Hat sich Tsipras verzockt? |
20.02.2015 15:30:00
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Griechenlands Staatsbankrott: Die dramatischen Folgen eines "Grexit"
Ein kleines Ziel hat Tsipras im Poker mit den Geldgebern bereits erreicht: Offiziell heißt das Dreigespann aus IWF, EZB und Europäischer Kommission nun nicht mehr "Troika", sondern "Die Institutionen". Es ist ein symbolischer Erfolg für die neue Athener Regierung, denn die Arbeit der "Institutionen" bleibt weiterhin die Überwachung der Reformen in Griechenland. Und die Reformen bleiben weiterhin eine Bedingung für die Hilfskredite der Euroländer an die Hellenen.
Das Spardiktat bleibt bestehen - vorerst zumindest. Denn die drastischen Sparmaßnahmen, die Griechenland auf Druck der Euroländer umsetzen muss, sind verhasst. Sie sind verhasst bei der griechischen Bevölkerung - und auch bei Tsipras. Zusammen mit dem neuen Finanzminister Giannis Varoufakis will Tsipras Griechenland vom Spardikat der europäischen Geldgeber befreien. Um dieses Ziel zu erreichen, riskiert Tsipras alles - auch den Staatsbankrott Griechenlands.
Erst ein griechischer Staatsbankrott ...
Eine Pleite Griechenlands könnte schneller näherrücken als es den Verantwortlichen in der Eurozone recht ist. Vor allem dann, wenn die neue griechische Regierung ihre Agenda umsetzt und unter anderem die Privatisierungen stoppt, die Renten erhöht und wieder mehr Beamte einstellt. Bereits in wenigen Wochen könnte Tsipras dann das Geld ausgehen, Griechenland handlungsunfähig sein. Insgesamt sitzen die Hellenen auf einem Schuldenberg von 320 Milliarden Euro, was fast 180 Prozent des Bruttoinlandsprodukts entspricht. Die Staatsschulden lassen wenig Spielraum für Tsipras' große Pläne. Bereits im September des vergangenen Jahres bezifferte Syriza die Kosten für die geplanten Maßnahmen auf insgesamt 9,3 Milliarden Euro jährlich. Das ist wohl noch recht vorsichtig gerechnet, denn die ehemalige Regierung unter Ex-Präsident Antonis Samaras kommt unter dem Strich auf Mehrkosten von über 20 Milliarden Euro.
Diese Summe kann Griechenland alleine wohl unmöglich aufbringen. Und die EU dürfte kaum bereit sein, weitere Tranchen aus dem europäischen Rettungsschirm an Griechenland fließen zu lassen, wenn das Land die vertraglichen Bedingungen nicht einhält. Die Zeit für Griechenland wird knapp. Derzeit reicht das Geld in der Staatskasse noch bis März, heißt es aus dem griechischen Finanzministerium. Um Zeit für Verhandlungen zu bekommen, haben die Griechen nun eine Verlängerung des aktuellen Kreditprogramms bei der Eurogruppe beantragt. Ob Tsipras, Varoufakis und Co. weiterhin Geld bekommen, um mehr Zeit für Verhandlungen zu haben, ist fraglich, aber nicht unmöglich, denn auch für die Eurozone steht viel auf dem Spiel.
... und dann der "Grexit"?
Durch die neue griechische Regierung steigt auch die Wahrscheinlichkeit eines "Grexit", dem Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone. Tsipras benutzt die Gemeinschaftswährung als Geisel. Er weiß: Ist Griechenland zahlungsunfähig und scheidet - mehr oder weniger unfreiwillig - aus der EU aus, dann steht auch die Zukunft der gesamten Währungsunion in ihrer derzeitigen Form auf dem Spiel, dann droht die Eurozone auseinanderzubrechen. Würde eines der Gründungsmitglieder die Gemeinschaft verlassen, dann könnte so ein Dominoeffekt ausgelöst werden und weitere Länder könnten die Eurozone verlassen wollen - Griechenland wäre ein (schlechtes) Vorbild für andere Krisenstaaten.
