09.12.2015 14:57:45

Bitcoin lässt Zentralbanken über Digitalgeld nachdenken

   Von Ryan Tracy

   WASHINGTON (Dow Jones)--Bitcoin und andere digitale Zahlungstechnologien werden immer populärer. Das bringt Zentralbanken weltweit auf die Idee, über eigene digitale, vom Staat gedeckte Währungen nachzudenken. Für sie hätte das zwei Vorteile: Die Zahlungsabwicklung wäre billiger und die Geldmenge besser kontrollierbar. Andererseits können digitale Währungen neue Sicherheits- und Datenschutzprobleme hervorrufen.

   Bisher hat sich noch keine Zentralbank zu dem Plan bekannt, eine digitale Version ihres "Fiat Money" zu schaffen. Aber die Aussichten, dass es dazu kommt, stehen nicht so schlecht. Denn die meisten Zentralbanken gehen davon aus, dass zumindest digitale Zahlungssysteme unvermeidlich sind. "Wir sollten uns auf eine Welt einstellen, in der die Menschen überwiegend elektronisch zahlen", sagte die stellvertretende Gouverneurin der Bank of Canada, Carolyn Wilkins, kürzlich. Darauf müssten sich die Zentralbanken einstellen, sie müssten sich auch mit den daraus resultierenden Chancen und Risiken auseinandersetzen.

   Noch haben sich Zentralbanken auf keine Technologie geeinigt, die die Emission eines eigenen elektronischen Geldes ermöglichen würde. Aber eCurrency Mint (eCM), ein in Dublin beheimatetes Start-up, hat eine bisher noch weithin unbekannte Technologie entwickelt und bereits mit 30 Zentralbanken diskutiert. Nach Angaben ihres Gründers und CEO, Jonathan Dharmapalan, hat sie diese auch schon in einigen Ländern getestet und mit zwei Zentralbanken eine Liefervereinbarung abgeschlossen.

   Welche Zentralbanken das sind, will Dharmapalan nicht sagen. Er rechnet aber damit, dass die Zentralbanken selbst bald an die Öffentlichkeit gehen werden.

   Laut Dharmapalan unterscheidet sich die neue Technologie von Bitcoin dadurch, dass sie kein neues Zahlungssystem innerhalb eines bereits existierenden beinhaltet. Vielmehr könne die Währung wie Bargeld zwischen Konsumenten, Händlern, Banken und Betreibern von Zahlungssystemen zirkulieren und dabei existierende oder neue Transaktionssysteme nutzen. Eine Zentralbank könne also die Gestalt der Währung ändern und diese anschließend durch die gleichen Kanäle fließen lassen.

   In den vergangenen Jahren haben Kanada und Ecuador mit eigenen digitalen Zahlungstechnologien experimentiert. Bei vielen anderen Zentralbanken steht das Thema auf der Forschungsagenda. Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) hat kürzlich auf die Gefahr hingewiesen, dass die Kontrolle der Zentralbanken über das Geldsystem durch Digitalwährungen wie Bitcoin an Wirksamkeit verlieren könnte.

   Die Schaffung einer eigenen digitalen Währung bezeichnete die BIZ als eine Möglichkeit, diesem Risiko zu begegnen. Die US-Notenbank beobachtet nach eigener Aussage die Entwicklungen, plant aber bisher nicht die Emission eines Digital-Dollar.

   Die Europäische Zentralbank (EZB) steht einer wie auch immer motivierten Abschaffung des Bargelds skeptisch gegenüber. Die Bundesbank verweist sogar regelmäßig auf die hohe Beliebtheit von Bargeld in Deutschland, das sie als ein Element der Freiheit betrachtet.

   Dabei wäre eine digitale Währung für Zentralbanken aus einer ganzen Reihe von Gründen sehr attraktiv. Ganz praktisch gesehen könnte die Zentralbank das Geld zum Drucken des physischen Geldes einsparen. eCM-Chef Dharmapalan schätzt, dass die Erzeugung und Verteilung des Digitalgeldes nur 10 Prozent der Kosten herkömmlichen Geldes verursachen würde. Dadurch bliebe der Zentralbank bzw. dem Staat mehr Seignorage, also mehr Gewinn aus der Schaffung des Geldes.

   Zudem würde eine sichere und viel genutzte Digitalwährung das Wachstum digitaler Finanzdienstleistungen begünstigen. Solche Dienstleistungen erhöhen schon heute die Kaufkraft und Kreditvergabe von Bevölkerungsschichten in armen Ländern, die normalerweise keinen Zugang zu traditionellen Banken haben.

