Euro am Sonntag |
28.03.2016 03:04:18
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EZB-Politik: Zweite Halbzeit für die Geldschwemme
von Ann-Katrin Petersen, Gastautorin von Euro am Sonntag
Seit März 2015 kaufen die Europäische Zentralbank und die nationalen Zentralbanken des Euroraums in großem Stil Euro-Staatspapiere an. Zum einjährigen Jubiläum des quantitativen Lockerungsprogramms (Quantitative easing, QE) hält das Eurosystem verzinsliche Wertpapiere im Wert von insgesamt 801 Milliarden Euro. Damit wurde knapp die Hälfte (46 Prozent) des im Dezember 2015 um sechs Monate verlängerten und auf der jüngsten Ratssitzung ausgeweiteten QE-Programms abgewickelt.
An den Euro-Rentenmärkten hat sich der Trend zu Negativrenditen zuletzt intensiviert. Rund 45 Prozent der Staatsanleihen rentieren unter der Nullmarke. Die Negativzinspolitik und die kontinuierliche Notenbanknachfrage nach Euro-Staatspapieren dürften auch weiterhin einen Abwärtsdruck auf die Renditen ausüben. Bei den realwirtschaftlichen Effekten ergibt sich dagegen ein gemischtes Bild.Rohölpreisverfall erschwert der EZB,
Die niedrigen Rohstoffpreise, die die Geldpolitik kaum beeinflussen kann, haben den Währungshütern einen Strich durch die Rechnung gemacht. Sie verzögern den ohnehin nur allmählichen Anstieg der Inflationsrate in Richtung Preisstabilitätsziel von mittelfristig "unter, aber nahe zwei Prozent". So betrug die Inflationsrate im Euroraum 2015 im Durchschnitt null Prozent. Wären die Energiepreise konstant geblieben, und nicht um 6,8 Prozent gegenüber dem Vorjahr gefallen, hätte die Inflationsrate immerhin bei 0,8 Prozent gelegen.
Doch inzwischen hinterlassen die Niedrigpreisphase und die nachlassende Euroschwäche auch Spuren in der Kerninflationsrate, bei der Energiepreisänderungen nicht zu Buche schlagen. Die Gefahr eines Glaubwürdigkeitsverlusts, der mit einem nachhaltigen Unterschießen der Inflation einherginge, hat für die EZB an Bedeutung gewonnen. Ist die Notenbank mit ihrem QE-Programm also gescheitert?
Ein Blick auf die Wirkkanäle der unkonventionellen Geldpolitik - Normalisierung der Inflationserwartungen, schwächerer Euro-Wechselkurs, Ankurbelung der Kreditvergabe und Portfolio-Effekte - zeigt Licht und Schatten:
1. Eine feste Verankerung der Inflationserwartungen stellt sicher, dass vorübergehende Bewegungen der Inflationsraten nicht in Zweitrundeneffekten auf die Löhne durchschlagen und sich damit verstetigen. Während die umfragebasierten Erwartungen auf Fünfjahressicht in den vergangenen Quartalen weitgehend stabil bei knapp unter zwei Prozent lagen, betrugen die marktbasierten langfristigen Erwartungen zuletzt 1,5 Prozent. Auf Letztere legt EZB-Präsident Mario Draghi ein besonderes Augenmerk.
2. Gegenüber den wichtigsten Handelswährungen hatte der Euro im Umfeld der Ankündigung von QE im Januar 2015 stark abgewertet. Diese Abwertung ging maßgeblich auf die Entwicklung des bilateralen Wechselkurses gegenüber dem US-Dollar zurück, der wiederum von der geldpolitischen Divergenz zwischen Fed und EZB geprägt ist. Zwar rentiert der Euro-Außenwert aktuell noch immer etwa 4,5 Prozent schwächer als im Jahresdurchschnitt 2014. Doch seither ist eine Aufwärtstendenz zu beobachten.
3. Dagegen wirkt sich das Ankaufprogramm in Draghis Worten " …nach wie vor positiv auf die Kosten und die Verfügbarkeit von Krediten an Unternehmen und private Haushalte aus". Zwar wachsen die Buchkredite an den Privatsektor schleppender, als man es in einer Konjunkturerholung erwarten würde. Störungen bei der Übertragung geldpolitischer Impulse auf die Wirtschaft scheinen aber allmählich an Bedeutung zu verlieren.
4. Ein weiterer Kanal sind sogenannte "Portfolio-Effekte": In dem Maße, wie das Eurosystem risikoärmere Wertpapiere kauft, ersetzen Investoren diese durch risikoreichere Anlagen wie Aktien oder Immobilienvermögen. In Summe - so die Theorie - sinken die Risikoprämien über die Breite der Anlageklassen, während die Vermögen der Investoren steigen. Die unmittelbare Marktreaktion nach der EZB-Ankündigung, Unternehmensanleihen in das Kaufuniversum aufzunehmen, haben diesen Effekt jüngst verdeutlicht. Gerade die Entwicklung an den Euro-Aktienmärkten über die vergangenen Wochen zeigt freilich, dass neben der Geldpolitik fundamentale Faktoren wie die Einschätzung zu Konjunktur- und Gewinnperspektiven eine ebenso wichtige Rolle spielen. Es wäre also verfehlt zu behaupten, die quantitative Lockerung sei wirkungslos verpufft. Schätzungen von EZB-Experten zeigen, dass die Inflationsrate ohne die geldpolitischen Schritte bei minus 0,33 Prozent gelegen hätte und im gesamten Jahresverlauf 2016 deutlich im negativen Bereich bleiben würde. Seit 2015 hätte also durchgehend Deflation geherrscht.Zentralbanken als größte
Aufwärtsgerichtete Basiseffekte und die erwartete moderate Ölpreiserholung dürften 2016 zu einem Anstieg des Verbraucherpreisindex führen. In Kombination mit gemäßigten Lohnsteigerungen ist für 2017 im Schnitt eine Teuerungsrate von annähernd 1,5 Prozent realistisch und Draghis Ziel in greifbarer Nähe.
Geduld ist gefragt. Der verbleibende Handlungsspielraum der EZB ist angesichts des umfassenden Maßnahmenbündels vom 10. März gesunken. Weitere unkonventionelle Schritte könnten nicht nur mit einer abnehmenden ökonomischen Wirkung, sondern auch mit unerwünschten Nebenwirkungen einhergehen:
• Bis Ende 2016 wird sich der vom Eurosystem gehaltene Bestand an Wertpapieren des öffentlichen Sektors voraussichtlich auf rund ein Siebtel der Bruttostaatsverschuldung des Euroraums bzw. ein Viertel des handelbaren liquiden Staatsanleihemarkts belaufen. Damit steigen die Zentralbanken zu den größten Gläubigern der Euro-Mitgliedsstaaten auf. Stärkere Wechselwirkungen zwischen Geld- und Fiskalpolitik sind die mögliche Folge.
• Die Niedrigzinsen mindern den Druck auf die Regierungen, ihre Haushalte zu konsolidieren und Wirtschaftsstrukturen anzupassen, um die Wachstumskräfte zu stärken. Es bleibt aber dabei: Die Herausforderungen im Euroraum können mit Liquiditätsinstrumenten allein nicht behoben, sondern müssen von nationalen wirtschaftspolitischen Reformen flankiert werden.
Kurzvita
Ann-Katrin Petersen,
Anlagestrategin bei Allianz Global Investors
Die Diplom-Volkswirtin Petersen begann ihre berufliche Laufbahn im Jahr 2010 in der volkswirtschaftlichen Abteilung der Allianz SE und ist seit 2014 als Vice President im Bereich Global Capital Markets & Thematic Research tätig, dem Thinktank von Allianz Global Investors. Petersen absolvierte als Jahrgangsbeste ihr Volkswirtschaftsstudium an den Universitäten Bayreuth und Nottingham. Darüber hinaus hat sie einen Bachelor of Arts in "Philosophy & Economics".