Tsipras tritt als Erpresser auf und fordert mit seinem unnachgiebigen Verhalten die Europäische Union heraus. Denn er weiß auch: Niemand in den oberen Etagen der europäischen Politik will eine Staatspleite Griechenlands riskieren, die Folgen wären unabsehbar. Gustav Horn, Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung, sieht die Eurozone in ihrer bisherigen Form bereits am Ende, wenn es im Schuldenstreit zwischen Griechenland und den EU-Partnern nicht zu einer Einigung kommen sollte. Horn bezeichnet dieses Tauziehen als "einen Konflikt mit ungeheurer Sprengkraft". Die griechische Regierung müsse wissen, dass sie nicht alles haben könne. "Mehr ausgeben und gleichzeitig die Schulden nicht mehr bedienen, ist eine Zumutung für den europäischen Steuerzahler", betonte der IMK-Chef. Wenn Tsipras und seine Regierung den angekündigten Kurs durchalten, dann, ist sich Horn sicher, betrage die Wahrscheinlichkeit, dass Griechenland einen Zahlungsausfall erleide, "exakt 100 Prozent".
Die Folgen einer griechischen Staatspleite wären verheerend - vor allem für Griechenland
Das Szenario einer Staatspleite in der Eurozone spielen die Notenbanken in Europa, allen voran die EZB, seit 2012 regelmäßig durch - damals wurde Griechenland von den europäischen Nachbarn mit Hilfsgeldern vor dem Bankrott gerettet. Im Detail sind die Folgen jedoch kaum absehbar. Sicher ist, dass das öffentliche Leben in Griechenland zum Erliegen kommen würde. Sozialsysteme könnten nur nach Kassenlage aufrecht erhalten werden, das Geld für Beamte oder Rentner würde knapp werden. Die Infrastruktur würde zusammenbrechen, zum Beispiel der öffentliche Nahverkehr, die Müllabfuhr oder das Bildungssystem. Die medizinische Versorgung in Krankenhäusern wäre massiv bedroht.
Verheerende Folgen hätte ein Staatsbankrott auch für die griechischen Banken, die zu den großen Gläubigern des Staates gehören. Das würde auch Unternehmen treffen, die keine Kredite mehr erhalten könnten. Die konjunkturelle Lage des Landes würde weiter verschärft, die Arbeitslosigkeit stiege drastisch an, die Steuereinnahmen Griechenlands würden weiter einbrechen. Auch über die Finanzmärkte könnten sich die Hellenen kein weiteres Geld mehr besorgen, weil Gläubiger fürchten müssten, nichts mehr zurückzuerhalten.
Zurück zur Drachme - letzter Ausweg "Grexit"!
Um das öffentliche Leben wieder finanzieren zu können, müsste die griechische Notenbank selbst Geld drucken. Das könnte sie aber nicht, solange die Griechen Teil der Eurozone sind, die Hellenen bräuchten wieder eine eigene Währung - zum Beispiel die alte griechische Drachme. Griechenland wäre gezwungen, aus der Eurozone auszutreten, der "Grexit" wäre Realtität.
Die Drachme würde Griechenland aber kaum helfen. In die neue (alte) Währung hätte kaum ein Geldgeber Vertrauen, da die griechische Konjunktur am Boden liegen würde. Da Griechenland weiter keine Sicherheiten bieten könnte, würde die Drachme sofort rasant an Wert verlieren. Experten rechnen mit einer Abwertung der Drachme um 50 Prozent.
Positiv wäre dies für die Nachfrage nach griechischen Produkten, die deutlich billiger würden. Ebenso günstiger würden Reisen nach Griechenland. Alle Waren und Dienstleistungen, die Griechenland aus dem Ausland importiert, würden hingegen deutlich teurer, vielleicht unbezahlbar. Das Land müsste erneut Schulden machen, was die Griechen innerhalb Europas weiter isolieren würde.
Hilfsgelder für Griechenland wären verloren
Sicher ist bei einem griechischen Staatsbankrott auch, dass die Hilfsgelder, die die Hellenen in den vergangenen Jahren erhalten haben, verloren wären. Die europäischen Geldgeber müssten ihre Milliardenhilfen abschreiben. Neben griechischen und ausländischen Banken sind das auch private Gläubiger wie etwa Finanzinvestoren, Versicherungen oder Pensionsfonds. Durch ihre Anleihekäufe gehören auch die Europäische Zentralbank zu den Gläubigern, ebenso die Euro-Staaten und der Internationale Währungsfonds über die Rettungsschirme.
