"Grexit" mit Hintertür? |
30.06.2015 16:31:00
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ifo-Chef Sinn empfiehlt Griechenland Euro-Austritt mit Rückkehroption
Es sollte für Griechenland aber eine Rückkehroption in den Euro geben. Das Land könnte "vielleicht in zehn Jahren, wenn es wieder gesundet ist", der Währungsunion beitreten, betonte Sinn.
Die Schulden Griechenlands sind für den Ökonomen "kein Thema mehr". "Die Auslandsschulden sind ja schon weg. Die Gläubiger können sich im Kreise drehen."
Den möglichen Maximalverlust von Österreich im Falle eines Konkurses des griechischen Staates und der griechischen Geschäftsbanken bezifferte Sinn mit rund 9,2 Milliarden Euro. Für Deutschland würde sich der maximale Verlust auf 87 Milliarden Euro und für Frankreich auf 66,5 Milliarden Euro belaufen. Die Zahlen beziehen sich auf den Stand Ende März 2015.
"Der Euro hat sich nicht bewährt für Griechenland", sagte Sinn weiter. Das erste Jahr nach dem Euro-Austritt werde wehtun, doch dann werde es wirtschaftlich bergauf gehen.
Die Gründung der Eurozone war für Sinn "ein Fehler, vielleicht mit weniger Ländern wäre es besser gewesen". Nun müsse man aber "das Beste daraus machen". Der Ökonom plädiert für einen offenen, "atmenden Euro", wo Staaten ein- und austreten könnten. Der Euro dürfte nicht "ein Gefängnis sein", so der Ifo-Präsdent.
Nachdem das pleitebedrohte Griechenland den heute fälligen IWF-Kredit von knapp 1,6 Mrd. heute nicht zahlen kann, ist das Land für den Ökonomen de facto pleite. "Der Konkurs ist ein Chaos, ein schreckliches Ereignis. Der Austritt aus dem Euro ist die Rettung aus dem Chaos", sagte Sinn bei einem Vortrag auf Einladung des Think Tanks Agenda Austria. Griechenland werde auch die anderen Kredite nicht bedienen, insgesamt seien 330 Mrd. Euro "weg". Sie "kommen nie mehr wieder, das ist heute aktenkundig geworden".
Wenn die griechische Bevölkerung beim Referendum am kommenden Sonntag das Abgebot der Kreditgeber ablehnt, müsste der griechische Staat Schuldscheine verwenden, um seine Beamten zu zahlen, so Sinn. "Dann haben wir eine neue Währung." Die Drachme könnte zuerst "als virtuelle Währung" fungieren. Preise würden in Drachme ausgewiesen werden und man bezahle in Euro. Über Nacht müssten auch alle Verträge in Drachme umgewandelt werden.
Für den Ifo-Präsidenten gibt es vier Optionen, wie es mit Griechenland weiter gehen könnte. Erstens eine Transferunion, bei der die Laufzeiten der Hilfskredite immer weiter verlängert werden und dann irgendwann "geschenkt" würden. Dadurch ließe sich aber die Rekordarbeitslosigkeit in Griechenland nicht senken, weil die Wettbewerbsfähigkeit durch Hilfskredite nicht steige. Als warnende Beispiele führte Sinn Süditalien oder Ostdeutschland an.
Die zweite Option wäre, die Pensionen und Löhne weiter zu senken. Dieser "schmerzliche Prozess" gehe aber "auch nicht beliebig". Löhne und Preise könnten halbiert werden, aber nicht Kredit- und Mietverträge geändert werden, erklärte der Ökonom. Diese Austeritätspolitik würde viele Betriebe in Konkurs treiben. Das Chaos mit Massenarbeitslosigkeit und Insolvenzen, das entstehen könnte, hätten Deutschland und Österreich in den 1930-Jahren erlebt.
Eine weitere mögliche Möglichkeit in der Griechenland-Schuldenkrise wäre "die Nachinflationierung des Nordens". Die Europäische Zentralbank (EZB) versuche dies bereits mit dem Staatsanleihen-Kaufprogramm ("Quantitative Easing"). Fraglich sei, ob dies mit dem Mandat der EZB vereinbar sei.
Als vierte und beste Option bezeichnete Sinn die Drachme-Einführung. Vor dem Euro-Austritt komme es zur Kapitalflucht, "Bankrun" und Kapitalverkehrskontrollen, das könne man derzeit beobachten. "Im Vorfeld des Austritts ist es schrecklich, dann fällt die Drachme auf die Hälfte." Durch die Währungsabwertung der Drachme würden Importe teurer, das Land werde für Touristen und Immobilieninvestoren wieder billiger. Die reichen Griechen könnten ihr Geld ins Land zurückbringen und einen "Bauboom" auslösen.
Sinn wiederholte seine bekannte Kritik an der Hellas-Wirtschaftspolitik. "Griechenland hat über seinen Verhältnissen gelebt. Die Importe waren sehr viel höher als die Exporte." Erst mit der Wirtschaftskrise ab 2008/09 habe sich das Handelsdefizit stark verringert. "Das Land ist nicht wettbewerbsfähig. Griechenland kann nicht auf eigenen Beinen stehen und fortwährend Kredite bekommen." Die Griechen seien nicht notorisch faul. "Griechenland wurde zu teuer durch den Euro", so Sinn. Eine inflationäre Kreditblase habe Griechenland seiner Wettbewerbsfähigkeit beraubt. Der griechische Staat habe seit der Euro-Einführung viel Geld für Zinsen auf seine Staatsanleihen gespart und dies für Lohnerhöhungen und Staatsausgaben verwendet.
Die griechischen Auslandsschulden gegenüber der Europäischen Zentralbank und den EU-Finanzierungsinstitutionen ESM/EFSF würden sich auf 332 Mrd. Euro belaufen, so der Ifo-Präsident. Die nationalen Parlamente seien "nur Erfüllungsgehilfen des EZB-Rats" gewesen. Die Milliarden-Rettungspakete für Griechenland gingen zu jeweils einem Drittel in die Rettung der Banken, Kapitalflucht der Griechen und Finanzierung des Lebensstandard der Griechen via Kredit, erklärte Sinn. Damit widersprach Sinn dem griechischen Finanzminister Yanis Varoufaki, der erklärte, dass rund 90 Prozent der Hilfspakete zur Rettung der Banken verwendet worden seien.
Sinn glaubt, dass die neue griechische Regierung solange mit EU-Kommission, EZB und IWF verhandelt habe, um "Zeit zu gewinnen, um die Kapitalflucht stattfinden zu lassen. "Sie haben ihr Verhandlungsposition verbessert." Wohlhabende griechische Bürger hätten etwa Immobilen in Berlin gekauft. Die Kapitalflucht der Griechen bedeute eine Verbesserung der Erstausstattung. "Je mehr Kapital ins Ausland fließt, desto größer das Vermögen Griechenlands für den Neustart." Im Verhandlungspoker braucht man zwei Strategien. Varoufakis sei "ein gelernter Spieltheoretiker". "Je besser Plan B, desto besser das Ergebnis", so der Ökonom.
Sinn erwartet keine Ansteckungseffekte durch die Griechenland-Pleite auf Banken und Kapitalmärkte. "Die Panik findet nicht statt, weil es gibt kein Exposure für Banken." Der deutsche Ökonom ortet vielmehr "politische Ansteckungseffekte" in Südeuropa, sollte Griechenland weiterhin mit viel Geld der Staatengemeinschaft in der Eurozone gehalten werden.
cri/ivn
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