Im besten Interesse 22.07.2024 08:47:00

Biden zieht sich von Präsidentschaftskandidatur zurück - und schlägt Harris vor

Biden zieht sich von Präsidentschaftskandidatur zurück - und schlägt Harris vor

Obwohl es seine Absicht gewesen sei, sich um eine Wiederwahl zu bemühen, glaube er, dass es im besten Interesse seiner Partei und des Landes sei, wenn er sich zurückziehe und ausschließlich auf sein Amt konzentriere, schrieb der Demokrat in einer Erklärung.

In den vergangenen Wochen war der 81-Jährige wegen seines mentalen Zustandes in der eigenen Partei massiv unter Druck geraten. Bidens Rückzug so kurz vor der Wahl ist eine dramatische Wende und verursacht weiteres Chaos in einem ohnehin historischen US-Wahljahr.

Biden stellt sich hinter Vize Harris

Biden kündigte an, die Nation im Laufe der Woche ausführlicher über seine Entscheidung informieren zu wollen. Er teilte seinen Rückzug in den sozialen Medien X, Facebook und Instagram mit.

Kurz darauf schrieb er, dass die 59-jährige Harris seine volle Unterstützung habe, als Kandidatin der Demokraten bei der anstehenden Wahl anzutreten. Die Demokraten müssen nun in kürzester Zeit umsatteln und die Nachfolge regeln. Sie nominieren ihren Präsidentschaftskandidaten offiziell bei einem Parteitag in Chicago Mitte August.

Harris war an der Seite Bidens bislang blass geblieben, bekam angesichts der Schwäche ihres Chefs zuletzt allerdings die Unterstützung einer ganzen Reihe wichtiger Parteimitglieder. Harris ist die erste Schwarze, die den Eid als US-Vizepräsidentin abgelegt hat. Sie ist 19 Jahre jünger als der Präsidentschaftskandidat der Republikaner, Donald Trump.

Trump schimpft auf Biden

Der 78-Jährige Donald Trump war beim Parteitag der Republikaner in Milwaukee vergangene Woche offiziell zum Kandidaten seiner Partei gekürt worden. Als Vizekandidat der Republikaner geht der Senator J.D. Vance ins Rennen. Trump schrieb unmittelbar nach Bidens Ankündigung auf seinem Sprachrohr Truth Social, dass Biden nicht in der Lage sei, für das Amt des Präsidenten zu kandidieren. Er sei auch "ganz sicher" nicht in der Lage, das Amt zu bekleiden und sei es auch nie gewesen, schrieb Trump weiter. "Wir werden den Schaden, den er angerichtet hat, sehr schnell beheben."

Die Krise der vergangenen Wochen

Biden war nach einem desaströsen Auftritt bei einem Fernsehduell gegen den Ex-Präsidenten Trump Ende Juni extrem in die Kritik geraten. Während des Schlagabtauschs verhaspelte sich der mächtigste Mann der Welt regelmäßig, verlor den Faden, starrte mit offenem Mund ins Leere und konnte häufig seine Sätze nicht richtig beenden. Schon vorher hatte es innerhalb der Demokratischen Partei und in der Bevölkerung wegen Bidens Alter Vorbehalte gegen seine Wiederwahlambitionen gegeben. Doch nach dem Duell entflammte die Debatte über die Eignung des Bidens als Präsidentschaftskandidat der Demokraten in ganz neuem Ausmaß - und in aller Öffentlichkeit.

Nach der Debatte hatten sich Bidens Umfragewerte noch mal deutlich verschlechtert. Und in seiner eigenen Partei wagten sich einer nach dem anderen vor, um öffentlich Bidens Rückzug aus dem Rennen um die Präsidentschaft zu fordern. Der Präsident selbst versuchte zunächst, sich herauszureden. Seinen schwachen Auftritt begründete er mit Müdigkeit in Folge anstrengender Auslandsreisen. Er habe nicht aus seine Berater gehört und sich übernommen. Bei diversen Auftritten gab er sich trotzig und versicherte ein ums andere Mal, er werde sich nicht zurückziehen. Doch es folgten weitere Patzer. Und am Ende wurde der Druck aus den eigenen Reihen zu groß.

Coronainfektion und Rückzug nach Delaware

In den vergangenen Tagen hatte sich Biden nach einer Infektion mit dem Coronavirus in sein Privathaus in Rehoboth Delaware zurückgezogen und keine öffentlichen Termine absolviert. Während seiner Zwangspause fasste er nun den Entschluss, sich dem Druck seiner Parteikollegen zu beugen.

