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28.12.2020 12:45:00
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Großbritannien und EU legen Brexit-Handelspakt vor - EU-Staaten für vorläufige Anwendung
London und Brüssel hatten am Heiligabend zur besten deutschen Bescherungszeit einen Durchbruch bei den Gesprächen über einen gemeinsamen Handelspakt verkündet. Mit dem Jahreswechsel verlässt das Vereinigte Königreich endgültig die Strukturen der Europäischen Union nach fast 40 Jahren Mitgliedschaft. Die schlimmsten Folgen der Scheidung sind damit abgewendet.
Der britische Premierminister Boris Johnson hatte seinen Landsleuten das Vertragswerk zuvor bereits als Weihnachtslektüre empfohlen. Wer in diesem "schläfrigen Moment nach dem Weihnachtsmahl" etwas lesen wolle, dem empfehle er die Lektüre des Handelspakts, sagte er in einer auf Twitter ausgestrahlten Video-Weihnachtsbotschaft.
Dass Johnson es selbst gelesen hat, darf bezweifelt werden. Denn der Premier sagte, es werde keine non-tarifären Handelshemmnisse geben. Genau darauf müssen sich Unternehmen zu beiden Seiten des Ärmelkanals nun aber innerhalb weniger Tage vorbereiten. Gemeint sind damit beispielsweise unterschiedliche Standards bei der Produktsicherheit und der Lebensmittelsicherheit. Noch sind die Regeln auf beiden Seiten gleich, aber dennoch werden britische Unternehmen künftig die Einhaltung europäischer Standards nachweisen müssen.
Frankreich kündigte bereits an, direkt ab dem Jahreswechsel auf gründlichen Kontrollen zu bestehen. "Wir müssen britische Produkte kontrollieren, die zu uns kommen", sagte Europa-Staatssekretär Clément Beaune am Freitag im Sender Europe 1. Bei Nahrungsmitteln oder Industrieprodukten müssten allen geltenden Normen eingehalten werden. Der französische Staat habe rund 1 300 Menschen angeworben, um diese Kontrollen zu gewährleisten.
Frankreich ist ein wichtiges Drehkreuz für britische Waren. Etwa 70 Prozent des Handelsvolumens zwischen Großbritannien und der EU laufen über die nordfranzösischen Häfen Calais und Dünkirchen sowie über den Eurotunnel, wie die Präfektur für die nordfranzösische Region Hauts-de-France berichtete.
Welches Chaos entsteht, wenn der Verkehr durch diese wichtige Achse nicht mehr ungehindert fließt, war seit dem vierten Adventswochenende in der englischen Grenzregion Kent zu beobachten: Nachdem Frankreich wegen einer in Großbritannien entdeckten, womöglich hochansteckenden Coronavirus-Variante zeitweise die Grenzen geschlossen hatte, bildeten sich kilometerlange Staus mit Tausenden von Lastwagen. Über Tage hinweg mussten die Fahrer in ihren Kabinen ausharren.
Ab Januar 2021 müssten außerdem Zollformalitäten eingehalten werden, betonte der Germany Trade and Invest (GTAI), einem bundeseigenen Unternehmen, das unter anderem Informationen über ausländische Märkte bereitstellt. Da Großbritannien Binnenmarkt und Zollunion verlasse, trete faktisch eine neue Zollgrenze in Kraft, sagte Stefanie Eich, Zoll-Expertin bei GTAI. Bei für den britischen Markt bestimmten Waren aus der EU müsse künftig nachgewiesen werden, dass sie auch tatsächlich aus der EU kämen. "Die Ursprungsregeln für einzelne Waren werden im Abkommen festgelegt. Deren Einhaltung muss dementsprechend nachgewiesen werden", so die Expertin.
Auf europäischer Seite bleibt bis zum 31. Dezember nun nicht mehr genug Zeit, um den Last-Minute-Deal noch rechtzeitig zu ratifizieren. Deshalb kann der Vertrag zunächst nur vorläufig angewendet werden. Dafür braucht es jedoch noch die Zustimmung der 27 EU-Staaten. Die EU-Botschafter sollen in den kommenden Tagen darüber abstimmen, ein Treffen ist für Montag angesetzt. Das EU-Parlament muss das Abkommen dann nachträglich im Januar prüfen. In London soll das Parlament hingegen noch am 30. Dezember im Schnellverfahren ein Gesetz durchwinken, um dem Abkommen Wirksamkeit zu verschaffen. Da die oppositionelle britische Labour-Partei angekündigt hat, dem Deal zuzustimmen, gilt die Abstimmung in London als Formsache.
Premier Johnson versuchte über die Feiertage dennoch, die erzkonservativen Brexiteers in den eigenen Reihen, die mit einer Rebellion drohen, auf Linie zu bringen. Der Vertrag sei "der richtige Deal für Großbritannien", sagte er der Nachrichtenagentur PA zufolge in WhatsApp-Nachrichten an seine Parteifreunde. Es sei dem Land damit möglich, seine Brexit-Versprechen einzulösen und die Kontrolle über die eigenen Grenzen, Gesetze und Gelder zurückzuerlangen. Außerdem sei das Abkommen eine Grundlage für eine langfristige, freundschaftliche Beziehung mit der EU als souveräne, gleichwertige Partner.
