12.05.2019 15:54:41

Entlastungen oder Sozialleistungen? Koalition streitet um Prioritäten

BERLIN (dpa-AFX) - Die Regierungsparteien Union und SPD streiten angesichts weniger stark sprudelnder Steuereinnahmen um Kernanliegen. So will die Union die Grundrente von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) nicht in der geplanten Form akzeptieren, die SPD wehrt sich gegen die komplette Abschaffung des Solidaritätszuschlags. Die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer betonte derweil, sie arbeite nicht auf eine Ablösung von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) vor Ende der Legislaturperiode 2021 hin.

"Die Kanzlerin und Regierung sind für die ganze Legislaturperiode gewählt, und die Bürger erwarten zu Recht, dass sie die Verpflichtung, die mit dieser Wahl einhergeht, ernst nehmen", sagte Kramp-Karrenbauer der "Welt am Sonntag". Sie arbeite nicht auf einen "mutwilligen Wechsel" hin. Sie räumte ein, dass die schwarz-rote Koalition "sich nicht immer leichttut in ihrer Zusammenarbeit". "Der entscheidende Punkt ist: Wenn sich die Rahmenbedingungen verändern, finden wir dann in dieser Koalition die gemeinsamen, notwendigen, neuen Antworten darauf?" Über diese Antworten werde die CDU auf ihrer Klausurtagung nach der Europawahl beraten.

Den Grundrenten-Plänen der beiden SPD-Minister Heil und Olaf Scholz (Finanzen) erteilte Kramp-Karrenbauer eine klare Absage. "Die SPD will augenscheinlich insbesondere in die Rücklagen für schlechte Zeiten greifen: Ich halte das für unverantwortlich", sagte sie der Deutschen Presse-Agentur am Samstag im saarländischen Schiffweiler. "Das ist kein seriöser Weg, um eine Grundrente zu finanzieren."

Anfang des Jahres hatte Heil noch als Ziel genannt, die Aufbesserung von Minirenten aus Steuermitteln zu finanzieren. Die "Bild"-Zeitung berichtete am Samstag, die beiden Minister wollten nun auf die Renten-Rücklage zurückgreifen. In dem Topf liegen derzeit rund 38 Milliarden Euro.

Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) nannte das Vorhaben gegenüber "Bild" "ungerecht und unsolidarisch". CDU-Sozialexperte Hermann Gröhe sagte der Zeitung: "Mit anderer Leute Geld eine Runde zu schmeißen, war noch nie seriös!" Eine Grundrente "nach dem Prinzip "Gießkanne" ist ein milliardenschwerer Verstoß gegen den Koalitionsvertrag". Auch die Oppositionsparteien FDP und Grüne lehnten die Vorschläge ab.

Der CDU-Haushaltsexperte für den Bundeshaushalt Arbeit und Soziales, Axel Fischer, sagte: "Die Pläne der SPD, die geplante Grundrente aus Beitragsmitteln mitzufinanzieren, sind eine Schnapsidee. Dies käme dem Diebstahl an gesparten Versicherungsbeiträgen der Arbeitnehmer gleich und muss deshalb verhindert werden."

Trotz weniger stark wachsender Steuereinnahmen pocht die CDU auf den vollständigen Abbau des Solidaritätszuschlags. Kramp-Karrenbauer sagte der "Welt am Sonntag", die Forderung des CDU-Parteitags nach einer völligen Abschaffung des Soli gelte, da sie zum Beispiel Handwerksbetrieben helfen würde. "Aber es ist eine Forderung, die über den Koalitionsvertrag hinausgeht", räumte sie ein. Dort ist lediglich eine Abschaffung bis 2021 für 90 Prozent der Soli-Zahler festgehalten.

Für eine völlige Soli-Streichung sieht SPD-Chefin Andrea Nahles nicht den nötigen Spielraum. "Es wird nicht kommen in dieser Legislaturperiode", sagte sie am Freitag zum Soli. Das würde den Bundeshaushalt mit zusätzlichen 10 Milliarden Euro belasten. Dies sei nur finanzierbar, indem Sozialleistungen gekürzt würden oder auf einen Etat ohne neue Schulden verzichtet werde.

Bei ihrem Widerstand gegen Steuersenkungen bekam die SPD am Wochenende Unterstützung der Kommunen. "Die Steuerschätzung und die zurückgehenden Einnahmen zeigen deutlich, dass es keinen Spielraum für Steuerentlastungen gibt", sagte der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebunds, Gerd Landsberg, der Deutschen Presse-Agentur. Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetags, Hartmut Dedy, forderte finanzielle Unterstützung für die Kommunen, etwa bei den Flüchtlingskosten und der Infrastruktur.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) verlangte eine Politik zugunsten von Arbeitnehmern und Rentnern. "Zwar ist die Konjunktur getrübt", sagte DGB-Chef Reiner Hoffmann der dpa. "Doch sie wird nach wie vor durch eine starke Binnennachfrage getragen, die uns vor externen Schocks durch mögliche Handelskonflikte schützt."

Wegen der eingetrübten Konjunktur und Änderungen bei den Steuergesetzen steigen die Einnahmen des deutschen Staates in den kommenden Jahren weniger stark als zuletzt. Bis 2023 müssen Bund, Länder und Kommunen mit 124,3 Milliarden Euro weniger auskommen als noch im November erwartet./and/DP/fba

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