14.11.2016 22:07:38

Mittelbayerische Zeitung: Kommentar zu Steinmeier

Regensburg (ots) - von Reinhard Zweigler, MZ

Die Gewinne anderer würden oft wie eigener Verlust empfunden, meinte einst Wilhelm Busch. Der vor über 100 Jahren gestorbene humorvolle Zeichner und Dichter konnte die jetzige Konstellation um die Kandidatensuche für den nächsten Bundespräsidenten natürlich nicht ahnen. Doch sein Bonmot trifft die Lage ziemlich genau. Gabriels Coup mit der Nominierung von Frank-Walter Steinmeier zum Gauck-Nachfolger ist gleich eine doppelte Niederlage für die Kanzlerin. Erstens hatte Angela Merkel keine Kandidatin, keinen Kandidaten aus dem CDU-Revier anzubieten, die oder der auch nur annähernd das Gewicht des beliebten Außenministers gehabt hätte. Und zweitens konnte sie ihren Lieblings-Grünen Winfried Kretschmann nicht gegen den mosernden bayerischen Löwen Seehofer durchsetzen. Sollte Merkel wiederum die Unions-Kanzlerkandidatur übernehmen, wovon auszugehen ist, geht die CDU-Chefin angeschlagen ins Rennen. Sigmar Gabriel, dem in den vergangenen Jahren als Parteichef und als Wirtschaftsminister nicht all zu viel gelungen ist, kann endlich einmal gegen die Dauerkanzlerin Angela Merkel einen Punkt machen. Die frühe Nennung des Namens Steinmeier erwies sich im Nachhinein als kluger Schachzug. Damit baute er Druck gegen die Union auf, die derzeit ziemlich uneins ist. Noch dazu hätte der Chefdiplomat Steinmeier, der weit über die SPD-Grenzen hinaus Respekt genießt, auch in einer Kampfabstimmung eines dritten Wahlganges in der Bundesversammlung große Chancen gehabt. Ein Unions-Kandidat wäre dann vermutlich durchgefallen. Zumindest dies verhinderte Merkel nun, die Steinmeier plötzlich als "Kandidaten der Vernunft" preist. Dabei hatte sie den SPD-Minister noch bis vor kurzem jede Unterstützung verweigert. Das war ziemlich unvernünftig von Merkel. Die Kanzlerin steht nun, zumindest in der Präsidentenfrage, als Verliererin da. Dass es gleichwohl vernünftig ist, in den jetzigen stürmischen Zeiten einen erfahrenen und weltläufigen Politiker zum Staatsoberhaupt zu machen, ist dennoch richtig. Dem reichlich amtsmüden einstigen DDR-Bürgerrechtler Joachim Gauck folgt damit bald ein Mann nach, der den Politikbetrieb aus dem Effeff kennt. Das ist zwar eine gute Voraussetzung für das Schloss Bellevue. Zugleich aber muss Steinmeier erst noch nachweisen, dass er sich vom Politikgeschäft emanzipieren kann. Gauck dagegen ist, wie auch schon Vorgänger vor ihm, ein Bürgerpräsident. Dabei hat der einstige Chef der Stasi-Unterlagenbehörde weniger den Regierenden die Leviten gelesen, wie dies etwa Richard von Weizsäcker getan hat, sondern mehr das Hohelied der Freiheit gesungen. Der kantige Gauck wollte nie den Beifall von allen Seiten. In der Flüchtlingsfrage hat er sich einerseits zur Aufnahme von Verfolgten und deren Integration eingesetzt, gleichzeitig aber auch vor einer Überforderung der Bevölkerung gewarnt. Neben Beifall erlebte der Amtsinhaber auch wütende Proteste gegen sich. Gemeint war offenbar vor allem die Politik "der da oben", wozu man auch ihn zählt. Der "Glücksfall" Gauck als Bundespräsident wird sich nicht wiederholen lassen. Nun wird ein gestandener "Parteisoldat" das protokollarisch höchste Amt im Staat bekleiden. Die Personalie Steinmeier mag für die Union kein Ruhmesblatt und speziell für Merkel sogar ein Dämpfer sein, für das ganze Land betrachtet, bedeutet sie jedoch Stabilität und Kontinuität. Das zählt jetzt.

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