Annäherung |
16.12.2020 16:09:00
|
Brexit: Handelsdelegierter in London sieht Einigung im letzten Moment - IV hofft über Jahreswechsel hinaus auf EU-UK-Einigung
Die bei den Briten so wichtigen Buchmacher sehen derzeit eine 70-Prozent-Chance auf eine Einigung. Das freilich dürfte vom Brexit betroffene österreichische Unternehmen wenig interessieren. "Von großer Bedeutung für viele österreichische Firmen wäre ein Freihandelsabkommen", sagt Kesberg. "Oder eine Basis für vernünftige Überbrückungsmaßnahmen. Verwerfungen an der Grenze werden auf jeden Fall entstehen."
Denn auch wenn es einen Deal geben sollte, bleibe nicht alles beim Alten, sagt der Wirtschaftsdelegierte. Überbrückungsmaßnahmen wären mit einem Deal leichter umsetzbar. "Dann ist man freundlich zueinander."
Jene heimische Firmen, die intensiv in Großbritannien tätig seien, hätten ihre Hausaufgaben definitiv gemacht, so Kesberg. Rund 250 haben Niederlassungen bei den Briten. Etwa dieselbe Zahl treibt reglemäßig Liefergeschäfte. Weitere rund 500 sind sporadisch auf der Insel tätig. Vom Geschäftsvolumen her seien 95 Prozent der Firmen bestmöglich vorbereitet.
Vor allem für letztere wird es komplizierter, ihre Geschäfte weiter zu tätigen. Unmöglich werde dies aber nicht. "Es ist alles machbar." Beispielsweise Internethändler brauchen künftig eine steuerliche Registrierung. Und auf Exporteure kommen förmliche Zollverfahren zu - egal ob mit oder ohne Freihandelsabkommen. Firmen ohne Niederlassung in Großbritannien brauchen einen Zollspediteur. "Den muss man natürlich bezahlen", sagt Kesberg.
Der Sozialversicherungsschutz bei Dienstreisen und Entsendungen sei noch ein Graubereich wie auch der Datenschutz im Datenverkehr zwischen Niederlassung und Sitz einer Firma. Offen ist beispielsweise auch noch, wie ein heimischer Tischler für einen heimischen Küchenhersteller in London eine Küche einbauen kann. Aus derzeitiger Sicht ist das nur mit eigenem Personal des Küchenherstellers okay.
Auf die Frage, wovon die Verhandlungen vor allem abhängen, sagt der Wirtschaftsdelegierte, dass es um die Vorgänge im Kopf des konservativen britischen Premiers Boris Johnson gehe. "Es geht darum, was für ihn innenpolitisch vernünftig ist." Der volkswirtschaftliche Unterschied zwischen Abkommen oder Nicht-Abkommen sei gering. Ohne Abkommen könne er die Schuld der EU unterschieben, wenn er ein Abkommen hat, sei er dafür aber mitverantwortlich. Dazu kämen viele "ultraorthodoxe Brexit-Befürworter" in den Reihen seiner Tories, die mit der Coronapolitik Johnsons nicht zufrieden seien, die es aber gelte zufriedenzustellen. "Es handelt sich um ein natürlich viel tragischeres als komisches tragikomisches Lehrstück einer Revolution des Nationalpopulismus gegenüber der liberalen Demokratie", so Kesberg. "Ein Verlustgeschäft für alle."
IV hofft über Jahreswechsel hinaus auf EU-UK-Einigung
Wirtschaftsvertreter halten es im Zuge des Brexits auch für möglich, dass es für einige Wochen oder Monate kein Abkommen zwischen der EU und Großbritannien gibt. Sollte es soweit kommen, müsse man im neuen Jahr schauen, möglichst rasch zu einer Einigung zu kommen, sagt Michael Löwy von der Industriellenvereinigung (IV). "Es ist ein vitales Interesse, Hemmnisse, so sie wegen eines nicht vorhandenen Vertrages entstehen, rasch aus der Welt zu schaffen."
Noch herrscht aber die Hoffnung, dass es einen Vertrag gibt, bevor die Briten die Union mit Jahreswechsel endgültig verlassen. "Es gehen zwar beide Seiten mit Maximalpositionen ins Rennen, aber natürlich ist zu hoffen, dass sie sich noch annähern und noch heuer eine Einigung finden", sagt der für Internationale Beziehungen zuständige IV-Mann. Er verweist auf die ökonomische Bedeutung der zweitgrößten europäischen Volkswirtschaft. "Aus Sicht der Industrie ist zu hoffen, dass eine Einigung gelingt. Es geht um den Markt einer Volkswirtschaft mit 60 Millionen Konsumenten."
Die britische Wirtschaft sei mit jener mancher EU-Staaten eng verwoben - und mit denen sei wiederum die österreichische Ökonomie aufs engste verquickt. Zudem brauche die EU intakte Beziehungen zu Staaten an ihrem Rand, was auf Großbritannien jetzt eben zutreffe, so Löwy. "Mit Großbritannien ist das eminent wichtig, vor allem wo sich an den südöstlichen Grenzen der EU so volatile politische Regionen finden, dass es dort schwierig ist, stabile wirtschaftliche Beziehungen zu etablieren."
Besonders wichtig ist es laut Löwy auch, dass keine Währungsturbulenzen entstehen. Sonst habe das drastische Auswirkungen auf die Exporteure. Insgesamt müsse es der EU ein Anliegen sein, dass Großbritannien floriere.
Nicht zu vergessen seien auch die Bemühungen der Briten, Freihandelsabkommen mit den USA und dem Südostasiatischen Raum zu schließen. Hier dürfe die EU nicht ins Hintertreffen geraten, warnt Löwy.
APA
![](https://images.finanzen.at/images/unsortiert/wertpapierdepot-absichern-aktienchart-boerse-750493204-260.jpg)
Wenn Sie mehr über das Thema Aktien erfahren wollen, finden Sie in unserem Ratgeber viele interessante Artikel dazu!
Jetzt informieren!
Weitere Links: