Knatsch mit Aufsichtsrat 16.07.2020 19:59:00

Ex-Wirecard-Chef nahm Millionenkredit bei Wirecard-Banktochter - Bundesrechnungshof nimmt Bafin und Ministerium ins Visier

Ex-Wirecard-Chef nahm Millionenkredit bei Wirecard-Banktochter - Bundesrechnungshof nimmt Bafin und Ministerium ins Visier

"Wir werden das System der Aufsicht - Struktur und Risikomanagement am Beispiel Wirecard - untersuchen und warum die Bafin offenbar die Anhaltspunkte nicht aufgegriffen hat", sagte der Bundesrechnungshof-Präsident Kay Scheller dem "Spiegel" (Donnerstag). "Wir werden dabei auch prüfen, wie das Bundesfinanzministerium und die Bafin mit den Vorwürfen falscher Bilanzen sowie mit den Berichten der Wirtschaftsprüfer umgegangen sind."

Für die Bafin ist dies bereits die zweite angekündigte Überprüfung möglicher Mängel und Fehler im Fall Wirecard - zuvor hatte schon die EU-Kommission die europäische Finanzaufsicht Esma auf den Fall angesetzt. "Jahrelang wurden Hinweise gegeben, unter anderem durch journalistische Recherchen, und es stellt sich die Frage, ob die Bafin da ausreichend hingeschaut hat", sagte Scheller dem "Spiegel". "Hier sind bedeutende Fragen unbeantwortet - und daher ist auch der Bundesrechnungshof gefordert. Es gibt offensichtlich Lücken im Aufsichtssystem."

Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) hatte seinerseits bereits angekündigt, die Aufsicht verbessern zu wollen, nun muss sich auch sein Ministerium Fragen stellen.

Wirecard hatte im Juni mutmassliche Luftbuchungen von 1,9 Milliarden Euro eingeräumt, die Staatsanwaltschaft München ermittelt gegen mehrere ehemalige und aktive Manager, inklusive des vom Aufsichtsrat nachträglich gefeuerten Ex-Vorstandschefs Markus Braun. Eine zweite Schlüsselfigur hat sich mit unbekanntem Aufenthalt mutmasslich nach Übersee abgesetzt: der ehemalige Vertriebsvorstand Jan Marsalek. Die britische "Financial Times" hatte seit 2015 über Unstimmigkeiten in den Bilanzen des Zahldienstleisters berichtet.

Die Bafin selbst hat mehrfach darauf hingewiesen, dass sie nicht die volle Aufsicht über Wirecard hatte, weil lediglich die Tochterbank des Skandalunternehmens aus dem Münchner Vorort Aschheim als Finanzdienstleister eingestuft war, nicht jedoch der gesamte Konzern. Und für die Kontrolle von Unternehmensbilanzen war nach bisheriger Rechtslage in erster Linie auch nicht die Bafin zuständig, sondern die Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung (DPR).

Nach Schellers Worten war die grundsätzliche Problemstellung, dass Wirecard sowohl ein Fintech-Unternehmen als auch eine Bank sei, "allen bekannt". "Hierauf hätte man das Aufsichtssystem ausrichten sollen und aus heutiger Sicht auch müssen."

Ebenfalls in der Kritik ist die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY, die die Jahresbilanzen bei Wirecard seit 2009 geprüft und testiert hatte. Die Münchner Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass Scheinumsätze bereits seit Jahren in die Bilanzen einflossen.

Verbesserungsbedarf bei Aufsicht und Bilanzprüfung sieht auch das Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland - ohne dass dessen Vorstandssprecher Klaus-Peter Naumann EY angriff. Ein Vorschlag des IDW: Unternehmensvorstände sollten gesetzlich verpflichtet werden, ein angemessenes internes Kontrollsystem für die Rechtstreue ihrer Firmen einzurichten. Ein weiterer Vorschlag: Die Bilanzprüfer sollten nach Hinweisen auf Manipulationen bei Unternehmen öffentlichen Interesses verstärkt "forensische Methoden" einsetzen - also Verdachtsmomenten gezielt nachgehen.

Ex-Wirecard-Chef nahm Millionenkredit bei Wirecard-Banktochter

Ex-Wirecard -Vorstandschef Markus Braun hat in den ersten Jahresmonaten bei der Banktochter des mittlerweile insolventen Konzerns einen Kredit in Höhe von 35 Millionen Euro in Anspruch genommen. Das Darlehen sei aufgenommen worden, "um eine Verwertung von Aktien durch eine (dritte) Bank zu vermeiden", teilte eine Anwältin von Braun am Donnerstag auf Anfrage mit. Zuvor hatte die "Financial Times" ("FT") über den Millionenkredit Brauns aus dem eigenen Hause berichtet.

Braun war mit seiner MB Beteiligungsgesellschaft lange Zeit der grösste Einzelaktionär des Wirecard-Konzerns. Nachdem der Konzern wegen eines fehlenden Testats durch den Wirtschaftsprüfer EY am 18. Juni keinen Jahresabschluss für das Jahr 2019 vorlegen konnte und damit einen der grössten Bilanzskandale in Deutschland auslöste, trat Braun am 19. Juni von seinem Vorstandsvorsitz zurück, später kündigte der Konzern seinen Anstellungsvertrag ausserordentlich.

Nach seinem Rücktritt verkaufte Braun mit dem Kurssturz nach und nach den grössten Teil seiner Aktien, laut Stimmrechtsmitteilungen auch, um Kreditverpflichtungen bei Banken nachzukommen, bei denen solche Aktien als Sicherheit hinterlegt waren. Den in Frage stehenden Kredit bei der konzerneigenen Wirecard Bank nahm Braun im Januar in Anspruch, im März zahlte er ihn den Angaben seiner Anwältin zufolge zurück. Demnach war der Kredit mit einem Zinssatz von 12,55 Prozent versehen - Braun zahlte für den Zeitraum von zweieinhalb Monaten 963 909,72 Euro Zinsen. Aktien der Wirecard AG selbst seien für den Kredit bei der Tochter nicht hinterlegt worden.

Der "FT" zufolge hatte es mit dem Aufsichtsrat Knatsch um den Kredit gegeben, weil das Aufsichtsgremium erst im Nachhinein von dem gewährten Darlehen erfahren haben soll - dabei beruft sich die Zeitung auf direkt mit der Angelegenheit Beteiligte. Braun bestreitet über seine Anwältin, dass der Kredit wegen eines Streits mit den Kontrolleuren zurückgezahlt wurde. "Das Darlehen wurde wie vereinbart und ohne, dass wie auch immer gearteter Druck ausgeübt wurde, im März 2020 zurückgeführt", hiess es in einer Stellungnahme.

Braun habe nicht argumentiert, dass der Aufsichtsrat der Wirecard AG nicht für die Darlehensvergabe zuständig sei. "Dr. Braun war lediglich Antragsteller; er war an der Beschlussfassung über die Gewährung des Kredits nicht beteiligt. Er geht davon aus, dass die formalen Voraussetzungen für die Kreditbewilligung eingehalten wurden."

Zur Zeit des Kredits stand das Wirecard-Management bereits stark unter Druck. Die Sorgen von Anlegern an der Börse hätten Aktienverkäufe des Konzernchefs zu der Zeit womöglich neu angefacht.

Via XETRA gab das Wirecard-Papier am Donnerstag 5,29 Prozent auf 2,10 Euro nach.

Mit Material von dpa (AFX)

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Bildquelle: Wirecard,Anton Garin / Shutterstock.com

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