Seit März 2015 kaufen die Europäische Zentralbank und die nationalen Zentralbanken des Euroraums in großem Stil Euro-Staatspapiere an. Zum einjährigen Jubiläum des quantitativen Lockerungsprogramms (Quantitative easing, QE) hält das Eurosystem verzinsliche Wertpapiere im Wert von insgesamt 801 Milliarden Euro. Damit wurde knapp die Hälfte (46 Prozent) des im Dezember 2015 um sechs Monate verlängerten und auf der jüngsten Ratssitzung ausgeweiteten QE-Programms abgewickelt.
An den Euro-Rentenmärkten hat sich der Trend zu Negativrenditen zuletzt intensiviert. Rund 45 Prozent der Staatsanleihen rentieren unter der Nullmarke. Die Negativzinspolitik und die kontinuierliche Notenbanknachfrage nach Euro-Staatspapieren dürften auch weiterhin einen Abwärtsdruck auf die Renditen ausüben. Bei den realwirtschaftlichen Effekten ergibt sich dagegen ein gemischtes Bild.
Rohölpreisverfall erschwert der EZB,
ihre Ziele zu erreichen
Die niedrigen Rohstoffpreise, die die Geldpolitik kaum beeinflussen kann, haben den Währungshütern einen Strich durch die Rechnung gemacht. Sie verzögern den ohnehin nur allmählichen Anstieg der Inflationsrate in Richtung Preisstabilitätsziel von mittelfristig "unter, aber nahe zwei Prozent". So betrug die Inflationsrate im Euroraum 2015 im Durchschnitt null Prozent. Wären die Energiepreise konstant geblieben, und nicht um 6,8 Prozent gegenüber dem Vorjahr gefallen, hätte die Inflationsrate immerhin bei 0,8 Prozent gelegen.
Doch inzwischen hinterlassen die Niedrigpreisphase und die nachlassende Euroschwäche auch Spuren in der Kerninflationsrate, bei der Energiepreisänderungen nicht zu Buche schlagen. Die Gefahr eines Glaubwürdigkeitsverlusts, der mit einem nachhaltigen Unterschießen der Inflation einherginge, hat für die EZB an Bedeutung gewonnen. Ist die Notenbank mit ihrem QE-Programm also gescheitert?
Ein Blick auf die Wirkkanäle der unkonventionellen Geldpolitik - Normalisierung der Inflationserwartungen, schwächerer Euro-Wechselkurs, Ankurbelung der Kreditvergabe und Portfolio-Effekte - zeigt Licht und Schatten:
1. Eine feste Verankerung der Inflationserwartungen stellt sicher, dass vorübergehende Bewegungen der Inflationsraten nicht in Zweitrundeneffekten auf die Löhne durchschlagen und sich damit verstetigen. Während die umfragebasierten Erwartungen auf Fünfjahressicht in den vergangenen Quartalen weitgehend stabil bei knapp unter zwei Prozent lagen, betrugen die marktbasierten langfristigen Erwartungen zuletzt 1,5 Prozent. Auf Letztere legt EZB-Präsident Mario Draghi ein besonderes Augenmerk.
2. Gegenüber den wichtigsten Handelswährungen hatte der Euro im Umfeld der Ankündigung von QE im Januar 2015 stark abgewertet. Diese Abwertung ging maßgeblich auf die Entwicklung des bilateralen Wechselkurses gegenüber dem US-Dollar zurück, der wiederum von der geldpolitischen Divergenz zwischen Fed und EZB geprägt ist. Zwar rentiert der Euro-Außenwert aktuell noch immer etwa 4,5 Prozent schwächer als im Jahresdurchschnitt 2014. Doch seither ist eine Aufwärtstendenz zu beobachten.
