Banken vor dem Kollaps? 21.07.2016 16:55:00

Italien: Eine Krise "epischen Ausmaßes" und Gefahr für ganz Europa

Dass Italiens Banken ein milliardenschweres Kapitalproblem haben, ist inzwischen allseits bekannt. Dass Italiens Banken die Finanzstabilität Europas bedrohen könnten, wird allerdings gern verschwiegen - vor allem in der Politik: Der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble beispielsweise sieht "keinen Grund" für Spekulationen über "irgendwelche negativen Entwicklungen". Und Bundeskanzlerin Angela Merkel versichert: "Ich sehe keine krisenhafte Entwicklung insgesamt."

"Die ganze Branche ist unter Druck,"

Tatsache ist: Gewaltig sind die Summen, um die es geht, gewaltig ist auch das Problem für die gesamte europäische Bankenbranche. Das stellte Folkerts-Landau in einem Interview mit der Tageszeitung "Die Welt" vor Kurzem eindeutig klar. "Es geht derzeit nicht um einzelne Banken, die ganze Branche ist unter Druck", so der Chefvolkswirt der Deutschen Bank.

Das habe enorme Auswirkungen, denn: "Wenn ein Spieler ausfällt, ist das für die anderen kein Vorteil - stattdessen gerät das gesamte System unter Stress." Und die italienischen Spieler wanken gefährlich ...

Parallelen zur Finanzkrise 2007

Italiens Banken leiden vor allem unter milliardenschweren "faulen" Krediten. Bei Finanzexperten läuten deshalb längst die Alarmglocken, denn mit "faulen" Krediten begann die Finanzkrise 2007. Amerikaner mit einem geringen Einkommen hatten damals Kredite zum Kauf eines Hauses erhalten; im Extremfall hatten sie gar keinen Job und auch sonst keinen Besitz, um den Kredit abzusichern. Schließlich platzte die Blase, irgendwann wurde also klar, dass die Kredite nicht gedeckt waren, dass die Kredite keinen Wert hatten - in der Folge musste unter anderem die Bank Lehman Brothers Insolvenz anmelden.

In den Bilanzen der italienischen Geldinstitute sollen sich Problemdarlehen von insgesamt 360 Milliarden Euro auftürmen, was "eher die Untergrenze" sein dürfte, schätzt Folkerts-Landau. "Im Nullzinsumfeld fällt es leichter, Kredite einfach ohne Tilgung weiterlaufen zu lassen", so der Experte weiter. Für ihn scheint klar: "Die Banken müssen rekapitalisiert werden."

Ansteckungsgefahr für den ganzen Kontinent

David Stockman, Finanzprofi und Kabinettsmitglied unter dem ehemaligen US-Präsidenten Ronald Reagan, schreibt auf seinem Blog "davidstockmanscontracorner.com", Italien habe nach Griechenland die größte öffentliche Schuldenlast in Europa angehäuft. Italien stehe vor einer Krise "epischen Ausmaßes". Diese Krise bedroht ganz Europa, sagte auch Börsen-Experte Robert Halver in einem Interview mit dem Fernsehsender n-tv: "Die italienische Bankenkrise ist so schlimm, dass sie geeignet ist, eine neue Euro-Finanzkrise loszutreten."

Doch warum bedroht diese Krise eigentlich ganz Europa? Banken wie die mehrfach von der italienischen Regierung gerettete Monte dei Paschi könnten doch Insolvenz anmelden, dann gäbe es ein Problem weniger, oder? Nein, so einfach ist das leider nicht, im Gegenteil: Die italienischen Banken sind der "wankende Spieler", der andere Institute mit in den Abgrund reißen kann. Die Verflechtungen innerhalb der Branche sowie zwischen Banken und Ländern sind eng und von immenser Bedeutung.

Französische Banken müssen zittern

Seit der Finanzkrise im Jahr 2008 haben die europäischen Banken ihre Schulden mehr als verdoppelt, von damals 355 auf nun 791 Milliarden Euro. Insgesamt liehen sich die italienischen Geldhäuser zwischen 500 und 550 Milliarden Euro von internationalen Wettbewerbern, von der EZB oder vom Staat.