Der führende Demokrat im US-Senat, Chuck Schumer, zollte Biden seinen Respekt. Biden sei nicht nur ein großartiger Präsident, sondern auch ein wirklich bemerkenswerter Mensch. "Seine Entscheidung war gewiss nicht leicht, aber er hat wieder einmal sein Land, seine Partei und unsere Zukunft an die erste Stelle gesetzt", schrieb Schumer in einer Stellungnahme. Der heutige Tag zeige, dass Biden "ein wahrer Patriot und großer Amerikaner" sei. First Lady Jill Biden kommentierte den Rückzug ihres Ehemannes mit zwei Herzen auf der Plattform X. Die 73-Jährige gilt als engste Vertraute Bidens. Die Enkeltochter von US-Präsident Biden, Naomi Biden, erklärte, sei "einfach nur stolz" auf ihren Großvater. Er sei nicht nur der effektivste Präsident unserer Zeit gewesen - und werde es auch weiterhin sein, schrieb die 30-Jährige auf X. "Unsere Welt ist heute dank ihm in vielerlei Hinsicht besser." Er habe sich wahrscheinlich bereits als der effektivste und wirkungsvollste Staatsdiener in der Geschichte der USA etabliert. "An die Amerikaner, die ihm immer den Rücken gestärkt haben: Bleibt weiter hoffnungsvoll." Naomi Biden ist die Tochter von Bidens Sohn Hunter Biden.

Ein Wahljahr wie keines zuvor

Schon vor dieser größtmöglichen Komplikation war dieses US-Wahljahr eines, das auf allen Ebenen heraussticht, vor allem mit Blick auf den republikanischen Kandidaten. Mit Trump bewirbt sich ein verurteilter Straftäter um das höchste Amt im Staat. Als erster Ex-Präsident der Vereinigten Staaten wurde der Republikaner in einem Strafverfahren schuldig gesprochen - wegen der Verschleierung einer Schweigegeldzahlung an eine Pornodarstellerin. Im Wahlkampf hat das dem 78-Jährigen bislang nicht geschadet. Es laufen noch andere Strafverfahren gegen ihn - allerdings dürfte es vor dem Wahltag in diesen Fällen nicht mehr zum Prozess kommen.

Zu einer Eskalation im Wahlkampf kam es vor gut einer Woche, als ein Schütze auf einer Wahlkampfveranstaltung Trumps im Bundesstaat Pennsylvania vergangene Woche das Feuer eröffnete. Trump wurde bei dem Attentat am Ohr verletzt, ein Zuschauer kam ums Leben, zwei weitere wurden verwundet.

Bereits das jüngste US-Wahljahr 2020 war chaotisch gewesen. Trump akzeptierte seine Wahlniederlage gegen Biden damals nicht, sondern versuchte mit drastischen Mitteln, den Wahlausgang umzukehren. Sein Feldzug gipfelte damals in einem gewaltsamen Angriff seiner Anhänger auf das US-Kapitol, bei dem mehrere Menschen ums Leben kamen.

Harris will US-Präsidentschaftskandidatin werden

Nach dem dramatischen Rückzug von US-Präsident Joe Biden als Spitzenkandidat hoffen die US-Demokraten auf eine Wende im Wahlkampf gegen den Republikaner Donald Trump. Als aussichtsreichste Ersatzbewerberin vor der Abstimmung im November gilt die von Biden und zahlreichen weiteren Parteigrößen unterstützte gegenwärtige Vizepräsidentin Kamala Harris.

"Ich fühle mich geehrt, die Unterstützung des Präsidenten zu haben, und ich habe die Absicht, diese Nominierung zu verdienen und zu gewinnen", teilte die ehemalige kalifornische Generalstaatsanwältin und Ex-Senatorin mit. Die 59-jährige Harris ist die erste Schwarze, die den Eid als US-Vizepräsidentin abgelegt hat und gilt als schlagfertig und kämpferisch. Sie ist 19 Jahre jünger als Trump, machte an der Seite Bidens in der öffentlichen Wahrnehmung aber nicht immer eine gute Figur.

