22.11.2015 20:32:38
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Mittelbayerische Zeitung: Dauerfrost zwischen Seehofer und Merkel / Das schlechte Miteinander setzt sich fort. Der CSU-Chef ist dabei Antreiber, aber auch Getriebener. Leitartikel von Christine Schröp
Regensburg (ots) - Der beim CSU-Parteitag auf offener Bühne
ausgetragene Streit zwischen Horst Seehofer und Angela Merkel um
Obergrenzen für den Zuzug von Flüchtlingen wird lange nachwirken. Es
kündigt sich Dauerfrost in den Beziehungen zwischen CDU und CSU an.
Wie schlecht es aktuell steht, lässt sich allein daran ablesen, dass
Seehofer zum Abschluss des CSU-Treffens ein deutliches Bekenntnis zur
Fortführung der Union für nötig hielt. Er hat ein Gespenst verjagt,
das in der CSU schon einmal spukte: 1976, als sein Vorgänger Franz
Josef Strauß aus Ärger über Helmut Kohl zornig mit Abspaltung drohte.
Unversöhnliche Gegenpositionen in der Asylpolitik hatten die
Beziehungen allerdings schon vor dem Krach in München auf Nullwerte
gekühlt. Merkel ließ Seehofer und seine CSU mehrfach am
ausgestreckten Arm hungern. Es gab wiederholt Szenen aus Berlin, in
denen Seehofer nach Koalitionsverhandlungen wie ein großer Schulbub
neben Merkel stand und trotz ziemlich leerer Taschen Fassung wahrte.
Affronts sind also eine wechselseitig praktizierte Übung. Wer
Seehofers Münchner Belehrungen für Merkel eine inakzeptable
Demütigung nennt, greift zu hoch. Beide haben gesagt, was sie
vielfach geäußert haben - nur eben zuvor nicht von Angesicht zu
Angesicht bei laufenden Kameras. Das ist nicht Majestätsbeleidigung
der mächtigsten Frau der Welt - so die rasche Legendenbildung -
sondern eine Spielart der Demokratie: Die Vorsitzende der
Schwesterpartei wurde unverblümt mit dem Dauerwunsch nach Obergrenzen
konfrontiert. Sicher war die Situation für die Kanzlerin unbehaglich
und ärgerlich. In den Olymp der Knigge-Versteher schafft es Seehofer
mit seinem kühlen Empfang nicht. Das gilt genauso für die
Delegierten, deren sehr, sehr spärlicher Beifall sich nicht an
Höflichkeiten orientierte - die Pfiffe aus der Runde gar nicht
eingerechnet. Doch es war wenigstens ehrlich, kein inszeniertes
Schauspiel, das Gegensätze übertüncht. Für Merkel war es auch ein
Realitätscheck: Der Schwund ihrer Beliebtheit einmal nicht
dokumentiert in nüchternen Umfragewerten, sondern in ernüchternden
Szenen - an einem Ort, an dem sie früher mit stehenden Ovationen
gefeiert wurde. Die Kanzlerin hat sich das kühle Willkommen in
München auch selbst eingebrockt. Sie ist den Delegierten nicht einmal
in kleinen Gesten entgegen gekommen. Mit einer Zusage von Obergrenzen
hatte, trotz anderslautender vollmundiger Bekundungen der
CSU-Granden, keiner gerechnet - wohl aber mit ein paar herzlichen
Worten, die signalisieren, dass sie begriffen hat, wie groß die
Sorgen sind, die viele in der CSU in der Flüchtlingskrise umtreibt.
Seehofer zählt dabei noch zu den Gemäßigten. Der Antreiber Merkels
ist dabei selbst Getriebener. Er spürt Druck im Kessel, ist in seiner
Partei mit immensen Erwartungen konfrontiert. Wobei es in der CSU
nicht nur eine Strömung gibt. Seehofer spricht für die Pragmatiker.
Die Hardliner sammeln sich hinter Finanzminister Markus Söder. Es
finden sich in der CSU sogar vereinzelt Merkel-Versteher, die die
Willkommens-Kultur der Kanzlerin gegenüber Flüchtlingen mit Respekt
betrachten. Das sorgte in München für eine eigentümliche Stimmung,
eine fast greifbare Ratlosigkeit und Zerrissenheit. Von
Geschlossenheit ist also auch die CSU in der Asylpolitik weit
entfernt. Die zwangsläufige Unzufriedenheit ist einer der Gründe für
das schlechte Abschneiden Seehofers bei der Wiederwahl zum
Parteichef. Mit dem Denkzettel wurde ausgerechnet der bisher
einflussreichste Kämpfer in Berlin geschwächt. Sollte Merkel nach
ihrem unglücklichen Auftritt in München auf Revanche aus sein - die
CSU-Delegierten haben sie ihr beschert. Hinter dem Dämpfer für
Seehofer verbergen sich noch andere Wahrheiten. Eine davon lautet:
Sein Gegenspieler Söder wird immer übermächtiger - wer ihn wie
zuletzt der CSU-Chef öffentlich abkanzelt, wird selbst abgestraft. In
seiner wohl letzten Amtszeit als CSU-Chef versagt Seehofer die Basis
die unbedingte Gefolgschaft und orientiert sich an denen, die in der
Zukunft in Verantwortung rücken. Der perfekt vernetzte Strippenzieher
Söder, der als Finanzminister beachtliche Arbeit leistet, ist dabei
feste Größe - allerdings nicht die einzige. Der Niederbayer Manfred
Weber, Chef aller Christsozialen im Europaparlament, rückte beim
Parteitag mit Bestergebnis bei den Vorstandswahlen in den Fokus: Er,
der kein Scharfmacher ist, sondern moderat und beharrlich sein Ziele
verfolgt. In der "Mia-san-mia"-CSU lässt sich immer wieder hübsch
beobachten, dass die Basis neben der lauten genauso die feinen Töne
liebt.
OTS: Mittelbayerische Zeitung newsroom: http://www.presseportal.de/nr/62544 newsroom via RSS: http://www.presseportal.de/rss/pm_62544.rss2
Pressekontakt: Mittelbayerische Zeitung Redaktion Telefon: +49 941 / 207 6023 nachrichten@mittelbayerische.de
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