22.04.2016 23:32:37
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Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel von Martin Anton zum VW-Skandal
Regensburg (ots) - Es war ein starker Satz: "Wir werden alle
Kosten übernehmen." Gesagt hat ihn nicht etwa ein Volkswagenvorstand,
sondern er stammt aus einer Mitteilung des Ölkonzerns BP im Frühjahr
2010, nachdem die Explosion der Bohrplattform Deepwater Horizon
drohte, den gesamten Golf von Mexiko zu vergiften. Es war ein Zeichen
des Unternehmens an die Öffentlichkeit, dass man die Verantwortung
für die Katastrophe übernehmen wollte. Dass BP tatsächlich "alle
Kosten" begleichen würde, die aus dem Unglück entstanden, glaubten
schon damals die wenigsten. Denn das hätte mit an Sicherheit
grenzender Wahrscheinlichkeit das Ende des Konzerns bedeutet.
Volkswagen sieht sich im Abgasskandal einem ähnlichen Problem
gegenüber. Der Konzern kündigt gründliche Aufklärung an, zeigt
Reumütigkeit gegenüber Behörden und Kunden und bereitet sich auf
einschneidende Zahlungen vor. 16,2 Milliarden Euro legen die
Wolfsburger für die technischen Maßnahmen und rechtlichen Risiken
zurück, was sich in einem Rekordverlust des Konzerns für 2015
niederschlägt. Im Endeffekt, so lässt diese Rechnung interpretieren,
verzichtet VW ein Jahr auf seine Gewinne - und ein bisschen mehr - um
dann im kommenden Jahr wieder anzugreifen. Ein Jahr des Hungers für
Konzern und Anleger, um danach wieder fette Renditen zahlen zu
können. Dass die Wolfsburger ihre Rücklagen jetzt noch einmal um zehn
Milliarden Euro erhöht haben, liegt wohl an den "substanziellen
Entschädigungen" für amerikanische Autofahrer, auf die sich
US-Behörden mit VW geeinigt haben. Wie hoch diese konkret werden, ist
noch nicht bekannt. Klar ist indes, dass die betroffenen deutschen
Autofahrer auf entsprechende Zahlungen verzichten werden müssen.
Dementsprechen veräppelt fühlt sich mancher Dieselfahrer, als Opfer
des gleichen Verbrechens keine gleichwertige Wiedergutmachung zu
erhalten. Deutsche Politiker springen den Verbrauchern zur Hilfe und
fordern Sammelklagen, die der "class action" in den USA ähneln. Das
klingt verlockend, geben solche Klagen doch dem Einzelnen eine
deutlich bessere Chance, seine Ansprüche gegen einen Großkonzern
durchzusetzen. Doch muss man sich auch den Konsequenzen solcher
Möglichkeiten bewusst sein. Von einer Sammelklage nach Vorbild der
USA profitiert jeder Betroffene, unabhängig davon, ob er bei der
Klage beteiligt war oder nicht, ob er überhaupt von der Klage wusste,
oder von dem ihm angeblich erwachsenen Nachteil. In den USA gibt es
Internetseiten, auf denen Menschen suchen können, ob es gerade eine
Sammelklage gibt, von der sie profitieren könnten. Mithilfe findiger
Anwälte ist eine Klageindustrie gewachsen, die hierzulande - auch
wegen der zum Teil nichtig wirkenden Anlässe - bisher meist belächelt
wurde. Der VW-Konzern muss die fehlerhafte Software in den
betroffenen Autos reparieren oder auf Wunsch das Auto zurückkaufen.
Es geht bei der Aufarbeitung des Skandals noch weniger um
Gerechtigkeit als bei der Ölkatastrophe vor sechs Jahren. Es geht um
die Anwendung geltenden Rechts. Wer nachweisen kann, dass er durch
die Manipulationen Schaden davongetragen hat, kann auf Schadenersatz
klagen. Wichtiger ist, dass VW sich nicht davon freikauft, die
kriminellen Machenschaften aufzuklären. Verantwortung übernehmen
heißt in diesem Fall Transparenz zu zeigen - im Idealfall über den
Skandal hinaus.
OTS: Mittelbayerische Zeitung newsroom: http://www.presseportal.de/nr/62544 newsroom via RSS: http://www.presseportal.de/rss/pm_62544.rss2
Pressekontakt: Mittelbayerische Zeitung Redaktion Telefon: +49 941 / 207 6023 nachrichten@mittelbayerische.de
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