3. Dagegen wirkt sich das Ankaufprogramm in Draghis Worten " …nach wie vor positiv auf die Kosten und die Verfügbarkeit von Krediten an Unternehmen und private Haushalte aus". Zwar wachsen die Buchkredite an den Privatsektor schleppender, als man es in einer Konjunkturerholung erwarten würde. Störungen bei der Übertragung geldpolitischer Impulse auf die Wirtschaft scheinen aber allmählich an Bedeutung zu verlieren.
4. Ein weiterer Kanal sind sogenannte "Portfolio-Effekte": In dem Maße, wie das Eurosystem risikoärmere Wertpapiere kauft, ersetzen Investoren diese durch risikoreichere Anlagen wie Aktien oder Immobilienvermögen. In Summe - so die Theorie - sinken die Risikoprämien über die Breite der Anlageklassen, während die Vermögen der Investoren steigen. Die unmittelbare Marktreaktion nach der EZB-Ankündigung, Unternehmensanleihen in das Kaufuniversum aufzunehmen, haben diesen Effekt jüngst verdeutlicht. Gerade die Entwicklung an den Euro-Aktienmärkten über die vergangenen Wochen zeigt freilich, dass neben der Geldpolitik fundamentale Faktoren wie die Einschätzung zu Konjunktur- und Gewinnperspektiven eine ebenso wichtige Rolle spielen. Es wäre also verfehlt zu behaupten, die quantitative Lockerung sei wirkungslos verpufft. Schätzungen von EZB-Experten zeigen, dass die Inflationsrate ohne die geldpolitischen Schritte bei minus 0,33 Prozent gelegen hätte und im gesamten Jahresverlauf 2016 deutlich im negativen Bereich bleiben würde. Seit 2015 hätte also durchgehend Deflation geherrscht.
Zentralbanken als größte
Gläubiger der Eurostaaten
Aufwärtsgerichtete Basiseffekte und die erwartete moderate Ölpreiserholung dürften 2016 zu einem Anstieg des Verbraucherpreisindex führen. In Kombination mit gemäßigten Lohnsteigerungen ist für 2017 im Schnitt eine Teuerungsrate von annähernd 1,5 Prozent realistisch und Draghis Ziel in greifbarer Nähe.
Geduld ist gefragt. Der verbleibende Handlungsspielraum der EZB ist angesichts des umfassenden Maßnahmenbündels vom 10. März gesunken. Weitere unkonventionelle Schritte könnten nicht nur mit einer abnehmenden ökonomischen Wirkung, sondern auch mit unerwünschten Nebenwirkungen einhergehen:
• Bis Ende 2016 wird sich der vom Eurosystem gehaltene Bestand an Wertpapieren des öffentlichen Sektors voraussichtlich auf rund ein Siebtel der Bruttostaatsverschuldung des Euroraums bzw. ein Viertel des handelbaren liquiden Staatsanleihemarkts belaufen. Damit steigen die Zentralbanken zu den größten Gläubigern der Euro-Mitgliedsstaaten auf. Stärkere Wechselwirkungen zwischen Geld- und Fiskalpolitik sind die mögliche Folge.
• Die Niedrigzinsen mindern den Druck auf die Regierungen, ihre Haushalte zu konsolidieren und Wirtschaftsstrukturen anzupassen, um die Wachstumskräfte zu stärken. Es bleibt aber dabei: Die Herausforderungen im Euroraum können mit Liquiditätsinstrumenten allein nicht behoben, sondern müssen von nationalen wirtschaftspolitischen Reformen flankiert werden.
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Anlagestrategin bei Allianz Global Investors
Die Diplom-Volkswirtin Petersen begann ihre berufliche Laufbahn im Jahr 2010 in der volkswirtschaftlichen Abteilung der Allianz SE und ist seit 2014 als Vice President im Bereich Global Capital Markets & Thematic Research tätig, dem Thinktank von Allianz Global Investors. Petersen absolvierte als Jahrgangsbeste ihr Volkswirtschaftsstudium an den Universitäten Bayreuth und Nottingham. Darüber hinaus hat sie einen Bachelor of Arts in "Philosophy & Economics".
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