Die US-Vizepräsidentin schrieb zu Bidens Rückzug: "Mit dieser selbstlosen und patriotischen Tat tut Präsident Biden das, was er sein ganzes Leben lang getan hat: Er stellt das amerikanische Volk und unser Land über alles andere." Sein bemerkenswertes Vermächtnis an Errungenschaften sei in der modernen amerikanischen Geschichte unübertroffen und gehe über das Vermächtnis vieler Präsidenten hinaus, die zwei Amtszeiten absolviert hätten.

Im vergangenen Jahr sei sie durch das ganze Land gereist und habe mit den Amerikanern über die Wahl gesprochen, so Harris. "Und das werde ich auch in den kommenden Tagen und Wochen tun." Sie erklärte: "Wir haben noch 107 Tage bis zum Wahltag. Gemeinsam werden wir kämpfen. Und gemeinsam werden wir gewinnen."

Demonstrative Einheit für Harris

Der Austausch des designierten Spitzenkandidaten nur wenige Monate vor der US-Wahl und nur Wochen vor wichtigen Fristen in einigen Bundesstaaten ist für die Demokraten ein heikles Manöver. Nachdem Biden seiner Vize die volle Unterstützung zugesagt hatte, sprachen sich auch eine Reihe weiterer Parteigrößen zügig für sie aus - darunter vor allem die ebenfalls als mögliche Bewerber gehandelten Gouverneure Gavin Newsom (Kalifornien), Josh Shapiro (Pennsylvania) und Roy Cooper (North Carolina).

"Hart. Furchtlos. Hartnäckig. Angesichts unserer gefährdeten Demokratie und unserer ungewissen Zukunft gibt es niemanden, der besser geeignet ist, den Fall gegen Donald Trumps düstere Vision zu verfolgen und unser Land in eine gesündere Richtung zu führen, als die Vizepräsidentin der Vereinigten Staaten, Kamala Harris", schrieb der kalifornische Gouverneur Gavin Newsom auf der Plattform X.

Newsom, der selbst als möglicher Nachfolger Bidens gehandelt wurde, spielte damit auf Harris' Vergangenheit als Generalstaatsanwältin Kaliforniens an sowie darauf, dass der republikanische Spitzenkandidat Trump ein verurteilter Straftäter ist.

Auch der Gouverneur des für die Wahl immens wichtigen und umkämpften Bundesstaates Pennsylvania, Josh Shapiro, teilte mit, er werde alles tun, um Harris zu unterstützen. Ähnlich äußerte sich auch North Carolinas Gouverneur Roy Cooper. Die Gouverneurin des Swing States Michigan, Gretchen Whitmer, hatte ihre Kandidatur bereits ausgeschlossen. Sie hielt sich aber mit einer direkten Unterstützung für Harris noch zurück.

Vom linken Flügel der Partei bekam Harris Unterstützung von der Abgeordneten Alexandria Ocasio-Cortez. Auch Konkurrenz von der einflussreichen Gouverneurin von Michigan, Gretchen Whitmer, muss die Vizepräsidentin nach deren Verzicht nicht fürchten. Der ehemalige Präsident Barack Obama sprach dagegen nur von der Zuversicht, dass "ein herausragender Kandidat" gefunden werde.

Wenige Stunden nach Bidens Rückzug erschien die Chance zunächst gering, dass Harris einen ernsthaften innerparteilichen Konkurrenten bekommt. Nach Berichten einiger US-Medien erwägt der als Quertreiber bekannte Senator Joe Manchin, anzutreten. Chancen dürfte er nicht haben. Der Nominierungsparteitag der Demokraten findet Mitte August in Chicago statt. Ein Narrativ für das Duell der ehemaligen Staatsanwältin gegen den jüngst verurteilten Straftäter Trump dürfte für die Demokraten auf der Hand liegen.

Trump schäumt und spricht von "Betrug"

Donald Trump schien nach dem Rückzug Bidens wütend. Sein Team habe Zeit und Geld in "den Kampf gegen den betrügerischen Joe Biden" investiert. "Jetzt müssen wir wieder von vorn anfangen", schimpfte Trump auf der von ihm mitbegründeten Internet-Plattform Truth Social. Der 78-Jährige stellte eine Entschädigung der Republikaner für diesen "Betrug" an seiner Partei in den Raum.

Der 78-Jährige war beim Parteitag der Republikaner in Milwaukee vergangene Woche offiziell zum Kandidaten seiner Partei gekürt worden. Als Vizekandidat der Republikaner geht der Senator J.D. Vance ins Rennen. Der Parteitag inszenierte Trump nach dem Attentat auf ihn als Politiker, den die Schüsse verändert haben und der nun das tief gespaltene Land einen wolle.

