01.07.2015 23:02:40

Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel von Katia Meyer-Tien zur Bahn-Schlichtung

Regensburg (ots) - Am Ende ist der Tarifkonflikt bei der Bahn wieder das, was er mal war: Ein Tarifkonflikt. Im vermeintlichen Kampf Davids gegen Goliath haben die beiden Schlichter Bodo Ramelow und Matthias Platzeck die Steinschleuder einkassiert, die Kontrahenten an einen Tisch gesetzt und ein Ergebnis erzielt, mit dem beide Seiten leben können. Dass der Konflikt überhaupt so eskalieren konnte, liegt an drei Faktoren: Da ist zum einen die Bedeutung der Bahn als öffentliches Verkehrsmittel. Dadurch wurde der Arbeitskampf der GDL, anders als beispielsweise die Streiks in einem Industriebetrieb, vom ersten Tag an für Millionen Menschen spürbar. Dem GDL-Chef Claus Weselsky war damit eine enorme Öffentlichkeit gewiss, die er allerdings, Punkt zwei, nur begrenzt für sich zu nutzen wusste. Der sperrige Sachse sah und sieht sich einzig und allein seinen Gewerkschaftsmitgliedern und deren Interessen verpflichtet. Dass in seinem Verständnis zur Wahrung dieser Interessen unabdingbar die Ausweitung seiner Tarifabschlusskompetenz auch auf andere Berufsgruppen jenseits der Lokführer gehört, legten ihm viele als Machthunger aus. Er wiederum sah sich einer Hetzkampagne ausgesetzt: zum einen befördert durch die Presse, die ihn schon mal als "größenbahnsinnig" bezeichnete, zum anderen durch Bahn und Bundesregierung. Das geplante Tarifeinheitsgesetz empfindet er als direkten Angriff auf sich und seine Gewerkschaft. Das wiederum, Punkt drei, gab dem Konflikt eine gesamtgesellschaftliche Dimension. Die Diskussionen im Bahnkonflikt drehten sich bald nicht mehr um die Arbeitsbedingungen der Lokführer und ihrer Kollegen im Bahnbetrieb, sondern um die Grundsätze der Arbeitnehmermitbestimmung im Allgemeinen. Welche Einflussmöglichkeiten sollen kleine und kleinste Berufsgewerkschaften auf Tarifverhandlungen in Zukunft noch haben? Nach einem knappen Jahr mit neun Bahnstreiks, Millionen entnervten Bahnkunden und hunderten Millionen Euro Schaden für Industrie und Wirtschaft nun also eine Einigung zwischen den Konfliktparteien. In einem "umfassenden Programm zur Reduzierung der Belastung von Lokführern" stellt die Bahn 300 zusätzliche Zugführer ein, um so den Abbau von Überstunden zu ermöglichen und die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Dieses Ergebnis hätte Weselsky als Vertreter der Lokführer ohnehin aushandeln können. Aus seiner Perspektive das wohl wichtigste Resultat ist die Zusage der Bahn, bis 2020 weiterhin mit der GDL nicht nur über die Tarifbedingungen der Lockführer, sondern auch des von ihr vertretenen Zugpersonals zu verhandeln - und das unabhängig vom Inkrafttreten des Tarifeinheitsgesetzes. Damit bekommt die GDL ihre Tarifverträge für die einzelnen Berufsgruppen. Diese weichen aber zumindest in diesem Jahr nicht wesentlich von den bereits mit der EVG getroffenen Vereinbarungen ab. So hat auch die Bahn das erreicht, was sie wollte: Betriebseinheit, keine unterschiedlichen Vergütungen derselben Berufsgruppen innerhalb eines Betriebes. Angesichts der Geschichte dieses Konfliktes das wohl erstaunlichste Ergebnis ist aber nicht nur, dass es den Kontrahenten überhaupt gelungen ist, zu einer Einigung zu kommen. Vor allem auch die Zusatzvereinbarung ist bemerkenswert. Sie sieht bis 2020 ein verbindliches Schlichtungsverfahren vor, um eine ähnliche Eskalation zu vermeiden. Die Zusatzvereinbarung weist den Weg zurück in ein System der Sozialpartnerschaft. Diese Partnerschaft war lange Zeit einer der wesentlichen Bausteine des wirtschaftlichen Erfolges der Bundesrepublik. Denn sie garantiert im Idealfall - und anders als in anderen Ländern - dass die Gewerkschaften die Arbeitnehmerinteressen im Dialog mit den Arbeitgebern vertreten. Und den Streik nur als das allerletzte Mittel im Arbeitskampf sehen.

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