08.07.2018 15:49:40
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Mays neue Brexit-Vorschläge stoßen auf Skepsis im In- und Ausland
LONDON (dpa-AFX) - Nach der Einigung im britischen Kabinett wächst die Kritik an dem Brexit-Kompromiss von Premierministerin Theresa May. Vertretern der Wirtschaft im In- und Ausland und der Opposition gehen die Vorschläge nicht weit genug. Die Brexit-Hardliner in Mays Partei fürchten, sie könnten um den EU-Austritt gebracht werden. Auch in Deutschland ist die Haltung zu den neuen Plänen eher skeptisch.
Viel Zeit bleibt nicht mehr. Großbritannien will in weniger als neun Monaten - am 29. März 2019 - die Staatengemeinschaft verlassen. Bis Herbst soll ein Austrittsabkommen stehen.
May hatte ihr Kabinett am Freitag zu einer zwölfstündigen Marathonsitzung auf den Landsitz Chequers nordwestlich von London beordert. Die Minister mussten während der Klausurtagung sogar ihre Smartphones abgeben. Am Abend verkündete May, die Regierung habe sich auf einen neuen Brexit-Plan geeinigt. Sie sieht nun die EU am Zug. "Das ist ein ernsthafter und umsetzbarer Vorschlag", sagte May in Interviews britischer Medien. Brüssel müsse nun seine starre Haltung aufgeben.
Den Plänen zufolge soll nach dem Brexit eine Freihandelszone für Waren und landwirtschaftliche Erzeugnisse zwischen Großbritannien und der EU entstehen. Eine neues Zollabkommen soll Grenzkontrollen zwischen Großbritannien und dem Kontinent und auch zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland überflüssig machen. Dafür will London künftig zwei verschiedene Zollsätze für Importe aus Drittländern erheben. Einen für Güter, die für die EU bestimmt sind und einen anderen für Waren, die in Großbritannien verkauft werden sollen.
Doch am Sonntag kam von mehreren Seiten scharfe Kritik an den Plänen. Der Brexit-Experte der Labour-Opposition, Keir Starmer, sprach von einem "wachsweichen Kompromiss". Die Pläne für das Zollabkommen seien ein "bürokratischer Alptraum" und "nicht unsetzbar". Labour fordert, dass Großbritannien ganz in der Zollunion bleibt.
Auf der anderen Seite zirkulierte unter Brexit-Hardlinern in Mays Konservativer Partei Berichten zufolge ein Papier, das vor einem "Schwarzen-Loch-Brexit" warnte. Großbritannien könne dauerhaft zu ein Vasallenstaat der EU werden, so die Warnung.
Positiver war die Reaktion in Teilen der Wirtschaft. "Es ist ein guter Start", lobte der Verband der britischen Industrie CBI (Confederation of British Industry). "Wir begrüßen die Entscheidung des Kabinetts, dem Handel und der Wirtschaft unter Leitung der Premierministerin Vorrang zu geben", sagte der Chef des britischen Handelskammerverbands BCC, Adam Marshall einer Mitteilung zufolge.
Der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau begrüßte den Fortschritt ebenfalls, mahnte aber Nachbesserungen an. "Die vorgeschlagene Erhebung unterschiedlicher Zölle bei Importen aus Drittländern wäre sehr bürokratisch und würde dem Zollbetrug Tür und Tor öffnen", sagte VDMA-Hauptgeschäftsführer Thilo Brodtmann.
Die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon äußerte die Hoffnung, die Pläne könnten ein erster Schritt hin zu einer vollen Mitgliedschaft Großbritanniens in Binnenmarkt und Zollunion sein.
Mit Spannung wird nun auf die Reaktion aus Brüssel gewartet. EU-Chefunterhändler Michael Barnier kündigte an, erst einmal die Details abwarten zu wollen. "Wir werden die Vorschläge überprüfen, um zu sehen, ob sie umsetzbar und realistisch sind", twitterte er. In der kommenden Woche will London einen ausführlichen Plan vorlegen.
Auf Einzelheiten warten will auch Jacob Rees-Mogg. Der einflussreiche Hinterbänkler in der konservativen britischen Regierungsfraktion gilt als glühender Verfechter eines klaren Bruchs mit Brüssel. Sollte sich der Kompromiss als verkappter Verbleib in der EU herausstellen, werde er im Parlament dagegen stimmen, kündigte er in der BBC an. Rees-Mogg steht an der Spitze einer etwa 60-köpfigen Parlamentariergruppe von Brexit-Hardlinern.
An diesem Montag will May ihre Fraktion über Details informieren. Die Regierungschefin kündigte an, sie werde keine öffentliche Kritik von Kabinettsmitgliedern an ihrem Brexit-Kurs mehr dulden. Ob ihr das gelingt, muss sich zeigen. Außenminister Boris Johnson soll die Pläne bei der Kabinettssitzung nach Medienberichten mehrmals wörtlich als "Scheißhaufen" bezeichnet haben. Trotzdem willigte er schließlich ein.
In Deutschland wurden die Pläne zurückhaltend aufgenommen. CDU-Europapolitiker Elmar Brok äußerte sich skeptisch, ob Brüssel die Vorschläge akzeptieren wird. Der Plan sehe so aus, als strebe Großbritannien eine Mitgliedschaft im Binnenmarkt nur für Waren an, sagte er am Samstag dem Sender BBC. Das widerspreche dem Grundsatz der EU, dass die vier Freiheiten von Waren, Dienstleistungen, Menschen und Kapital nicht verhandelbar seien.
Auch der stellvertretende SPD-Bundestagsfraktionschef Achim Post warnte, es könne und dürfe kein "Rosinenpicken" geben. Eine enge und konstruktive Partnerschaft zwischen der EU und Großbritannien sei wichtig und vernünftig. Die britische Regierung sei aber "falsch gewickelt, wenn sie meint, sich dafür die günstigsten Bedingungen aussuchen zu können", sagte Post.
May regiert seit einer Neuwahl im Juni 2017 nur mit hauchdünner Mehrheit und steht von mehreren Seiten unter Druck. Trotz der Einigung auf einen weicheren EU-Austritt will sich London auch verstärkt auf ein Scheitern der Gespräche mit Brüssel vorbereiten, wie die britische Regierung mitteilte./cmy/DP/he
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