. Im Unterschied zu vielen seiner Kritiker praktiziert er Politik als Kunst des Möglichen. Und hat damit in seiner Präsidentschaft viel erreicht. Von der Rettung der US-Wirtschaft nach der Finanzkrise über die Jahrhundertreform des Gesundheitswesens bis hin zur Ausschaltung Osama bin-Ladens und der Öffnung gegenüber Kuba. Obama erweist sich mit dem Atomabkommen einmal mehr als der "Yes-We-Can"-Präsident, der er für Amerika sein wollte.

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