Unsicherheit hält an |
09.09.2019 13:17:00
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Brexit-Chaos: Britisches Kabinett bröckelt - Johnson will Neuwahl durchdrücken
Der britische Premierminister Boris Johnson pocht trotz aller Widerstände weiter darauf, dass Großbritannien die Europäische Union am 31. Oktober verlässt. Dies solle ohne die Einrichtung einer festen Grenze zwischen dem EU-Mitglied Irland und dem britischen Nordirland möglich sein, sagte Johnson am Montag bei einem Treffen mit seinem irischen Amtskollegen Leo Varadkar in Dublin. Wie das umgesetzt werden soll, verriet Johnson aber nicht.
Die EU und ihr Mitglied Irland fordern eine Garantie dafür, dass Kontrollposten an der Grenze zu Nordirland nach dem Brexit vermieden werden. Denn das könnte den alten Konflikt zwischen katholischen Befürwortern einer Vereinigung Irlands und protestantischen Loyalisten wieder schüren. Bis eine andere Lösung gefunden wird, sollen für Nordirland weiter einige EU-Regeln gelten und ganz Großbritannien in der EU-Zollunion bleiben.
Diese "Backstop" genannte Lösung lehnt Johnson jedoch strikt ab. Er sieht in der Klausel ein "Instrument der Einkerkerung" Großbritanniens in Zollunion und Binnenmarkt. Varadkar betonte jedoch am Montag: "Für uns gibt es keinen Deal ohne Backstop."
Im Parlament in London wollte Johnson noch am Montag über eine Neuwahl am 15. Oktober abstimmen lassen, um ein Mandat für seinen harten Brexit-Kurs zu bekommen. Doch die Opposition hat bereits klar gemacht, dass sie das nicht zulassen wird. Für eine Neuwahl ist die Zustimmung von zwei Dritteln aller Abgeordneten nötig. Johnson war damit bei einem ersten Versuch am Mittwoch bereits gescheitert.
Ein am vergangenen Freitag verabschiedetes Gesetz sieht vor, dass die Regierung eine Verlängerung der Brexit-Frist beantragen muss, wenn bis zum 19. Oktober kein Abkommen ratifiziert ist. Es sollte noch am Montag mit der Billigung der Queen in Kraft treten. Bei einem No Deal drohen schwere Schäden für die Wirtschaft und andere Lebensbereiche.
Johnsons Berater trafen sich der Zeitung "Telegraph" zufolge noch am Sonntag in London, um eine Strategie auszuarbeiten, wie eine Verlängerung der Brexit-Frist vermieden werden kann.
Spekuliert wird, die Regierung könne mangels Alternativen versuchen, das Gesetz zu ignorieren. Außenminister Dominic Raab sprach in einem Interview mit dem Sender Sky News von einem "miserablen Gesetz", das Johnson sehr genau überprüfen werde. Der Premierminister sagte Reportern bereits am Freitag, das Gesetz sehe nur "theoretisch" eine Brexit-Verschiebung vor - und schreckte damit seine Kritiker auf. Der Handlungsdruck für die No-Deal-Gegner ist enorm, weil Johnson dem Parlament eine mehrwöchige Zwangspause verordnet hat. Sie könnte bereits am Montagabend beginnen.
Experten warnten, Johnson könnte im Extremfall im Gefängnis landen, sollte er sich über das Gesetz stellen. "Er ist genauso an das Rechtsstaatsprinzip gebunden wie jeder andere in diesem Land", sagte der ehemalige Generalstaatsanwalt Dominic Grieve der BBC am Samstag. "Wenn er sich nicht daran (an das Gesetz) hält, kann er vor Gericht verklagt werden. Das Gericht würde nötigenfalls eine Verfügung erlassen, die ihn dazu verpflichtet (...), hält er sich nicht an die Verfügung, könnte er ins Gefängnis geschickt werden."
Arbeitsministerin Amber Rudd übt Kritik
Scharfe Kritik an Johnson übte auch Rudd bei ihrem Rücktritt. Sie glaube nicht mehr daran, dass ein geregelter EU-Austritt das Hauptziel der Regierung sei, schrieb sie in einem Brief an den Premier. "Die Regierung steckt viel Energie in die Vorbereitungen für einen No Deal, aber ich habe nicht das gleiche Maß an Intensität in den Gesprächen mit der Europäischen Union gesehen (...)." Sie habe von der Downing Street auf ihre Frage, wie der Plan für einen Deal denn nun aussehe, lediglich eine einseitige Zusammenfassung bekommen, berichtete Rudd am Sonntag in einem BBC-Interview.