In seiner eigenen Nominierungsrede fiel Trump allerdings in alte Muster zurück, warf den Demokraten Wahlbetrug vor und beleidigte seine politischen Gegner. Trump und die Republikaner hatten gehofft, bei der Wahl im November gegen Biden leichtes Spiel zu haben - zumal Trump unter seinen eigenen Fans nach dem überlebten Angriff geradezu Legendenstatus erreicht hat.

Vance: Harris hat Bidens Politik mitzuverantworten

Der US-Vizepräsidentschaftskandidat der Republikaner, J.D. Vance, hat nach dem Rückzug des Demokraten Joe Biden aus dem Präsidentschaftsrennen einen verbalen Angriff auf dessen Stellvertreterin Kamala Harris gestartet. "Joe Biden war der schlechteste Präsident meines Lebens, und Kamala Harris hat ihn auf Schritt und Tritt begleitet", schrieb Vance auf der Plattform X.

Er warf Harris vor, Bidens "Politik der offenen Grenzen und des grünen Betrugs" mitzuverantworten und behauptete, die Vizepräsidentin habe "fast vier Jahre lang über Bidens geistige Fähigkeiten gelogen". Er und der republikanische Präsidentschaftskandidat Donald Trump seien "bereit, Amerika zu retten, egal wer an der Spitze der Demokraten steht".

Respekt für Biden

Führende Demokraten sowie Staats- und Regierungschef aus der ganzen Welt zollten Biden Respekt für den bedeutenden Schritt. Der führende Demokrat im Senat, Chuck Schumer, würdigte Biden als großartigen Präsidenten und bemerkenswerten Menschen. "Seine Entscheidung war gewiss nicht leicht, aber er hat wieder einmal sein Land, seine Partei und unsere Zukunft an die erste Stelle gesetzt", schrieb Schumer in einer Stellungnahme. Der heutige Tag zeige, dass Biden "ein wahrer Patriot und großer Amerikaner" sei. First Lady Jill Biden (73) kommentierte den Rückzug ihres Ehemannes mit zwei Herzen auf der Plattform X.

Musk: Zeitpunkt von Biden-Rückzug war in Washington bekannt

Tech-Milliardär Elon Musk will über den Rückzug Joe Bidens aus dem US-Präsidentschaftsrennen Bescheid gewusst haben. "Ich habe letzte Woche gehört, dass er sich genau zu diesem Zeitpunkt zurückziehen würde. Das war in DC allgemein bekannt", schrieb Musk auf der Plattform X, die ihm gehört. "Die wirklichen Kräfte, die an der Macht sind, entledigen sich der alten Marionette zugunsten einer, die eine bessere Chance hat, die Öffentlichkeit zu täuschen. Sie fürchten Trump, weil er keine Marionette ist." Musk kommentierte den Online-Diskurs um Bidens Rückzug mit etlichen weiteren Beiträgen bei X.

Der Multimilliardär gehört zu den reichsten Menschen der Welt und hat schon mehrfach seine Unterstützung für den republikanischen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump kundgetan. Medienberichten zufolge soll diese Unterstützung im Wahlkampf nicht nur verbal, sondern auch finanzieller Art sein. Kurz nachdem Trump den Senator J.D. Vance als seinen Vize verkündet hatte, kommentierte Musk bei X: "Das klingt nach einem Sieg."

Deutsches Aufatmen nach Bidens Paukenschlag

Deutschlands Politikerinnen und Politiker verfolgen staunend die dramatischen Tage im US-Wahlkampf. Aus den Reaktionen auf den Rückzug des vom Alter geschwächten Amtsinhabers Joe Biden aus dem neuerlichen Rennen ums Weiße Haus spricht Erleichterung. Doch können die US-Demokraten den Wahlkampf noch drehen und Donald Trump als neuen Präsidenten verhindern?

Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) saß gerade auf USA-Reise nahe dem Weißen Haus mit Wahlkämpfern der Präsidentenpartei beim Essen, als die Nachricht von Bidens Schritt über die Handys in die Runde platzte. Wie sind erste Erkenntnisse zur aktuellen Lage aus deutscher Sicht?