Laut Stockman und anderer Experten müssen vor allem französische Geldhäuser zittern: Mit 250 Milliarden Euro stünden sie an der Spitze der Gläubiger. Auch für die deutschen Institute hätten Insolvenzen in Italiens Bankenbranche weitreichende Folgen, sie haben wohl über 80 Milliarden Euro im Feuer - fast so viel wie spanische und US-amerikanische Kreditinstitute zusammen. Das geht aus den Zahlen der Bank für Internationalen Zahlungsverkehr (BIZ) hervor, die die Verflechtungen in der Finanzwelt weltweit beobachtet.

EU-Bankenrichtlinie könnte Krise noch befördern

"Das gesamte Bankensystem steht unter Druck", betont auch Lorenzo Bini Smaghi, Aufsichtsratschef der Société Générale, im Gespräch mit dem Informationsdienst Bloomberg. Italien könne eine systemische Bankenkrise in ganz Europa auslösen. Vor allem die neue EU-Bankenrichtlinie sieht Bini Smaghi kritisch: "Wir haben Regeln aufgestellt, die womöglich eine Krise befördern." Die EU-Richtlinie sieht vor, dass Institute, die in finanziellen Schwierigkeiten stecken, keine Staatshilfen erhalten dürfen. Damit soll verhindert werden, dass immer wieder das Geld von Steuerzahlern für die Rettung von Banken aufgewendet wird.

Jetzt ist der Ärger groß, weil zum Beispiel für Monte dei Paschi Staatshilfen nötig wären, aber nicht möglich sind. Ein Crash des Bankhauses könnte nicht nur für die Märkte, sondern auch für die italienische Regierung verheerend sein. Auch bei der größten Bank des Landes, UniCredit, wachsen die Sorgen vor neuen Lücken. Sie gilt als global systemrelevant. Eine Schieflage des Instituts würde mit Sicherheit andere Finanztitel nach unten reißen, weitere Schockwellen dürften schnell die ganze Eurozone treffen.

Deshalb kritisiert auch Folkerts-Landau die neue EU-Bankenrichtlinie und plädiert für mehr Flexibilität: "Sich streng an die Regeln zu halten, würde größeren Schaden anrichten, als sie auszusetzen." Der Chefvolkswirt der Deutschen Bank fordert "ein größeres Programm zur Rekapitalisierung der Banken". Aus seiner Sicht sollten dafür 150 Milliarden Euro ausreichen.

Deutsche Bank und Commerzbank betroffen

150 Milliarden Euro für die Rekapitalisierung der europäischen Bankenbranche? Nach eigenen Angaben saß die Deutsche Bank Ende des Jahres 2015 auf 15,8 Milliarden Euro italienischer Risiken, darunter etwa 750 Millionen Euro bei italienischen Banken. Auch das könnte ein Grund für Folkerts-Landau sein, 150 Milliarden Euro Steuergelder zur Stützung der europäischen Banken zu verlangen.

Doch die Deutsche Bank steht keinesfalls allein da: Bei der Commerzbank stehen angeblich ebenfalls mehr als zehn Milliarden Euro italienischer Staatsanleihen in den Büchern und 500 Millionen bei den italienischen Banken.

Bankenstresstest könnte die Wahrheit ans Licht bringen

Am 29. Juli könnte sich zeigen, wie schlimm es wirklich um die italienischen Banken steht - und welche Risiken für die europäischen Wettbewerber existieren. Dann wird die Europäische Bankenaufsicht EBA die Ergebnisse des Bankenstresstests bekanntgeben. Möglicherweise kann sich dann auch die Politik der Wahrheit nicht mehr verschließen, möglicherweise muss dann über einen Neustart des Systems nachgedacht werden.

Bleibt zu hoffen, dass der "schwer kranke" Patient Europa nicht nur symptomatisch behandelt wird, was auch Folkerts-Landau betont: "Wir haben keine Zeit zu verlieren. (...) Letztlich steht unser Lebensstandard auf dem Spiel."



Von Markus Gentner/Redaktion finanzen.at

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