02.07.2020 18:01:49

Bundestag billigt freiwillige Gutscheine für ausgefallene Reisen

BERLIN (Dow Jones)--Der Bundestag hat einer Gutschein-Kompromisslösung zugestimmt, mit dem Reiseveranstalter vor einer Insolvenz infolge der Corona-Krise geschützt werden sollen. Die Unternehmen erhalten die Möglichkeit, ihren Kunden einen freiwilligen Gutschein anzubieten statt den gesamten Reisepreis sofort zurückzuerstatten. Kunden sind aber nicht zur Annahme des Coupons verpflichtet. Die Reisewirtschaft übte daran scharfe Kritik.

Die große Koalition kam damit einem Veto der Europäischen Kommission entgegen, die auf mehr Verbraucherschutz gepocht hatte. Denn laut Europarecht haben Pauschaltouristen ein Recht auf Rückzahlung. Dafür übernimmt der Bund eine hundertprozentige Ausfallgarantie für die Versicherungen - auch für den Fall der Insolvenz des Reiseveranstalters. Im Gegenzug kann die Regierung für die staatliche Absicherung eine Garantieprämie von den Unternehmen verlangen.

Der freiwillige Gutschein soll laut dem Gesetzentwurf nur für Reisen ausgestellt werden dürfen, die vor dem 8. März gebucht und wegen der Covid-19-Pandemie abgesagt wurden. Lösen die Kunden den Gutschein nicht bis zum 31. Dezember 2021 ein, können sie die volle Erstattung des Reisepreises verlangen.

Der SPD-Rechtspolitiker Karl-Heinz Brunner nannte dies "eine gute, kompromissfähige und sozial abgesicherte Lösung", um der Reisebrache und den Menschen zu helfen. Hätte die große Koalition die Verbraucher aufgefordert, sich ihr Geld für ausgefallene Trips direkt in den Reisebüros zurückzuholen, "es hätte nur noch Verliererinnen und Verlierer gegeben", so Brunner. Unionsfraktionsvize Thorsten Frei (CDU) bedauerte, dass sich die Europäische Kommission "mit Sicherheit nicht mit Ruhm bekleckert" habe. In einer besonderen Notsituation habe sie auf den Verbraucherschutz gepocht statt auf Flexibitilät zu setzen.

Die AfD nannte den ganzen Gesetzesprozess eine "Stümperei". Die Kommission habe erst den geplanten "Zwangsgutschein" kassiert und nun beihilferechtliche Bedenken wegen der geplanten Garantieprämie angemeldet, erklärte AfD-Politiker Lothar Meier. Es sei wahrscheinlich, dass die Reiseveranstalter die Prämie nun auf künftige Reisen aufschlügen, wodurch sich Buchungen verteuerten. FDP-Tourismuspolitiker Roman Müller-Böhm erklärte, er wisse bei dem Gesetz nicht, "ob ich lachen oder weinen soll". Die große Koalition habe erst vier Monaten nach Beginn der Pandemie eine Lösung vorgelegt, die das Parlament bereits in Woche eins der Krise hätte beschließen können.

FDP und Grüne forderten in eigenen Anträgen deutlich umfassendere Hilfen für die Reisewirtschaft. Um die Folgen der Krise aufzufangen, sei ein "Rettungsfonds" für die Branche nötig, erklärte Grünen-Tourismuspolitiker Markus Tressel. Er warf Union und SPD zu spätes und unwirksames Handeln vor. Reiseunternehmen seien auch aufgrund "der Lethargie der großen Koalition" gescheitert.

Scharfe Kritik von der Reisewirtschaft

Der Deutsche Reiseverband (DRV) erklärte, die Hilfen der Bundesregierung seien "wie ein Soufflé. Auf den ersten Blick sehen sie prima aus", erklärte DRV-Präsident Norbert Fiebig. "Aber sobald man hineinsticht, entweicht die heiße Luft und das opulente Gebilde fällt in sich zusammen." Denn Gutscheine fänden kaum Anklang beim Kunden - lediglich 10 bis 20 Prozent der Verbraucher akzeptierten diese. "Aber die Koalition tut so, als sei das Liquiditätsproblem mit den Gutscheinen jetzt gelöst. Überbrückungshilfen für Reisebüros, Veranstalter und Dienstleister kommen zögerlich, verspätet, unzureichend und nur für drei Monate", monierte Fiebig.

Das Rückerstattungsvolumen der Anzahlungen belaufe sich auf rund sechs Milliarden Euro. Nötig sei eine Kredit-Lösung, so der DRV-Präsident. Kritik übte der Verband auch daran, dass bis Ende August weiterhin Reisewarnungen für rund 160 Länder außerhalb Europas gelten. Dadurch habe sich das Problem weiter verschärft. "Insgesamt muss die Reisewirtschaft bis dahin rund 20 Milliarden Euro Umsatzeinbußen verkraften", so Fiebig.

Kontakt zur Autorin: petra.sorge@wsj.com

DJG/pso/jhe

(END) Dow Jones Newswires

July 02, 2020 12:02 ET (16:02 GMT)

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