   Andrew Haldane, der Chefvolkswirt der Bank of England, macht noch auf ein weiteres, durchaus brisantes Merkmal digitaler Währungen hin: Sind sie weit genug verbreitet, eröffnen sie neue zinspolitische Spielräume in Zeiten, wo die klassischen Instrumente ausgereizt sind. Derzeit müssen Zentralbanken bei der Einführung von Negativzinsen sehr vorsichtig sein, weil Kunden auf das garantiert mit null verzinste Bargeld ausweichen könnten. Existiert kein Bargeld mehr, entfällt diese Möglichkeit. "Vielleicht ist Zentralbankgeld reif für einen großen technologischen Sprung", sagte Haldane kürzlich.

   Verführerisch an Digitalgeld wäre aus Sicht von Zentralbanken auch die Möglichkeit, Zahlungen nachzuverfolgen. Barzahlungen sind anonym und können kriminellen Zwecken dienen. Gleiches gilt allerdings auch für Bitcoin. Allerdings könnte die Vorstellung, dass Regierungen alle Zahlungen verfolgen können, auch Datenschützer auf den Plan rufen.

   Nach Aussage von Jonathan Dharmapalan schützt seine Technologie die Privatsphäre, weil sie der Zentralbank zwar die zirkulierende Geldmenge, nicht aber deren Besitzer anzeigt.

   Das steigende Interesse der Zentralbanken an digitalem Geld ist die Folge der rasanten Entwicklung bei den Zahlungssystemen. Die existierenden Systeme sind zwar schon elektronisch, aber in mancher Hinsicht nur digitale Versionen der Systeme, die schon vor Beginn des Internetzeitalters existierten. Sie basieren noch auf Banken oder anderen Intermediären.

   Diese Intermediäre erhöhen jedoch die Kosten. Das macht Technologien wie Bitcoin so interessant, die ohne Intermediär auskommen und ihre Zahlungshistorie für jeden einsehbar mit sich führen. Allerdings läuft Bitcoin außerhalb der Kontrolle von Zentralbanken. Die von Dharmapalans Firma eCM entwickelte Technologie soll dagegen sowohl die genannten Vorteile von Bitcoin haben, als auch der Zentralbank die Kontrolle lassen.

   Am Mittwoch teilte die Investmentfirma des eBay-Gründers Pierre Omidyar (Omidyar Network) mit, dass sie in eCM investiert ist. Es ist nicht bekannt, wie viel Geld Omidyar seit der Gründung von eCM 2011 in das Unternehmen gesteckt hat. Omidyar Network bezeichnet sich selbst als "philanthropisch".

   Felix Martin, ein Investmentfondmanager und Buchautor, sieht die Zukunft der eCM-Technologie vor allem als Zahlungsmittel, das Unternehmen neben Bargeld im direkten Verkehr mit der Zentralbank verwenden.

   Laut Dharmapalan selbst würde die Zentralbank das Geld als verschlüsselten Computer-Code und mit bestimmten Sicherheitsmerkmalen erzeugen, der an Banken und andere Akteure verteilt wird. Die Zentralbank könnte den Prozess in Echtzeit verfolgen und hätte Gewissheit über den tatsächlichen Geldumlauf.

   Ein solches System würde bereits existierende digitale Bezahltechniken deutlich verbessern. In Afrika, wo das Bezahlen mit Mobiltelefonen stark zugenommen hat, spielt im Hintergrund immer noch Bargeld eine entscheidende Rolle. Wenn in Tansania ein Handynutzer Geld auf sein Konto überweisen will, dann muss er häufig noch Bargeld deponieren. Will er Geld von seinem Konto an einen Geschäftspartner überweisen, der Kunde eines anderen Mobilfunkanbieters ist, muss er Bargeld abheben.

   Dieser Bargeldverkehr bindet personelle und finanzielle Kapazitäten bei Zentral- und Geschäftsbanken sowie den Mobilfunkanbietern, die Lagerkapazitäten vorhalten und sichere Transporte ermöglichen müssen. Eine digitale Währung würde die Kosten von Finanzdienstleistungen allgemein senken.

   Kennedy Komba, ein Mitarbeiter der Zentralbank Tansanias, hat sich eCM-Mitarbeitern getroffen und ist der Meinung, dass eine von Zentralbanken unterstützte Digitalwährung "großes Potenzial" hat.

   In Industrieländern würde solches Geld zum Beispiel die Ausgabe universell verwendbarer Gutscheine ermöglichen.

   Mitarbeit: Hans Bentzien

   Kontakt zum Autor: konjunktur.de@dowjones.com

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