18.03.2011 13:45:41
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FOKUS: Atomkonzerne dürften Kraftwerksabschaltung verkraften
Von Martin Rapp DOW JONES NEWSWIRES DÜSSELDORF (Dow Jones)--Die Wende in der deutschen Energiepolitik nach den tragischen Ereignissen in Japan hat die hiesigen Kernkraftbetreiber kalt erwischt. Die Aussetzung der Laufzeitverlängerung und der Beschluss zur Abschaltung von sieben Reaktoren sind das vorläufige Resultat und haben an der Börse für einen Kursrutsch bei E.ON und RWE gesorgt. Aber sind die jüngsten Entscheidungen wirklich so negativ für die Konzerne? Analysten kommen zunehmend zu dem Schluss, dass die finanziellen Auswirkungen begrenzt sein dürften und die Konzerne von der Abschaltung der wenig rentablen älteren Atommeiler am Ende vielleicht sogar profitieren könnten.
Die Welt ist schockiert von den Bildern aus Fukushima, wo verzweifelt versucht wird, eine Kernschmelze und eine drohende atomare Verseuchung der Umgebung zu verhindern. Doch nirgendwo auf der Welt hat die Politik so schnell Schlüsse aus dem Geschehen gezogen wie hierzulande. Angesichts von drei anstehenden wichtigen Landtagswahlen noch in diesem Monat entschloss sich die schwarz-gelbe Bundesregierung zur Kehrtwende. Die erst im Herbst beschlossene Laufzeitverlängerung wird für drei Monate ausgesetzt, und in dieser Zeit gehen die sieben vor 1980 gebauten Reaktoren mit einer Gesamtleistung von mehr als sieben Gigawatt vom Netz. Knapp 5% der gesamten Stromerzeugungskapazität in Deutschland stehen damit zunächst nicht mehr zur Verfügung.
Ob sie je wieder angefahren werden, bezweifeln Politiker hinter vorgehaltener Hand. Im Fall des EnBW-Meilers Neckarwestheim I, des E.ON-Kraftwerks Isar I und der RWE-Reaktoren in Biblis scheint die Politik ihr Urteil schon gefällt zu haben. Und auch für die anderen Meiler dürfte es schwer werden. "Ich gehe davon aus, dass die Kraftwerke nicht rückholbar sein werden", sagte ein Fachpolitiker der Regierungskoalition, der namentlich nicht genannt werden wollte. Was am Ende des Moratoriums herauskommt, hängt nach Meinung von Peter Wirtz von der WestLB vom Ausgang der Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Hessen ab - und von den Entwicklungen rund um die japanischen Kraftwerksanlagen in Fukushima. "Es könnte passieren, dass die Sicherheitsanforderungen so hoch geschraubt werden, dass ein Wiederanfahren unwirtschaftlich ist", sagte er.
Das hatten die Betreiber schon befürchtet und bei der Laufzeitverlängerung eine Begrenzung der Nachrüstungskosten auf 500 Mio EUR je Reaktor vereinbart. Schon vor Fukushima war vereinzelt der Weiterbetrieb einzelner Anlagen von den Unternehmensführern in Zweifel gezogen worden, so im Fall von Neckarwestheim I und dem Vattenfall-Reaktor Brunsbüttel. Weitere Sicherheitsanforderungen könnten die Rentabilität gerade der älteren Anlagen entscheidend verschlechtern. "RWE und E.ON haben im Vergleich mit den europäischen Konkurrenten den schwersten Stand auf dem Heimatmarkt", urteilt WestLB-Analyst Wirtz.
Die kurzfristig erwarteten Einnahmeausfälle aus diesen Atomkraftwerken haben die Aktien der Versorger entsprechend seit Wochenbeginn in den Keller gedrückt: bei E.On ergibt sich seit Montag ein Kursrutsch von 7%, bei RWE sind es sogar knapp über 8%. Bei der Karlsruher EnBW pendelt der Kurs aufgrund eines laufenden Übernahmeangebots des Landes Baden-Württemberg knapp unter dem Gebotspreis von 41,50 EUR. Die deutschen Versorger schneiden im europäischen Vergleich deutlich schlechter ab: der Euro-Stoxx-600 Index für die Versorger verlor im gleichen Zeitraum nur rund 4% an Wert.
