Nach Abstimmung 02.10.2017 12:38:41

Katalonien bereitet sich auf Abspaltung vor - Beratungen in Madrid

Katalonien bereitet sich auf Abspaltung vor - Beratungen in Madrid

Die Regierung kam am Vormittag in Barcelona hinter verschlossenen Türen zusammen. Am Sonntagabend hatte sie mitgeteilt, 2,26 Millionen der 5,3 Millionen Wahlberechtigten hätten an der Abstimmung teilgenommen, also rund 42 Prozent. Von diesen hätten sich 90 Prozent für eine Abspaltung der wirtschaftsstarken Region ausgesprochen. Nach den Worten von Puigdemont hat Katalonien damit "das Recht gewonnen", einen eigenen Staat zu gründen. Diesen will er bereits in den nächsten Tagen ausrufen.

Auch Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy, der eine Minderheitsregierung anführt, berief verschiedene Treffen ein, darunter vor allem mit der Opposition. Am späten Nachmittag wollte er in Madrid mit dem Generalsekretär der stärksten Oppositionskraft, der sozialistischen Partei PSOE, zusammenkommen. Pedro Sánchez hatte bereits am Sonntag vor Medienvertretern erklärt, Rajoy müsse nun unbedingt in einen Dialog mit der katalanischen Führung treten. "Er muss verhandeln, verhandeln, verhandeln und ein Abkommen erzielen, das ist seine Verantwortung."

Puigdemont hatte das Referendum trotz der Verbote der Justiz und der Zentralregierung durchführen lassen. Aus Madrid entsandte Polizeieinheiten hatten dabei hart gegen katalanische Bürger durchgegriffen, die auf die Öffnung der Wahllokale warteten. Nach Angaben des katalanischen Gesundheitsministeriums gab es fast 900 Verletzte. Videos mit Aufnahmen von blutenden Menschen, prügelnden Sicherheitsbeamten und weinenden Kindern machten schnell auch außerhalb Spaniens die Runde.

Die katalanische Vertreterin in Deutschland, Marie Kapretz, forderte die EU am Montag auf, zwischen Madrid und Barcelona zu vermitteln. "Kann es sich die EU leisten, klare Gewalt gegen die Bevölkerung zuzulassen?", fragte Kapretz am Montag im "Deutschlandfunk". Es sei wichtig, dass die EU "einen Vermittlungsausschuss dorthin schickt, das wünschen wir uns sehr." Man sehe in der EU den Garanten für die Einhaltung der demokratischen Spielregeln, sagte Kapretz.

Auch an den europäischen Finanzmärkten hinterließ die turbulente Abstimmung Spuren. Der Kurs des Euro geriet am Montag unter Druck. Besonders deutlich zeigte sich die Reaktion bei spanischen Staatsanleihen, deren Renditen spürbar zulegten. Auch an der spanischen Aktienbörse kam es im frühen Handel zu Einbußen.

Nach dem vom Regionalparlament in Barcelona verabschiedeten "Abspaltungsgesetz" könnte die Regionalregierung schon innerhalb der nächsten 48 Stunden die Unabhängigkeit ausrufen. Vor Bekanntgabe der offiziellen Resultate hatte der regionale Regierungschef Puigdemont erklärt, er werde die Ergebnisse des Referendums dem katalanischen Parlament zuleiten.

Das Verfassungsgericht hatte die Abstimmung für illegal erklärt, da das spanische Grundgesetz keine solche Unabhängigkeits-Referenden vorsieht. Barcelona setzte sich jedoch über das Urteil hinweg und rief die Bürger auch gegen den Willen der Zentralregierung zum Votum auf. Madrid entsandte daraufhin tausende Polizisten, um die Menschen am abstimmen zu hindern. Rund 850 Bürger wurden verletzt, nachdem Polizisten Schlagstöcke und Gummigeschosse eingesetzt hatten. Auch 33 Beamte trugen Verletzungen davon.

Die Frage auf den Stimmzetteln lautete: "Wollen Sie, dass Katalonien zu einem unabhängigen Staat in Form einer Republik wird?" Da die Gegner einer Abspaltung überwiegend nicht zur Wahl gehen wollten, war eine klare Mehrheit für die Loslösung erwartet worden. Bei einer Abspaltung der von ausländischen Touristen meistbesuchten Region des Landes würde das EU-Land auf einen Schlag knapp 20 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts verlieren.

Viele Medienbeobachter und Politiker machen unterdessen sowohl Rajoy als auch Puigdemont für die explosive Lage verantwortlich. Beide hätten auf Konfrontation statt auf Dialog gesetzt, hieß es häufig. Die stärkste Oppositionskraft in Madrid, die sozialistische Partei (PSOE), sprach von "Schande und Traurigkeit". PSOE-Chef Pedro Sánchez rief in erster Linie Rajoy zu Verhandlungen auf. "Er muss verhandeln, verhandeln und nochmal verhandeln und ein Abkommen (mit Katalonien) erzielen. Das ist seine Verantwortung."

Nach der Chaos-Abstimmung äußerten viele Politiker auch im Ausland Sorge und Unverständnis. "Ich will mich nicht in innenpolitische Angelegenheiten in Spanien einmischen, aber ich verurteile scharf, was heute in Katalonien passiert ist", schrieb der Fraktionschef der Liberalen im Europaparlament, Guy Verhofstadt, auf Facebook. Es sei "höchste Zeit für eine Deeskalation." Die Grünen im Europa-Parlament verlangten, dass sich Brüssel in den Konflikt einschalte. Auch Puigdemont forderte die EU auf, nicht länger wegzuschauen.

Grünen-Chef Cem Özdemir forderte Madrid zum Dialog auf. "Der massive Polizeieinsatz gegen die Menschen, die wählen wollen, ist ein Fehler. Dieses Vorgehen wird das politische Problem nur verschärfen", sagte Özdemir der Deutschen Presse-Agentur. Der Ball liege nun in Rajoys Feld. Özdemir sprach sich zudem dafür aus, dass die EU-Kommission diesen Gesprächsprozess unterstützt.

Trotz des harten Polizeieinsatzes wurde in Katalonien vielerorts abgestimmt. Die Regionalregierung teilte mit, 96 Prozent der 3215 Wahllokale hätten am Sonntag normal funktioniert. Auch Fußballstar Gerard Piqué vom Topclub FC Barcelona gab seine Stimme ab. "Ich habe abgestimmt. Gemeinsam sind wir beim Schutz der Demokratie nicht zu stoppen", twitterte der 30 Jahre alte Katalane, der mit Pop-Queen Shakira zwei Kinder hat.

Seit Wochen hatte Rajoy immer wieder versucht, die Befragung zu verhindern. Bei Dutzenden von Razzien wurden mindestens zwölf Millionen Wahlzettel sowie Millionen von Wahlplakaten und Broschüren beschlagnahmt. Viele Webseiten wurden gesperrt. Mehr als 4000 Angehörige der Guardia Civil und der Nationalpolizei wurden nach Katalonien entsandt.

BARCELONA (dpa-AFX)

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Bildquelle: Andreas Hermsdorf / pixelio.de,pedrosal / Shutterstock.com,iStock/CGinspiration,Chanclos / Shutterstock.com
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