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28.09.2014 15:26:31

Die Nato ist die Eintrittskarte zur EU

   Von Andreas Plecko

   Die Nato und die EU scheinen auf den ersten Blick nicht viel gemeinsam zu haben, außer dass beide Organisationen ihren Hauptsitz in Brüssel haben. Die Nato ist ein Militärbündnis zwischen 28 europäischen und nordamerikanischen Staaten, die EU ein Staatenverbund mit 28 Mitgliedern, deren Interesse hauptsächlich der Stärkung der gemeinsamen Wirtschaftskraft gilt.

   "Wirtschaftlich ein Riese, politisch ein Zwerg, militärisch ein Wurm", so lautet die wenig schmeichelhafte Formel für die weltpolitische Rolle der EU. Auf der Oberfläche gibt die EU das Bild eines gutmütigen Staatenblocks ab, der nur an europäischer Integration interessiert ist. Tatsächlich hat sich die EU aber unter das Dach der mächtigsten Militärallianz der Welt gestellt, von einem "Wurm" kann daher kaum die Rede sein.

   Dass beide Bündnisse eine gleiche Zahl von Staaten umfasst, ist reiner Zufall. Sechs Nato-Staaten (USA, Kanada, Norwegen, Island, Türkei, Albanien) sind nicht in der EU, während wiederum sechs EU-Länder (Irland, Finnland, Schweden, Österreich, Zypern, Malta) nicht in der Nato sind.

   Obwohl beide Organisationen schon seit Jahrzehnten bestanden, schlossen sie erst im März 2003 das "Berlin-Plus"-Abkommen, um im Ernstfall militärische Einsätze zu koordinieren. Doch mangels konkreter Fälle wurde es nie mit Leben gefüllt.

   Die Nato und die EU scheinen so wenig gemeinsam zu haben, dass die Frankfurter Allgemeine Zeitung von einer "kleinen Sensation" sprach, als die Botschafter der EU- und der Nato-Staaten im Mai 2011 in einer gemeinsamen Sitzung über den Libyen-Krieg berieten.

   Erst Nato, dann EU

   Aber vielleicht haben die Nato und die EU so wenig miteinander zu bereden, weil die Mitgliedschaft in der Nato ohnehin als Eintrittskarte in die EU nötig ist? Alle wichtigen Fragen zur Militär- und Sicherheitspolitik können dann einfach von den Nato-Stäben der EU-Länder geklärt werden.

   Beim Blick auf die verschiedenen Erweiterungsrunden der EU zeigt sich, dass es tatsächlich eine Regel gibt, die zwar nie ausgesprochen, aber immer eingehalten wird: Staaten, die der EU beitreten, müssen der Nato angehören oder wenigstens ihrem Einfluss unterliegen. Und nur in ganz besonderen Fällen wird für neutrale Staaten eine Ausnahme gemacht.

   Diese Regel galt schon bei der Gründung der EU im Jahr 1957: Alle sechs EU-Gründerstaaten (die drei Beneluxländer, Westdeutschland, Frankreich und Italien) waren Nato-Mitglieder. Bei der ersten Erweiterung traten 1973 zwei Nato-Staaten (Großbritannien, Dänemark) und ein neutraler Staat (Irland) bei.

   Irland war in zweifacher Hinsicht ein Sonderfall: Nach dem langen und bitteren Kampf um die Unabhängigkeit konnte man zum einen den Iren schlecht zumuten, einem Militärbündnis beizutreten, in dem schon Großbritannien Mitglied war. Zum anderen gab es mit Nordirland bereits einen Brückenkopf der Nato auf der irischen Insel, der im Ernstfall schnell auf die ganze Insel ausgeweitet werden konnte.

   Im Jahr 1981 trat Griechenland der EU bei, ein Land das schon seit 1952 der Nato angehörte. Bei der sogenannten Süderweiterung der EU folgten 1986 zwei weitere Nato-Staaten, nämlich Portugal und Spanien. Portugal war ein Gründungsmitglied der Nato im Jahr 1949, Spanien war der Militärallianz 1982 beigetreten.

   Die nächste Erweiterungsrunde fand erst 1995 statt, nach dem Ende des Kalten Krieges. Mit Finnland, Schweden und Österreich traten drei neutrale Staaten gemeinsam bei, der Zusammenbruch der Sowjetunion machte es möglich, auf deren Empfindsamkeiten musste nicht mehr Rücksicht genommen werden.

   Nur diese drei Staaten scheinen die "Nato-Regel" der EU zu durchbrechen; doch bei genauerem Hinsehen bietet sich ein anderes Bild: Nur Finnland darf als wirklich neutral gelten, Schweden und Österreich galten schon zur Zeit des Kalten Krieges als "geheime Verbündete" der Nato.