Auch der Rauswurf von Tory-Rebellen durch Johnson aus der Tory-Fraktion am Dienstag hat zum Rücktritt beigetragen. "Ich kann nicht zusehen, wie gute, loyale, moderate Konservative ausgeschlossen werden", schrieb Rudd. "Ich kann diesen politischen Vandalismus nicht mittragen." Daher trete sie auch aus der Fraktion aus.
Johnson hatte am Dienstag 21 Tory-Rebellen aus der Fraktion geworfen, die im Streit um den Brexit-Kurs des Premiers gegen die eigene Regierung gestimmt hatten. Darunter sind so prominente Mitglieder wie der Alterspräsident und ehemalige Schatzkanzler Ken Clarke und der Enkel des Kriegspremiers Winston Churchill, Nicholas Soames.
Rudd galt einst als aussichtsreiche Kandidatin für das Amt der Regierungschefin. Sie hatte im Kabinett von Theresa May bereits den Posten der Arbeitsministerin inne. Auch das Innenministerium leitete sie zeitweise. Die proeuropäische Politikern galt zusammen mit anderen lange Zeit als Gegengewicht zu den Brexit-Hardlinern im Kabinett. Doch die meisten ihrer Mitstreiter waren nach der Wahl Johnsons zum Premier ausgeschieden. Trotzdem gelten einige Kabinettsmitglieder als Wackelkandidaten, die Rudd folgen könnten.
Frankreichs Außenminister hält nichts von erneuter Verschiebung
Angesichts der Brexit-Streitereien machte Frankreichs Außenminister deutlich, dass er von einer erneuten Verschiebung des EU-Austritts nichts hält. Jean-Yves Le Drian sagte am Sonntag in einem Interview des Senders CNEWS, man werde nicht alle drei Monate erneut anfangen, eine Verschiebung des Austritts Großbritanniens aus der Europäischen Union zu diskutieren. Die Briten hätten Alternativlösungen angekündigt. "Wir haben sie nicht gesehen", sagte Le Drian.
Bei Protesten für und gegen den EU-Austritt Großbritanniens war es am Samstag in London zu bedrohlichen Szenen gekommen. Wie die britische Nachrichtenagentur PA berichtete, musste die Polizei Gruppen mit jeweils mehrere Hundert Menschen am Parliament Square auseinanderhalten. Es kam laut Scotland Yard zu Festnahmen wegen Gewaltdelikten. Berichten zufolge gingen einige der Übergriffe von Mitgliedern der als rechtsextremistisch geltenden Fußballfan-Vereinigung Football Lads Alliance (FLA) aus. Die FLA hatte ihre Anhänger zur Pro-Brexit-Demo aufgerufen.
Britisches Parlament wird bereits am Montag in Zwangspause geschickt
Das britische Parlament soll bereits an diesem Montagabend in eine fünfwöchige Zwangspause geschickt werden. Das teilte ein Regierungssprecher in London am Morgen mit. Es soll dann erst wieder am 14. Oktober zusammentreten.
Johnson lehnt eine Verlängerung der Austrittsfrist kategorisch ab. Lieber wolle er "tot im Graben" liegen. Über das Gesetz will er sich trotzdem nicht hinwegsetzen. Spekuliert wird, dass die Regierung versuchen wird, anderweitig ein Schlupfloch zu finden.
Bei einem Besuch in Irland betonte Johnson am Montag, dass er einen geregelten Brexit seines Landes zum 31. Oktober wolle. "Ich will einen Deal erreichen", sagte Johnson bei dem Treffen mit seinem irischen Amtskollegen Leo Varadkar in Dublin. Dies solle ohne die Einrichtung einer festen Grenze zwischen dem EU-Mitglied Irland und dem britischen Nordirland möglich sein. Wie das umgesetzt werden soll, verriet Johnson aber nicht.
Kommentatoren - etwa bei der BBC - stuften seinen Ton ein wenig moderater ein als in der Vergangenheit. Die EU und ihr Mitglied Irland fordern eine Garantie dafür, dass Kontrollposten an der Grenze zu Nordirland nach dem Brexit vermieden werden. Denn das könnte den alten Konflikt zwischen katholischen Befürwortern einer Vereinigung Irlands und protestantischen Loyalisten wieder schüren. Bis eine andere Lösung gefunden wird, sollen für Nordirland weiter einige EU-Regeln gelten und ganz Großbritannien in der EU-Zollunion bleiben.
LONDON / DUBLIN (dpa-AFX)
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