"Bidens Entscheidung historisch"

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) schrieb auf der Plattform X, Bidens Entschluss, nicht noch einmal zu kandidieren, verdiene "Anerkennung". "Mein Freund @POTUS Joe Biden hat viel erreicht: für sein Land, für Europa, die Welt, schrieb Scholz auf der Plattform X. "Dank ihm ist die transatlantische Zusammenarbeit eng, die NATO stark, die USA ein guter und verlässlicher Partner für uns. Sein Entschluss, nicht noch einmal zu kandidieren, verdient Anerkennung." Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) zollte Biden "tiefe Hochachtung", CDU-Chef Friedrich Merz "größten Respekt". Heil sagte in einem dpa-Videointerview in Washington: "Die Nachricht von der Entscheidung Joe Bidens hat eine historische Bedeutung." Auch für Deutschland und Europa sei wichtig, dass das jetzt wieder "ein offenes Präsidentschaftsrennen" sei.

Bundesjustizminister Marco Buschmann nannte Biden eine "Ausnahmepersönlichkeit, die "seinem Land trotz schrecklicher persönlicher Schicksalsschläge seit vielen Jahrzehnten" diene. "Seine Entscheidung, selbst zu bestimmen, wann dieser Dienst endet, verdient größten Respekt", schrieb der FDP-Politiker bei X. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach meinte bei X: "Ein Segen. Biden zeigt Größe und verdient Respekt für diese Entscheidung. Jetzt kann der Wahlkampf wieder spannend werden".

Die aktuelle Kernfrage

Kurz vorher herrschte am Mittagstisch des Arbeitsministers noch ein ziemlicher Katzenjammer. Der Tenor bei dem halben Dutzend teils langjähriger Beraterinnen und Wahlkämpfer der US-Demokraten: Biden sei wegen seines Alters wohl nicht mehr in der Lage, einen erfolgreichen Wahlkampf zu führen. Dann sah der erste die Nachricht von Bidens Rückzug - und alle zogen ihre Handys heraus.

"Was für ein Moment", sagte Heil, der gerade über einem grünen Salat saß. Schlagartig änderte sich die Stimmung - jetzt im Fokus: die nächsten Schritte und die Chancen von Bidens Stellvertreterin und Wunschkandidatin Kamala Harris. Die aktuelle Kernfrage für Heil: "Schaffen die Demokraten einen Neustart in den nächsten Tagen oder brechen dort jetzt Kämpfe aus?"

"Kamala Harris kann kämpfen"

Die Demokraten wissen, dass der republikanische Herausforderer Trump sie gern als Chaos-Partei vorführen will - das wird deutlich. Und sie wollen alles tun, um das zu vermeiden. Zumindest in dieser Runde demokratischer Strippenzieher ist man sich einig: Mit Kamala Harris könne das gelingen. Der US-Leiter der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung, Knut Dethlefsen, meint, Harris könne kämpfen, könne "Abteilung Attacke" - genau das, was im Wahlkampf gegen Trump jetzt gebraucht werde. "Wir haben noch 102 Tage bis zur Wahl", stellt eine von Heils Gesprächspartnerinnen trotzig fest. Genug Zeit gebe es also noch.

"Das ist wieder ein offenes Rennen"

Heil gab zwar pflichtschuldig zu Protokoll, dass die Bundesregierung auch mit der Trump-Administration gut zusammengearbeitet habe und sich auf alle Szenarien einstelle. "Wir hoffen das Beste und müssen auch mit Schwierigem rechnen. Aber natürlich sind meine persönlichen Sympathien als Demokrat, als Sozialdemokrat, bei Kamala Harris."

Heil: "Ich hoffe, dass sie in der Lage sein wird, mit einer starken Kampagne auch zu gewinnen." Seine US-Gesprächspartner gingen davon aus, "dass jetzt ein Ruck durch die Partei gehen wird." Auch in anderen Staaten hätten Rechtspopulisten verloren und Demokraten gewonnen - in Frankreich etwa, in Großbritannien und in Polen. Heil: "Das macht Mut, dass auch diese Wahlen hier gut ausgehen können."

Auswirkungen auf Deutschland durch einen Sieg Trumps

Ukraine, Raketenschutz, Nato - für Deutschland und Europa habe das US-Wahlergebnis große Auswirkungen, sagte Heil. Eigentlich ist der Arbeitsminister in die USA gereist, um neue Ansätze für die Arbeitswelt mit Künstlicher Intelligenz (KI) zu sehen - und womöglich für Deutschland daraus Lehren zu ziehen.