   Bei der überstürzten Osterweiterung der EU im Jahr 2004 wurde es sehr eng bei der zeitlichen Abfolge: Polen, Tschechien und Ungarn waren zwar schon seit 1999 Nato-Mitglieder, doch die drei Baltenstaaten sowie die Slowakei und Slowenien schafften es erst zum 29. März 2004 in die Nato. Der Beitritt zur EU erfolgte einen Monat später, am 1. April 2004. Aber die Regel wurde eingehalten: Erst Nato, dann EU.

   Mit der Osterweiterung traten 2004 auch Zypern und Malta der EU bei. Offiziell gehören die beiden Staaten keinem Militärbündnis an, aber inoffiziell zählen sie eindeutig zum Einflussgebiet der Nato. Die Lage auf den beiden Inseln im Mittelmeer ist ganz ähnlich wie auf der irischen Insel: Der Norden Zyperns wird seit 1974 faktisch von der Nato-Großmacht Türkei beherrscht, im Süden gibt es zusätzlich zwei große britische Stützpunkte. Malta hat 1983 seinen militärischen Schutz dem großen Nato-Staat Italien anvertraut, es gibt einen italienischen Truppenstützpunkt auf Malta.

   Im Jahr 2007 traten Rumänien und Bulgarien der EU bei, beide Länder waren schon seit 2004 Mitglied der Nato. Auch der bislang letzte osteuropäische Nachzügler, Kroatien, folgte dem nicht ganz so geheimen Gesetz: Eintritt in die Nato im Jahr 2009, Beitritt zur EU im Jahr 2013.

   Das immer wiederkehrende Muster ist kein Zufall, sondern eine planvolle Strategie, die aber nie offen kommuniziert wird. Es ist durchaus sinnvoll, schon im Vorfeld die sicherheits- und militärpolitische Situation zu klären, um nicht in einen Konflikt hineingezogen zu werden oder ihn gar auszulösen. Wenn ein EU-Beitrittskandidat schon nicht in der Nato ist, muss er wenigstens neutral sein und klein - und selbst dann sollte er in die Großstrategie der Nato eingebunden sein.

   Der Fall der Ukraine

   Es ist daher ein großes Rätsel, warum die EU im Fall der Ukraine zum ersten Mal ganz anders verfahren ist. War es Wirklichkeitsverlust, Gedankenlosigkeit, Selbstüberschätzung? Vermutlich ein bisschen von allem.

   Als sie der Ukraine das Assoziierungsabkommen und damit auf längere Sicht die EU-Mitgliedschaft angeboten hat, verstieß die EU gegen ihr eigenes - geheimes - Gesetz, dem sie vorher so schlafwandlerisch über die Jahrzehnte gefolgt und mit dem sie so gut gefahren war. Plötzlich sollte die Reihenfolge umgekehrt sein: Zuerst der EU-Beitritt, danach der Eintritt in die Nato.

   Doch der Ukraine fehlen alle Voraussetzungen: Sie ist weder in der Nato noch ist sie neutral oder klein. Viel schlimmer noch: Mit Sewastopol gab es im Hoheitsgebiet der Ukraine auf der Krim einen der wichtigsten Marinestützpunkte Russlands, der das Schwarze Meer beherrscht. Mit der Annexion hat sich Russlands Präsident Wladimir Putin diesen Stützpunkt gegen den Vorstoß der EU inzwischen schon dauerhaft gesichert.

   Daran zeigt sich, warum der Umweg über die Nato für kommende EU-Mitglieder sinnvoll ist: Im Falle der Ukraine hat die EU hat versucht, den strategischen Status Quo zu verändern und ist damit schrecklich gescheitert.

   Der "finnische Weg"

   Nun steckt die Ukraine in einem "eingefrorenen Krieg" fest, wie schon Moldawien und Georgien. Ein EU-Beitritt ist in weite Ferne gerückt, von einem Nato-Beitritt gar nicht zu reden. Es gibt nur einen vernünftigen Weg, der wieder aus diesem Debakel herausführt - und das ist der "finnische Weg". Dieser Weg kann sehr weit führen - er erfordert aber Geduld und diplomatisches Geschick.

   Das verdeutlicht der historische Rückblick. Obwohl Finnland im Zweiten Weltkrieg an der Seite Deutschlands gegen die Sowjetunion kämpfte, gelang es dem Land durch geschickte Verhandlungen mit Josef Stalin, einen erträglichen Kompromissfrieden zu schließen. Im Jahr 1956 gab die Sowjetunion sogar den Marinestützpunkt Porkkala freiwillig zurück. Trotz des verlorenen Krieges konnte Finnland seine Freiheit und sein westliches Gesellschaftsmodell bewahren. Der Preis dafür war die dauerhafte Neutralität. Und heute ist Finnland in der EU - sogar ohne die sonst obligatorische Eintrittskarte der Nato.

   Kontakt zum Autor: andreas.plecko@wsj.com

   DJG/WSJ

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   September 28, 2014 08:55 ET (12:55 GMT)

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