Britische Fischereiverbände kritisierten bereits die ausgehandelte Übergangsphase, in der EU-Fischer zunächst nur ein Viertel ihrer bisherigen Fangquoten in britischen Gewässern aufgeben müssen, als Niederlage. Ein hochrangiger Vertreter des britischen Verhandlungsteams sagte am Samstag, man habe bei der Fischerei Kompromisse eingehen müssen. Allerdings hätten dies beide Seiten getan und die Hauptsache sei, dass Großbritannien am Ende der fünfeinhalbjährigen Übergangsphase zu "voller Kontrolle über unsere Gewässer" zurückkehre, so der Verhandler. Sollte London den Zugang später weiter beschneiden, könnte Brüssel dies allerdings mit Zöllen beantworten.
Boris Johnson will Kritiker überzeugen
Vor der Abstimmung über den Brexit-Handelspakt mit der EU will der britische Premier Boris Johnson die Kritiker von seinem Deal zu überzeugen. "Es liegt nun an uns, die Möglichkeiten zu nutzen", sagte Johnson dem "Telegraph" (Sonntag). Große Veränderungen stünden Großbritannien angesichts des endgültigen Brexits bevor.
"Freiheit ist, was du daraus machst", sagte der Premier weiter. In Bereichen wie Tierwohlstandards sowie Regeln für Chemikalien oder den Datenschutz sei das Land künftig unabhängig von Brüssel und müsse dies nutzen. Er fügte jedoch hinzu, dass der Deal - etwa für den Finanzsektor - nicht so weit gehe, wie man es sich erhofft hatte. Schatzkanzler Rishi Sunak kündigte in der "Mail on Sunday" den Beginn einer "neuen Ära" an. Er wolle in die Infrastruktur des Landes investieren und Unternehmer sollten für ihren Mut belohnt werden.
Der britische Oppositionsführer Keir Starmer übte Kritik: Das Abkommen sei "nicht der Deal, den die Regierung versprochen hat", sagte der Labour-Politiker. Zuvor hatte er jedoch bereits angekündigt, seine Partei werde im Parlament für den Handelspakt stimmen - um einen chaotischen No-Deal-Brexit zu vermeiden. Damit wäre die Abstimmung im Unterhaus Formsache. Auch die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon sowie Fischereiverbände kritisierten, die britischen Verhandler seien beim Thema Fisch zu große Kompromisse eingegangen.
Auf EU-Seite bleibt nicht mehr genügend Zeit, um das Abkommen zu ratifizieren. Daher soll in den nächsten Tagen beschlossen werden, dass der Vertrag zunächst vorläufig in Kraft tritt. Dem müssen aber noch die 27 EU-Staaten zustimmen. Die EU-Botschafter sollen in den kommenden Tagen darüber abstimmen, ein Treffen ist für Montag angesetzt. Das EU-Parlament muss das Abkommen dann nachträglich im Januar prüfen.
Brexit-Handelspakt: EU-Staaten für vorläufige Anwendung
Nach der Einigung mit Großbritannien hat die Europäische Union am Montag die vorläufige Anwendung des Brexit-Handelspakts ab 1. Januar auf den Weg gebracht. Die Botschafter der 27 Mitgliedstaaten sagten vorläufig Ja zu dem Vorschlag und starteten eine Entscheidung im schriftlichen Verfahren, die am Dienstag (15.00 Uhr) abgeschlossen sein soll. Dies teilte ein Sprecher der deutschen EU-Ratspräsidentschaft auf Twitter mit.
Die vorläufige Anwendung ist nötig, weil für eine Ratifizierung durch das Europaparlament vor dem Jahresende die Zeit fehlt - sie soll nach Neujahr nachgeholt werden. Schon zum 31. Dezember läuft die Übergangsfrist nach dem britischen EU-Austritt vom Januar ab, und Großbritannien scheidet auch aus dem Binnenmarkt und der Zollunion aus. Der Vertrag soll einen harten wirtschaftlichen Bruch vermeiden. Auf britischer Seite soll das Parlament am 30. Dezember zustimmen.
Die Unterhändler beider Seiten hatten sich erst an Heiligabend auf das knapp 1250 Seiten starke Abkommen geeinigt. Wichtigster Punkt ist, einen unbegrenzten Warenhandel ohne Zölle sicher zustellen. Darüber hinaus regelt der Vertrag unter anderem die Zusammenarbeit bei Fischerei, Flug- und Straßenverkehr, Energieversorgung, Verbrechensbekämpfung und Sozialversicherungen.
Trotz des Abkommens werden die wirtschaftlichen Beziehungen beider Seiten künftig weit weniger eng sein als bisher. So werden an den Grenzen Warenkontrollen nötig, unter anderem, weil Nachweise für die Einhaltung der EU-Regeln zur Lebensmittelsicherheit und zur Einhaltung von Produktstandards erbracht werden müssen.
LONDON/BRÜSSEL (dpa-AFX)
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