12.10.2019 05:00:00

In Ecuador lebender Steirer zu Protesten: "Sitzen auf Pulverfass"

Federführend von Indigenen-Organisationen forcierte regierungskritische Proteste halten seit Tagen Ecuador in Atem. Laut Behörden gab es bereits vier Tote. Die Lage könnte aber noch weiter eskalieren, befürchtet Erich Preiss, ein seit 28 Jahren in dem lateinamerikanischen Staat lebender Steirer. "Wir sitzen auf einem Pulverfass", erklärte Preiss am Freitag in einem Telefonat mit der APA.

"Die Lage ist komplizierter und gefährlicher als alles, was ich jemals in Südamerika erlebt habe", erklärte der 54-jährige Österreicher, der in Ecuador das Reisebüro "Horizontes Andinos" betreibt. Die indigenen Völker Ecuadors protestieren - unterstützt von Gewerkschaften, Studenten- und Intellektuellenkreisen - gegen die Streichung von Subventionen, mittels derer die Treibstoffpreise gestützt und niedrig gehalten wurden. Die Regierung von Präsident Lenin Moreno hatte die Maßnahme beschlossen, um im Rahmen der Auflagen für einen 4.2-Millionen-Kredit des Internationalen Währungsfonds (IWF) den Staatshaushalt zu sanieren.

Lenin Moreno war im April 2017 zum Nachfolger des reformorientierten Präsidenten Rafael Correa gewählt worden, dem er auch als Stellvertreter gedient hatte. Die beiden Staatsmänner sind mittlerweile aber spinnefeind. Correa wirft dem ehemaligen "Vize" unter anderem vor, sich mit einer neoliberalen Wirtschaftspolitik bei der reichen Elite des rund 17,3 Millionen Einwohner zählenden Landes anzubiedern und soziale Errungenschaften seiner eigenen Präsidentschaft rückgängig zu machen. Moreno bezichtigte den mittlerweile in Belgien untergeschlüpften Correa der Korruption. Dieser wiederum sieht einen entsprechenden Haftbefehl als "politisch motiviert" an.

Weite Teile der Bevölkerung fühlten sich von den aktuellen Machthabern aber verraten, weiß der steirische Touristiker und Landeskenner, der seit einem Vierteljahrhundert von Ecuador aus Touren durch Lateinamerika anbietet. "Es wird von der Regierung versucht, zu suggerieren, dass es ja nur um die Erhöhung de Treibstoffpreise geht, die notwendig sind um nicht mehr 1,3 Milliarden US-Dollar an Subventionen zu verschwenden", beschrieb Preiss die Taktik der Regierung. "Aber dahinter steckt viel mehr." Das Abkommen mit dem IWF - so die weitläufige Befürchtung - könne letztlich auch dazu führen könne, "dass Ecuador auf den Dollar als Währung verzichten muss". Der US-Dollar hatte im Jahr 2000 den Sucre als offizielle Währung Ecuadors abgelöst. Die damalige Regierung erhoffte sich davon eine Stabilisierung der katastrophalen Wirtschaftslage.

Nun ängstige sich die Bevölkerung vor einer möglichen Destabilisierung, die "eine Katastrophe für das breite Volk Ecuadors" darstellen könnte, so Erich Preiss. Es zeige sich eine immer breiter werdende Kluft zwischen der "normalen Bevölkerung" und einer "wirtschaftlichen und politischen Elite", die zudem von den Medien unterstützt würden. Daher seien die meisten Menschen in Ecuador von den etablierten Zeitungen sowie Radio und Fernseh-Sendern enttäuscht: "Die Medien in Ecuador stehen unter der Kontrolle einer Oligarchie, die die Regierung in vollem Ausmaß unterstützen und alles Negative nicht erwähnen. Ich spreche konkret von den beiden landesweiten Fernsehsendern Ecuavisa und Teleamazonas sowie den Zeitungen El Comercio und El Universo." Eine kritische Berichterstattung gebe es nur in einigen ambitionierten Internetmedien: "Die bekommen aber immer mehr Schwierigkeiten. Es wird versucht, sie mundtot zu machen."

Die Lage gleiche derzeit "einem Pulverfass", konstatierte der gebürtige Steirer. Die Metropole Quito und andere bedeutende Städte wie Cuenca oder "das gesamte Andenhochland" seien von den protestierenden Indigenen und diese unterstützenden Organsiationen "praktisch lahmgelegt" worden. Es gebe so gut wie keinen öffentlichen Verkehr mehr. "Sie bekommen Nachschub aus dem Amazonasgebiet, wo es politisch sehr aktive indigene Gruppen gibt. Die sind bereits auf dem Weg nach Quito und werden die Protestbewegungen dort unterstützen." Einige Lokalpolitiker und auch Intellektuelle hätten sich der Protestbewegung bereits angeschlossen, berichtete Erich Preiss ("Das sind oft Politiker indigenen Ursprungs"), aber auch der Bürgermeister der Hauptstadt Quito sei beispielsweise "extrem schweigsam": "Er duldet die Situation offenbar".

Letzter Hort "des sogenannten Widerstandes" sei die Hafen- und Handelsstadt Guyaquil, wo sich möglicherweise auch Präsident Moreno verschanzt halte. "Das ist ein Katz-und-Maus-Spiel. Die "wirtschaftliche und politische Elite" habe zuletzt Zufahrtswege und Brücken in die Stadt "mit Schutt blockiert", damit die Indigenen nicht in die 2,5-Millionen-Stadt Guyaquil vordringen könnten. "Sie haben sich quasi selbst eingesperrt." Der Protest sei damit aber sich nicht zu bremsen, vermutet der Auslandsösterreicher. "Das ist noch lange nicht ausgestanden. Ich bin sehr pessimistisch und besorgt. Das ist eine Lage, wie es sie noch nie gegeben hat. Es kann in Ecuador zu einem echten Volksaufstand kommen, der nicht von einer politische Partei oder einer einflussreichen Elite manipuliert wird."

Ecuador hat laut NGO-Quellen mit über 40 Prozent einen sehr hohen Anteil indigener Bevölkerung. Hierzu zählen über ein Dutzend indigene Völker mit eigener Sprache, die als "Nationalitäten" anerkannt sind. Die zahlenmäßig stärkste Gruppe sind die im Hochland lebenden Kichwa. In Amazonien stellen die Shuar mit etwa 110.000 Indigenen die größte Gruppe dar. Seit 1998 sind der Schutz und die Rechte der Indigenen sowie der Afroecuadorianer an sich in der Verfassung verankert. Sie gehören aber großteils eher ärmeren Bevölkerungsschichten an, welche unter anderem die deutliche Verteuerung der Spritpreise besonders trifft.

(Das Interview führte Edgar Schütz/APA)

(GRAFIK 1244-19; 88 x 76 mm - Antiregierungsproteste in Ecuador) (Schluss) ed/za

WEB http://www.imf.org

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