Analysten halten die Marktreaktion jedoch für überzogen. Kurzfristig belaste zwar der Wegfall sicher geglaubter Einnahmen -- so erzielt etwa EnBW Branchenschätzungen zufolge etwa 90% seines Gewinns aus der Stromproduktion, die zu drei Vierteln aus den vier Meilern in Neckarestheim und Philippsburg stammt. Doch mittel- bis langfristig könnte die Verknappung des Angebots zu steigenden Strompreisen führen, was zusammen mit der erwarteten größeren Nachfrage nach Strom aus Gas die Ertragssituation der Versorger aufhellen sollte.
Am Strommarkt steigen jedenfalls schon die Preise, weil Abnehmer die Verknappung des Angebots einpreisen. "Die Strompreise sind seit Montag auf ganzer Linie gestiegen", berichtet UniCredit-Analyst Lueder Schumacher. Die Aussicht auf den Wegfall von rund sieben Gigawatt Leistung ändere die Einschätzung der Marktteilnehmer, erklärte Schumacher. Nun rechne man damit, es könne bereits 2012 zu einer Angebotsknappheit am deutschen Strommarkt kommen. Zuvor war nicht vor 2015 mit solchen Effekten aus dem Atomausstieg gerechnet worden.
Steigende Preise aber sind gut für die jetzt abgeschlossenen langfristigen Verträge der Versorger. Und das wiederum könnte auf mittlere und längere Sicht die Einnahmeausfälle ausgleichen, die die Konzerne durch die Abschaltung hinnehmen müssen. "Wenn der Strompreisanstieg nachhaltig ist, werden diese Erträge die durch die Abschaltung fehlenden Gewinne ungefähr ausgleichen", erwartet Schumacher. Ein anderer Analyst, der namentlich nicht genannt werden wollte, schließt nicht aus, dass die Vorteile sogar überwiegen. "Ich kann mir vorstellen, dass der Saldo sogar positiv ist", sagte der Analyst - vorausgesetzt, die Strompreise bleiben hoch.
Einen zweiten Effekt haben die Analysten von J.P. Morgan im Blick. So sind die Gaspreise zuletzt in Erwartung einer höheren Nachfrage etwa aus Japan und Deutschland deutlich gestiegen. Gaskraftwerke können vergleichsweise schnell und billig gebaut werden. Der Münchener Siemens-Konzern etwa kalkuliert damit, dass ein Gaskraftwerk mit einer Energieleistung von etwa 2.000 Megawatt rund 750 Mio EUR kostet und innerhalb von zwölf Monaten auf der grünen Wiese hochgezogen werden kann. Noch wichtiger für die Versorger: Da gleichzeitig der Ölpreis wegen der erwarteten konjunkturellen Eintrübung gleichzeitig gesunken ist, hat sich der Abstand zwischen Öl- und Gaspreis wieder eingeengt. Wegen des ölpreisgebundenen Langfristbezugs und der niedrigen Gasverkaufspreise hatten die Versorger in diesem Bereich zuletzt hohe Verluste verzeichnet, jetzt kommt von dieser Seite her eine unerwartete Entlastung.
Kein Wunder, dass auch die Versorger selbst nicht mit großen Einbußen aus der Abschaltung der älteren Meiler rechnet. Man sehe derzeit keinerlei Veranlassung, die Ergebnisprognose zu ändern, hieß es etwa bei EnBW, die den Ausfall zweier Reaktoren verkraften muss. Und ein E.ON-Sprecher gestand zwar ein, dass die dreimonatige Auszeit einen "negativen Ergebniseinfluss" habe. "Das ändert nichts an der vorgelegten Bandbreite für die Jahresprognose", fügte er hinzu. Noch kein abschliessendes Bild traut man sich bei RWE zu: Es sei noch zu früh, um über die finanziellen Auswirkungen aus dem Moratorium zu spekulieren, so der Essener Großkonzern.
-Von Martin Rapp, Dow Jones Newswires; +49 211 13 87 214; martin.rapp@dowjones.com (Jan Hromadko in Frankfurt hat zu diesem Artikel beigetragen.) DJG/mmr/kgb/cbr (END) Dow Jones Newswires
March 18, 2011 08:13 ET (12:13 GMT)
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