03.12.2012 21:00:33

Börse Frankfurt/Halvers Woche: Wenn die Politik sich über den Winter rettet

Halver

30. November 2012 MÜNCHEN (Baader Bank). Eine Fähigkeit kann man der Euro-Politik nun wirklich nicht absprechen. Sie ist sehr unorthodox bei der Wegdrückung selbst der größten Probleme. Ein besonderes Paradebeispiel für diese "pragmatische" Politik ist das lockere Händchen, das man im hellenischen Krisenland beweist. Selbst vor dem tiefsten Griff in die Kiste der kreativen Buchführung - man könnte auch von Bilanztricks sprechen - scheut man nicht zurück, um einen weiteren Zeitgewinn für Griechenland und für Euroland herauszuholen. Mit dem fünffachen Trommelschlag aus erstens Schuldenrückkauf mit wohlgemerkt fremdem Geld, zweitens Zinsreduktionen und drittens Zinsstundungen bei griechischen Krediten, viertens Laufzeitverlängerungen aller Kredite um direkt einmal 15 Jahre nach dem Motto "Nach uns die Sintflut" sowie fünftens dem griechenlandbegünstigenden Verzicht des Bundes auf Gewinne der EZB über etwa drei Milliarden in den nächsten drei Jahren haben die Griechenland-Versteher ein besonderes Überraschungs-Ei präsentiert. Insbesondere der fünfte Punkt räumt schonungslos mit der monstranzenhaft vorgetragenen Mär auf, dass Deutschland an den griechischen Krediten noch verdient.

Mit welcher Begründung will man eigentlich anderen prekären Euro-Ländern diese nur noch winterschlussverkaufsgleichen Vergünstigungen verweigern? Wer jetzt noch absurderweise von europäischer Stabilitätsunion spricht, sollte sich seinen Nachnamen im Pass noch einmal genauer ansehen: Er kann nur Pinocchio lauten.

Das dicke Ende kommt

"Was Du Politiker heute kannst besorgen, verschiebe aus wahltaktischen Gründen lieber auf morgen"

Die Politik versucht mit allen Mitteln, die Griechen von 190 Prozent im nächsten Jahr bis 2020 auf einen Schuldenstand von 124 Prozent zur Wirtschaftsleistung zu bringen. Dass dieser Operation "Glücksrittertum" phantasievolle, besonders unrealistische griechische Wachstumsannahmen von real 3,5 Prozent zugrunde liegen, verschweigt des Dichters Höflichkeit. Grundsätzlich hätte man als Politiker - oder Politikerin - bis 2020 unendliche viele Gelegenheiten, frühere, falsche, schöngeredete Annahmen aufgrund von plötzlich völlig "überraschenden" Schocks zu rechtfertigen oder gerade zu biegen. Aber vielleicht muss man bis dahin auch gar nicht mehr regieren und verdingt sich als Vortragsreferent. Ist ohnehin lukrativer.

Grundsätzlich wird man sich an die großen griechischen Brocken erst Anfang 2014 wagen. Dann erst werden wir aus dem Beruhigungsschlaf der Marke "Alles wird gut" geweckt. Was Du Politiker heute kannst besorgen, verschiebe aus wahltaktischen Gründen lieber auf morgen. Denn morgen, das heißt nach der Bundestagswahl, wo eine von vielen angestrebte Große Koalition dem Unausweichlichen nicht mehr ausweichen kann und auch nicht mehr ausweichen muss, weil es keine große Opposition mehr gibt. Dann gibt es den griechischen Schuldenschnitt, der den deutschen Steuermichel kalt erwischen wird.

Den Augenblick genießen

"Der Markt unter der Lupe: Politik oder es lebe der Augenblick" Halvers ausführliche wöchentliche Marktbetrachtung, auch als Newletter abonnierbar.

Aber morgen ist morgen und heute ist heute. Immerhin hat die Kuh zunächst das brüchige griechische Eis verlassen. Griechenland als der emotionalste Fokus der eurozonalen Probleme wird sich zunächst vom Krisenradar verabschieden. Damit kommt die Euro-Politik gut über den Winter.

Und die Finanzmärkte? Sie haben längst aufgegeben, auf nachhaltige Lösungen zu hoffen. "Warum in die Ferne schweifen, sieh' das Gute liegt so nah" ist ihr Motto. Wie die Politik, hat auch die Finanzindustrie gelernt, auf Sicht zu fahren. Es zählt der angenehme Augenblick. Immerhin muss der kurzfristige Erfrierungstod aufgrund der politischen Heizdecken nicht befürchtet werden. Ich denke, das wäre auch das Instrument, um die spanische Grippe wegzuheizen.

Über den Winter kommen gilt nicht nur für die Politik, sondern auch für die Finanzmärkte. Und wie man bei Staatsanleihen von Italien und Spanien sowie den Aktienkursen sieht, scheint man für die Wärme der Politik sehr dankbar zu sein. Wenn einem so viel Gutes wird beschert, das ist schon eine Jahresend-Rallye wert.

Spätestens 2014 mehr in diesem Euro-Theater.

· "Der Markt unter der Lupe: Politik oder es lebe der Augenblick", online auf baaderbank.de verfügbar. Halvers ausführliche wöchentliche Marktbetrachtung ist auch als Newletter abonnierbar.

Autor: Robert Halver, Leiter Kapitalmarktanalyse der Baader Bank.

Dieser Artikel gibt die Meinung des Autors wieder, nicht die der Redaktion von boerse-frankfurt.de. Sein Inhalt ist die alleinige Verantwortung des Autors.

© 30. November 2012/Baader Bank AG

Disclaimer Die nachfolgenden News werden Ihnen direkt von der Redaktion von boerse-frankfurt.de bereitgestellt. Die hierin enthaltenen Angaben und Mitteilungen sind ausschließlich zur Information bestimmt. Keine der hierin enthaltenen Informationen begründet ein Angebot zum Verkauf oder die Werbung von Angeboten zum Kauf eines Wertpapiers.

(END) Dow Jones Newswires

   December 03, 2012 14:30 ET (19:30 GMT)- - 02 30 PM EST 12-03-12

Eintrag hinzufügen
Hinweis: Sie möchten dieses Wertpapier günstig handeln? Sparen Sie sich unnötige Gebühren! Bei finanzen.net Brokerage handeln Sie Ihre Wertpapiere für nur 5 Euro Orderprovision* pro Trade? Hier informieren!
Es ist ein Fehler aufgetreten!