18.06.2016 01:30:47
|
IWF warnt Briten vor Einkommensverlusten durch Brexit
Von Hans Bentzien
FRANKFURT/WASHINGTON (Dow Jones)--Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat die Briten vor den negativen wirtschaftlichen Auswirkungen eines EU-Austritts gewarnt. In einem Bericht zum Abschluss von Artikel-IV-Konsultationen listet der IWF unter den zu erwartenden Auswirkungen eines Brexit niedrigere Exporte, Investitionen, Produktivität und Löhne auf. Am schlimmsten für die Wirtschaft wäre laut IWF ein Szenario, in dem nach einem Brexit-Beschluss lange eine große Unsicherheit über die Außenhandelsbeziehungen Großbritanniens bestehen würde.
"Studien kommen zu dem Ergebnis, dass die EU-Mitgliedschaft die Ausbringung der Wirtschaft Großbritanniens permanent erhöht hat, dass es aber nicht zu dauerhaften Änderungen des Produktionspotenzials gekommen ist. Das bedeutet, dass die EU-Mitgliedschaft zwar zu höheren Einkommen geführt hat, aber nicht das langfristige Wirtschaftswachstum", heißt es in dem Bericht.
Großbritannien würde ohne EU-Mitgliedschaft schlechter dastehen Laut IWF kommen die meisten Studien zu dem Ergebnis, dass Großbritannien ohne EU-Mitgliedschaft langfristig schlechter dastehen würde als mit. Allerdings, so fügt er hinzu, seien die Ergebnisse dieser Studien recht breit gestreut, und einige kämen auch auf Output- und Einkommenszugewinne.
Studien mit negativem Ergebnis verwiesen überwiegend auf die geringere Handelsverflechtung mit der EU, einige auch auf in der Folge zu befürchtende Produktivitätsverluste. Studien mit positiven Ergebnissen dagegen höben auf den Wegfall der regulatorischen Kosten durch die EU-Mitgliedschaft ab, unterstellten teilweise eine zusätzliche Deregulierung in Großbritannien und einen fortgesetzten Zugang zum Binnenmarkt bzw. das Zustandekommen von Freihandelsabkommen.
IWF erwartet keine schnelle Umorientierung bei Exportzielen Der IWF erwartet nicht, dass Großbritannien für seine Exporte in die EU schnell andere Ziele finden wird. Das Standardmodell gehe davon aus, dass die geografische Nähe eng mit dem Ausmaß des Außenhandels zusammenhänge. Zudem dauere das Aushandeln bilateraler Handelsvereinbarungen erfahrungsgemäß Jahre.
Die von vielen Briten gefürchtete Einwanderung ist für Großbritannien nach Einschätzung des IWF eher nützlich. Der Fonds verweist auf eine Studie, derzufolge eine Halbierung der EU-Einwanderung die Wirtschaftsleistung langfristig um 2,7 bis 11,0 Prozent mindern würde.
Folgende langfristige Auswirkungen hätte laut IWF ein Brexit: 1. Ein verringerter Zugang zum Binnenmarkt würde die Rendite des eingesetzten Kapitals verringern, weshalb die britischen Unternehmen ihre Investitionen und Löhne herunterfahren dürften.
2. Dauerhaft niedrigere Einkommen würden im Verein mit niedrigeren Reallöhnen zu einem verringerten Konsum führen.
3. Eine permanent niedrigere Exportnachfrage würde im Zuge einer Ausbalancierung der Leistungsbilanz zu einem niedrigeren Außenwert des Britischen Pfund führen. Dadurch würden sich die Einfuhren verteuern. Zwar würden zugleich die Ausfuhren preislich wettbewerbsfähiger, doch würde dieser Effekt wohl durch höhere Handelsbarrieren überkompensiert.
4. Besonders ausgeprägt wären Verluste, wenn der verringerte Außenhandel zu niedrigerer Produktivität und geringeren Investitionen führen würde. Einschränkungen bei der Zuwanderung wären nicht nur schlecht für die Beschäftigung, sondern wohl auch für das Qualifikationsniveau und die Effizienz.
Kurzfristig sieht der IWF das Risiko, dass ein Brexit zu Finanzmarktturbulenzen führen könnte. Schlimmstenfalls könnte die Refinanzierung der britischen Banken unterbrochen werden, was wiederum die Kreditversorgung von Unternehmen und privaten Haushalten gefährden würde.
In der Übergangsperiode nach dem Brexit würde laut IWF die Risikoaversion der Wirtschaftsakteure zunehmen. Die in Großbritannien tätigen in- und ausländischen Unternehmen würden vermutlich ihre Investitionen einschränken, bis neue Handelsabkommen abgeschlossen sind. Manche Unternehmen könnten Großbritannien sogar verlassen.
BIP bei starker Unsicherheit um bis zu 5,6 Prozent niedriger Je nach Schwere der Verunsicherung und Risikoaversion erwartet der IWF eine unterschiedlich starke Verringerung des Wirtschaftswachstums. Bei begrenzter Unsicherheit wird sich das Wachstum laut IWF 2016 auf 1,7 Prozent und 2017 auf 1,4 Prozent verringern, bei starker Unsicherheit werden 1,1 Prozent Wachstum für 2016 und sogar 1,1 Schrumpfung für 2017 unterstellt.
In seinem Basisszenario, das von einem EU-Verbleib Großbritanniens ausgeht, prognostiziert der IWF Wachstumsraten von 1,9 und 2,2 Prozent. Im Falle des nachteiligsten Szenarios würde die Veränderungsrate des Bruttoinlandsprodukts (BIP) 2016 um 0,8 Prozentpunkte niedriger als im Basisszenario liegen. Für 2017, 2018 und 2019 werden Abweichungen von 3,7 Prozent, 5,2 Prozent und 5,6 Prozent genannt.
Andere EU-Länder wären laut IWF ebenfalls von einem Brexit betroffen - am stärksten Malta, Irland, Zypern, die Niederlande und Belgien, schwächer Frankreich, Deutschland, Italien und Spanien.
Kontakt zum Autor: hans.bentzien@dowjones.com
DJG/hab/mgo
(END) Dow Jones Newswires
June 17, 2016 19:00 ET (23:00 GMT)
Copyright (c) 2016 Dow Jones & Company, Inc.- - 07 00 PM EDT 06-17-16
Wenn Sie mehr über das Thema Aktien erfahren wollen, finden Sie in unserem Ratgeber viele interessante Artikel dazu!
Jetzt informieren!