24.11.2013 17:21:30
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ifo-Chef Sinn sieht die Energiewende scheitern
Von Hans Bentzien
ifo-Präsident Hans-Werner Sinn festigt seinen Ruf als Schwarzmaler. Bei einer Podiumsdiskussion in Berlin prognostizierte er nicht nur einmal mehr die Abkehr von Euro-Ländern von der Gemeinschaftswährung, der Ökonom hat mit der deutschen Energiewende auch ein neues Forschungsobjekt gefunden.
Auch dessen Scheitern hält er für gewiss. "Ich glaube, die Energiewende ist Käse, die wird überhaupt nicht funktionieren", sagte er auf dem Führungstreffen Wirtschaft der Süddeutschen Zeitung in Berlin. Für anwesende Unternehmensvertreter war so viel Pessimismus dann doch etwas starker Tobak.
Bei der Energiewende geht es kurz gesagt darum, dass Deutschland seinen Schadstoffausstoß bis zum Jahr 2020 um 40 Prozent reduzieren will. Basis ist das Jahr 1990, weshalb Deutschland, wie Sinn anmerkt, davon profitiert, dass nach dem Zusammenbruch der DDR-Wirtschaft, "die ganzen CO2-Schleudern [mit der Industrie] abgebaut wurden".
23 Prozent CO2-Verringerung habe Deutschland daher schon geschafft. Aber der Rest der Reduzierung, so sagt Sinn, kann Deutschland unmöglich gelingen, wenn das Land zugleich wie geplant bis 2022 aus der Atomkraft aussteigen wird.
Nach Berechnungen seines Ifo-Instituts - die genauen Ergebnisse will Sinn demnächst in München vorstellen - ist es völlig unmöglich, den Atomstrom mit Elektrizität aus erneuerbaren Energien zu ersetzen. Das führt Sinn vor allem darauf zurück, dass der Windstrom nicht gleichmäßig anfällt, sondern mit starken Ausschlägen nach oben und unten erzeugt wird.
Wollte man alle Windspitzen nutzen, müssten in Deutschland 3.000 Speicherkraftwerke gebaut werden, von denen jedes durchschnittlich die Größe eines derzeit in Deutschland betriebenen Kraftwerks haben müsse. Verzichte man auf die Spitzen und "werfe die Hälfte des Windstroms" weg, wären immer noch 500 Speicher nötig. "Wie viel Kraftwerke haben wir derzeit?", fragt Sinn in die Runde der Manager und beantwortet sie gleich selbst: "35".
Stromspitzen am Sonntagmorgen
Besonders wenn so eine Stromspitze an einem Sonntagmorgen komme, wäre sie nicht willkommen, denn "dann sucht man händeringend nach Abnehmern in Europa" und muss auch noch dafür bezahlen. "Wir exportieren Schrott", ruft Sinn schließlich aus. Deutschland mit Elektroautos zu überschwemmen, könne auch nicht die Lösung sein, denn so viele Autos könnte Deutschland überhaupt nicht gebrauchen. "Ich verstehe gar nicht, wie wir uns ernsthaft mit solchen Utopien beschäftigen können, und was wir dabei alles aufs Spiel setzen", sagt der Ökonom.
Sinn befürchtet, dass Deutschland nach Abschaltung der eigenen Atomkraftwerke Atomstrom aus Tschechien und Frankreich importieren und auch noch Kohle- und Gaskraftwerke bauen muss, um Versorgungslücken schließen zu können. Sein Fazit: "Das wird eine ganz, ganz teure Angelegenheit." Der Strom sei jetzt schon doppelt so teuer wie in Frankreich, es liefen bereits Standortverlagerungen.
Dieses vernichtende Urteil wollen die auf dem Podium sitzenden Unternehmensvertreter bei aller Kritik an der Energiewende denn doch nicht teilen. Was sie durchaus sehen, ist die Gefahr, die ein deutscher Alleingang für die Industrie mit sich bringt.
"Die deutsche Energiewende hat das Potenzial, zum größten Wirtschaftsförderprogramm der französischen Nation zu werden", witzelt Siemens-Chef Joe Kaeser. Den Atomausstieg findet Kaeser immer noch richtig, weil eine "Zivilisation wie das deutsche Volk" ihren Atommüll nicht der nächsten Generation überlassen dürfe. Also: Energiewende ja - "aber bitte nicht so". Vor allem fordert Kaeser von der nächsten Bundesregierung, dass die Erneuerbaren einerseits nicht weiterhin jährlich mit 20 Milliarden Euro gefördert werden, andererseits aber die Investoren nicht geschädigt werden. Wie das gehen soll, sagt er allerdings nicht.
Nach Ansicht von Nicola Leibinger-Kammüller, Geschäftsführerin des Maschinenbauers Trumpf, kommt es vor allem auf eine europäische Einbindung der Energiewende an. "Wir sind hier nicht allein unterwegs", sagt sie. Deutschland könne überschüssigen Strom ja nicht einfach "nach Polen abschieben", dort die Strompreise kaputt machen und dann wieder zurückkaufen.
Unternehmer wollen nicht alles revidieren
"Es ist wirklich eine große europäische Aufgabe, aber zurückdrehen - niemals", sagt sie. Sie empfiehlt den künftigen Koalitionären, Geld für eine Reform der Energiewende wegzulegen, statt jetzt Wohltaten auszustreuen, die das Volk gar nicht erwartet. "Man sollte dafür vielleicht sogar zum Äußersten greifen und sparen", sagte sie.
Für Ulrich Grillo, den Geschäftsführer des Industrieverbandes BDI, hat die Energiewende "wenn wir sie hinkriegen, riesiges technologisches Potenzial. Wenn wir es nicht hinkriegen, dann haben wir ein riesiges Problem." Grillo, dessen eigenes Unternehmen Metall- und Chemieerzeugnisse herstellt, fordert "ein europäisches, integriertes Energiemanagement" statt "18 Energiewenden in Deutschland".
Er sagt aber auch in Richtung Hans-Werner Sinn: "Wir müssen optimistisch sein, wir können jetzt nicht die Flügel in den Sand stecken, sondern müssen versuchen, es vernünftig hinzukriegen."
Kontakt zum Autor: hans.bentzien@wsj.com
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November 24, 2013 10:48 ET (15:48 GMT)
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