Euro am Sonntag 02.04.2016 03:06:08

Klick-klick-Boom in China

von Carol Yuan, Gastautorin für Euro am Sonntag

Was haben folgende Dinge gemeinsam? Bilder von Zeitreisen, ein Weckruf von US-Präsident Barack Obama, Eulengewölle und ein schwer entflammbarer Panzeranzug? Keine Ahnung? Das sind nur einige der vielen Dinge und Dienstleistungen, die man in China online kaufen kann und die das neue chinesische Sprichwort belegen, das da lautet: "Was dir auch einfallen mag, das gibt es im Internet zu kaufen."

Die Geschwindigkeit und die Bereitschaft, mit der die Chinesen das Onlineshopping für sich entdeckt haben, sind wirklich erstaunlich. Noch vor wenigen Jahren waren im Onlinehandel fast nur junge Menschen aktiv, die vor allem auf Alibaba (der größten Onlinehandelsplattform in China) günstige Verbraucherelektronik und Kleidung erstanden. Zu Anfang belief sich die Zahl der Onlineshopper auf nur 15 Prozent der chinesischen Gesamtbevölkerung. Diese Zahl ist inzwischen auf fast 40 Prozent angestiegen und China wird den USA hier demnächst den Rang ablaufen.

In China ist die digitale Geldbörse längst Realität

Der Trend nimmt noch weiter Fahrt auf und die Bandbreite an Produkten und Kunden wächst. Seit Kurzem gehören auch Heimlieferservices, Schönheitspflege und Wellness, Renovierungen und Instandhaltungsdienste zur Angebotspalette und zu guter Letzt auch ­Finanzdienstleistungen einschließlich Versicherungen, Wealth Management und Peer-to-peer-Kredite.

Darüber hinaus scheint der technologische Fortschritt einen Schneeball­effekt zu haben. Seit man in China per Handy zahlen kann, sind die Online­umsätze rapide gestiegen. 55 Prozent der chinesischen Internetnutzer haben zumindest einmal per Handy bezahlt, während es in den USA nur 19 Prozent sind. In China ist die digitale Geldbörse kein Konzept mehr, sie ist eine allseits genutzte Option und eine neue Realität, die die Konsumgewohnheiten generationenübergreifend verändern wird.

Das chinesische Unternehmen Tencent hat seine Social-Media-Plattform WeChat von einem Instant-Messenger-Service zu einer digitalen Geldbörse und Onlineshopping-Plattform umgebaut, auf der die 1,1 Milliarden registrierten Nutzer fast alles von Lebensmitteln, Kleidung, Kinokarten, Taxis bis hin zu Versicherungspolicen online bestellen und per Handy zahlen können.



Dank der smarten Nutzung der sozialen Medien boomen Firmen wie die Three Squirrels, ein reiner Online­einzelhändler für Nüsse, und die Einkaufsplattform Mogujie. Sie setzen auf die soziale Interaktion und den Erlebnisfaktor und sind bei den ganz jungen Konsumenten, deren Kaufverhalten sich stark von dem älterer Generationen unterscheidet, sehr beliebt.

Neue technologische Konzepte wie die oben beschriebenen sowie Schnelligkeit, Bequemlichkeit und Unterhaltungswert lassen chinesische Verbraucher immer mehr Geld online ausgeben. Nach den jüngsten offiziellen Zahlen entfallen inzwischen mehr als 50 Prozent des chinesischen Bruttoinlands­produkts auf den Dienstleistungssektor, der kontinuierlich mehr als zehn Prozent Wachstum erzielt. Tatsächlich könnte das Wachstum sogar noch höher sein, denn ein Großteil der auf den ­explosionsartig wachsenden Start-up- Plattformen und sozialen Medien er­zielten Umsätze wird nicht ­erfasst, da private Verkäufer oder Dienstleister ihre Transaktionen gar nicht melden müssen. Die wichtigsten Zahlen konzentrieren sich traditionell auf den Output von Industrie und herstellendem Gewerbe und vernachlässigen den fragmentierteren Dienstleistungssektor, da hier die Datenerfassung, insbesondere im etablierten Onlinesegment, schwieriger ist.

Onlinehandel sorgt für Umgestaltung der Lieferketten

Hinzu kommt, dass der Wegfall kostspieliger Vertriebszentren in der Wertschöpfungskette die Kosten der Anbieter senkt. Dies wird nicht mehr nur im Bereich der traditionellen Konsumgüter (und Dienstleistungen) genutzt. Auch der landwirtschaftliche Sektor ist inzwischen mit von der Partie. Chinas Bauern nutzen insbesondere die Onlineplattform Alibaba als Vertriebsnetz und verschaffen sich so Zugang zu städtischen Verbrauchern, die großen Wert auf frische Qualitätserzeugnisse legen.

Der Wegfall suboptimaler Lieferkettenelemente schafft Mehrwert für Anbieter und Verbraucher. Die Optimierung könnte unterm Strich kurzfristig zwar deflationär wirken, man sollte dies aber nicht mit nachlassender Konsumnachfrage verwechseln. Im Gegenteil, höhere Gewinne bei den Erzeugern und niedrigere Preise sind starke fundamentale Indikatoren für eine nachhaltige Umgestaltung der Lieferketten.

Entwicklung nicht in offiziellen Arbeitsmarktdaten erfasst

Wichtig für China ist, dass dieser Trend Arbeitsplätze schafft. Seit 2014 hat der Logistiksektor mit einem Zuwachs von über 30 Prozent wohl am deutlichsten profitiert. Inzwischen konnten auch ­Finanzdienstleister, IT- und Immobiliendienstleister allesamt zweistellig zulegen. Außerdem bringt das Onlinegeschäft enorme Möglichkeiten für Selbstständige, die in diesen Wachstumsraten noch gar nicht enthalten sind.

Wenn es nicht mehr zwingend vorgeschrieben ist, für eine Geschäftstätigkeit ein Unternehmen zu gründen und anzumelden, kann diese Kategorie an Selbstständigen in den offiziellen Arbeitsmarktdaten auch nicht erfasst werden. Dieses Segment wächst jedoch, die geradezu überwältigende Fülle an Einzelbeispielen spricht eine deutliche Sprache. So liefert "Tantchens Küche" zum Beispiel hausgemachte Speisen über eine virtuelle Restaurantplattform und gibt Hausfrauen die Möglichkeit, vom heimischen Herd aus Geld zu ­verdienen.

Chinas Konsumsektor wandelt sich zum Besseren und das neue Verhalten der Verbraucher ist die treibende Kraft. Ob hausgemachte Speisen, Kinokarten oder eine Versicherungspolice, das chinesische Sprichwort, nach dem es fast nichts gibt, was man nicht im Internet kaufen kann, ist Realität geworden. Angetrieben von innovativen Ideen und unterstützt vom Internet als Handelsplattform treibt der Konsumsektor neue Blüten und wächst und gedeiht.

Kurzvita

Carol Yuan
Analystin bei Aberdeen Asset Management
Yuan ist ­Analystin im Asien-Fixed-Income-­Team von Aberdeen in Singapur. Sie arbeitet seit 2013 für Aberdeen. Yuan besitzt einen ­Bachelor-of- ­Commerce-Abschluss der Universität ­Melbourne und einen Master of Economics der Universität Sydney.
Aberdeen Asset Management ist einer der größten unabhän­gigen Vermögensverwalter der Welt und ­betreut aktuell ein Kundenvermögen von rund 395 Milliarden Euro.

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