21.12.2016 05:01:42

IS reklamiert Berliner Anschlag für sich - Täter nicht gefasst

BERLIN (dpa-AFX) - Die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) hat den Angriff auf dem Weihnachtsmarkt in Berlin für sich in Anspruch genommen. Das IS-Sprachrohr Amak meldete am Dienstag im Internet, ein IS-Kämpfer sei für den Angriff verantwortlich gewesen. Der oder die Attentäter waren noch nicht gefasst. Der Verdächtige, der am Montagabend kurz nach dem Anschlag an der Gedächtniskirche festgenommen worden war, wurde wieder freigelassen.

Die bisherigen Ermittlungsergebnisse hätten keinen dringenden Tatverdacht ergeben, teilte die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe mit. Berlins Polizeipräsident Klaus Kandt sagte, es sei möglich, dass der gefährliche Täter noch im Raum Berlin unterwegs sei. Man sei "hochalarmiert", sagte der Präsident des Bundeskriminalamtes (BKA), Holger Münch.

Sollte sich bestätigen, dass der IS hinter dem Attentat steht, wäre dies der erste große islamistische Anschlag in Deutschland. Zwar hatte der damals 21-jährige Islamist Arid Uka schon 2011 am Frankfurter Flughafen zwei US-Soldaten getötet. Eine so große Opferzahl wie in Berlin gab es bisher aber auf deutschem Boden nicht.

Möglicherweise verhinderte der polnische Lkw-Fahrer, der beim Attentat auf dem Beifahrersitz saß, sogar noch Schlimmeres. Die Obduktion habe ergeben, dass er zum Zeitpunkt des Anschlags noch lebte, berichtete die "Bild"-Zeitung online. Ein Ermittler habe von einem Kampf gesprochen. Auch von Messerstichen ist die Rede. Nach dem Attentat hatte man den Polen tot im Lkw gefunden. Nach dpa-Informationen wurde er mit einer kleinkalibrigen Waffe erschossen, von der bislang jede Spur fehlt. Der Mann arbeitete für die Speditionsfirma, der der Sattelschlepper gehört.

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) räumte am Abend im ZDF ein: "Es ist nicht auszuschließen, dass der Täter flüchtig ist." Zugleich versicherte er, die Ermittler tappten keineswegs im Dunklen. Es gebe Ermittlungsansätze, die würden verfolgt. "Wir sollten die Sicherheitsbehörden ihre Arbeit machen lassen. Die arbeiten mit Hochdruck. Und niemand wird ruhen, bis nicht der Täter oder die Täter gefasst sind", sagte er in der ARD.

Der Täter sei ein "Soldat des Islamischen Staates" gewesen, meldete das IS-Sprachrohr Amak. Die Operation sei eine Reaktion auf Aufrufe, die Bürger der Staaten der internationalen Koalition anzugreifen. Die Echtheit der Nachricht ließ sich zunächst nicht verifizieren. Sie wurde aber über die üblichen IS-Kanäle im Internet verbreitet. Auch die Form der Erklärung entspricht früheren Botschaften der Extremisten.

Laut Generalbundesanwalt Peter Frank ist bislang unklar, ob der Täter, der den Lastwagen in die Menschenmenge auf dem Breitscheidplatz gesteuert und zwölf Menschen getötet hat, alleine handelte oder eine größere Tätergruppe dahinter steckt.

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zeigte sich zutiefst erschüttert. Ein ganzes Land sei in Trauer vereint, sagte sie in Berlin. "Wir wollen nicht damit leben, dass uns die Angst vor dem Bösen lähmt. Auch wenn es in diesen Stunden schwerfällt: Wir werden die Kraft finden für das Leben, wie wir es in Deutschland leben wollen - frei, miteinander und offen."

Am Montagabend war der vermutlich entführte Lastwagen in den Weihnachtsmarkt nahe der Gedächtniskirche im Herzen Berlins gerast. Einschließlich des Polen starben zwölf Menschen, rund 50 wurden teils lebensgefährlich verletzt. Laut de Maizière konnten bislang erst sechs der Toten identifiziert werden. 14 Menschen rangen nach seinen Worten vom Dienstagnachmittag nach wie vor mit dem Tod. Unter den Toten seien möglicherweise Jugendliche und Ausländer.

Kurz nach dem Anschlag wurde ein 23 Jahre alter Mann festgenommen, der aus Pakistan kommen soll. Der Mann habe in seiner Vernehmung umfangreiche Angaben gemacht, eine Tatbeteiligung jedoch bestritten, erklärte die Bundesanwaltschaft am Dienstagabend. Augenzeugen hätten den Lastwagenfahrer nach dem Anschlag nicht lückenlos verfolgt, die kriminaltechnischen Untersuchungen hätten bislang keinen Beleg erbracht, dass der 23-Jährige im Führerhaus des Lastwagens gewesen sei. Im Führerhaus wurde nach Angaben aus Sicherheitskreisen blutverschmierte Kleidung gefunden, bei dem Festgenommenen dagegen nicht.

Merkel hatte vor seiner Freilassung erklärt, es wäre besonders schwer zu ertragen, wenn der Täter tatsächlich in Deutschland um Schutz und Asyl gebeten haben sollte. "Dies wäre besonders widerwärtig gegenüber den vielen, vielen Deutschen, die tagtäglich in der Flüchtlingshilfe engagiert sind und gegenüber den vielen Menschen, die unseren Schutz tatsächlich brauchen und die sich um Integration in unser Land bemühen."

Der Anschlag ruft Erinnerungen an die Terrorattacke von Nizza im Juli wach: Dort waren 86 Menschen ums Leben gekommen, als ein Mann mit einem Lastwagen über die Uferpromenade der Mittelmeerstadt fuhr. Auch diesen Anschlag hatte der IS für sich reklamiert.

Nach dem Anschlag in Berlin forderte CSU-Chef Horst Seehofer eine Überprüfung und Neujustierung der Flüchtlingspolitik. "Wir sind es den Opfern, den Betroffenen und der gesamten Bevölkerung schuldig, dass wir unsere gesamte Zuwanderungs- und Sicherheitspolitik überdenken und neu justieren", sagte der bayerische Ministerpräsident in München.

Bundespräsident Joachim Gauck beschwor den Zusammenhalt der freiheitlichen Gesellschaft. "Der Hass der Täter wird uns nicht zu Hass verführen. Er wird unser Miteinander nicht spalten", sagte Gauck. "Unser Zusammenhalt wird nicht schwächer. Er wird stärker, wenn wir angegriffen werden."

Die Weihnachtsmärkte in Deutschland sollen trotz des Anschlags weiter stattfinden. Die Innenminister von Bund und Ländern sprachen sich am Dienstag nach einer Telefonschalte gegen eine Absage aus. Mehrere Bundesländer überdenken allerdings ihre Sicherheitskonzepte, der Bundestags-Innenausschuss will am Mittwoch beraten. De Maizière blickte in der "Bild"-Zeitung nach vorn: "Wenn ich sage, dass wir uns unser freiheitliches Leben nicht zerstören lassen dürfen, gilt das auch für das Silvesterfest."/bk/DP/zb

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