Für Deutschland bedeutet eine griechische Pleite laut Holger Schmieding, dem Chef-Ökonom der Berenberg-Bank, den Verzicht auf Forderungen in Höhe von 72 Milliarden Euro. Allerdings sind dabei die Kredite, die über den Internationalen Währungsfonds (IWF) laufen, noch nicht eingerechnet. Das Münchner Ifo-Institut kommt in seiner Berechnung auf insgesamt annähernd 76 Milliarden Euro. Überraschende Erkenntnis der Ifo-Berechnungen: Ein Verbleib Griechenlands in der Eurozone wäre für Deutschland rund eine Milliarde teurer als ein Austritt. "Falls Griechenland zahlungsunfähig wird und im Euroraum verbleibt, ist mit einem Verlust von bis zu 77 Milliarden Euro zu rechnen", sagt Professor Timo Wollmershäuser, kommissarischer Leiter des Ifo-Instituts.
Massiver Vertrauensverlust in den Euro bei "Grexit"?
Ein Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone würde sich auch auf die europäische Gemeinschaftswährung auswirken - wie ist allerdings unabsehbar. Die Angst vor weiteren Austritten anderer Krisenländer aus der Eurozone könnte das Vertrauen in den Euro massiv erschüttern. Denn: Mit einer Staatspleite würde offenkundig, dass die europäischen Staaten nicht in der Lage waren, den Bankrott eines Euro-Mitgliedslandes zu verhindern. Ein befürchteter Dominoeffekt könnte zu massiv steigenden Anleihezinsen in den Euro-Staaten führen, die weitere Staatspleiten zur Folge haben könnten.
Die gute Nachricht für die Eurozone: Griechenland ist als Wirtschaftsfaktor nicht besonders relevant. "Wenn keine nennenswerten Ansteckungseffekte auf andere Staaten entstehen, sind die Auswirkungen überschaubar", sagt Jürgen Matthes vom Institut der deutschen Wirtschaft. Auch nach Ansicht von S&P wäre ein "Grexit" für den Euroraum inzwischen verkraftbar. Ein Total-Verlust der Griechenland-Forderungen hätte wohl keine negativen Auswirkungen auf die Bonität der Geldgeber.
Commerzbank-Analyst Ulrich Leuchtmann hält es sogar für möglich, dass der Euro positiv auf einen möglichen Ausstieg der Griechen aus dem Euro reagieren würde. Wenn die Sicherungsmechanismen unter anderem der EZB so funktionierten wie geplant, wären Ansteckungseffekte beendet, bevor sie richtig begonnen hätten, so seine Überlegung. Noch klarere Worte findet Marc-Oliver Lux, Geschäftsführer beim Vermögensverwalter Dr. Lux & Präuner: "Ein 'Grexit' ist vermutlich das Beste, was Europa passieren kann." Die Tsipras-Regierung entwickele sich immer mehr zum Störenfried, den keiner mehr ernst nehmen könne.
Tsipras hat viel riskiert - und verloren
Alexis Tsipras' Mission, die Position Griechenlands gegenüber seinen europäischen Partnern zu stärken, geht weiter, seine "Waffen" im Kampf gegen das verhasste Spardikat allerdings sind überschaubar. Die europäischen Geldgeber waren bereit, den Griechen entgegen zu kommen, ihre Vorschläge zu diskutieren. Doch die Forderungen der Griechen sind inakzeptabel, die "Institutionen" können und wollen sich nicht erpressen lassen. Sie wissen: Größter Verlierer einer griechischen Staatspleite wären die Hellenen selbst.
Tsipras' hat hoch gepokert, möglicherweise zu hoch. Seine Mission scheint beendet, bevor sie richtig begonnen hat. Für die Griechen wäre es an der Zeit der Realität ins Auge zu blicken: Griechenland hat jahrelang über seine Verhältnisse gelebt. Nur durch die europäischen Nachbarn und ihre Hilfskredite wurde Athen vor der Pleite gerettet. Die Griechen können nicht länger auf Kosten ihrer Gläubiger leben, ohne das Staatssystem zu reformieren, ohne die Korruption im Land zu beseitigen, ohne die eigenen Schulden zu verringern - hart, aber alternativlos. Ein Staatsbankrott würde die Griechen noch härter treffen, für die Eurozone wäre ein solches Szenario inzwischen wohl verkraftbar.
Von Markus Gentner
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