Nächste Station von Heils US-Tour: Houston, Texas. Die US-Raumfahrtbehörde Nasa erforscht auch die Potenziale von KI auf der Erde. "Es geht darum, dass KI den Menschen dient und nicht umgekehrt", so Heil. Also, dass Menschen nicht wegrationalisiert werden und die Computer nicht die Oberhand gewinnen. Und auch hier - so findet der SPD-Minister - sei es entscheidend, wer künftig in den USA regiere. Denn generell wollten Rechtspopulisten meist volle Vorfahrt für den Markt ohne viel Rücksicht auf Menschen.

Transatlantik-Koordinator: Biden-Rückzug eröffnet Wahlrennen neu

Nach dem Rückzug von Joe Biden aus dem Rennen um die US-Präsidentschaft rechnet der Transatlantik-Koordinator der Bundesregierung mit einem spannenden Wahlkampf. "Bidens Ankündigung eröffnet das Rennen um die Präsidentschaft neu und bringt so eine grundlegend veränderte Dynamik in den Wahlkampf", teilte Michael Link (FDP) mit. Der Rückzug Bidens verdiene allergrößten Respekt. Link würdigte dessen Verdienste um die transatlantischen Beziehungen. "Gerade im sicherheitspolitischen Bereich hat er nichts unversucht gelassen, die Partnerschaft weitsichtig zu intensivieren und die Abschreckungsfähigkeit der Nato zu stärken, wie erst jüngst durch die Ankündigung der Stationierung von Marschflugkörpern in Deutschland."

Selenskyj: Biden hat ukrainischen Freiheitskampf unterstützt

Nach dem Rückzug von Joe Biden aus dem US-Präsidentschaftsrennen hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj seinem amerikanischen Amtskollegen seinen Dank ausgesprochen - auch im Namen seines Landes. "Die Ukraine ist Präsident Biden für seine standhafte Unterstützung des ukrainischen Freiheitskampfes dankbar", schrieb Selenskyj bei X. Biden habe auf herausfordernde Zeiten mit mutigen Schritten geantwortet und man respektiere seine schwere Entscheidung, sich nicht zur Wiederwahl zu stellen.

"Wir werden immer für die Führung von Präsident Biden dankbar sein. Er hat unser Land während der dramatischsten Momente der Geschichte unterstützt", schrieb Selenskyj weiter. Biden habe der Ukraine geholfen, den russischen Präsidenten Wladimir Putin davon abzuhalten, das Land zu besetzen, und die Ukrainer durch den "furchtbaren Krieg" hindurch weiter unterstützt. Man hoffe, dass die starke Führung Amerikas auch weiter dazu beitragen werden, dass das "Böse aus Russland" keinen Erfolg habe.

Die USA sind der stärkste Unterstützer der Ukraine gegen den seit Februar 2022 währenden russischen Angriffskrieg. Zuletzt gab der Kongress ein von Biden angestoßenes Milliardenpaket frei, mit dem Kiew weitere, dringend benötigte militärische Hilfe erhält.

Kreml zeigt sich erst einmal zurückhaltend

Kremlsprecher Dmitri Peskow erinnerte daran, dass Russlands Präsident Wladimir Putin Biden als berechenbaren Kandidaten eingestuft habe, der für Russland vorzuziehen sei. Aber: "Die Wahl ist noch vier Monate entfernt, und das ist eine lange Zeit, in der sich viel ändern kann", sagte Peskow mit Blick auf die US-Wahl im November "Wir müssen geduldig sein und genau beobachten, was als Nächstes passiert." Priorität für Russland habe, die Ziele des Angriffskriegs gegen die Ukraine zu erreichen.

Der Vorsitzende der Staatsduma Russlands, Wjatscheslaw Wolodin, forderte, Biden nunmehr zur Verantwortung zu ziehen. "Biden hat Probleme in der ganzen Welt und in seinem eigenen Land, den Vereinigten Staaten, geschaffen." Biden sollte nun "zur Rechenschaft gezogen werden: für den entfesselten Krieg in der Ukraine, die Zerstörung der Wirtschaft europäischer Länder, die Sanktionspolitik gegen Russland und andere Länder." Nach dem russischen Narrativ trägt der Westen die Schuld am russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine.

Netanjahu beginnt USA-Besuch im Wirbel um Biden-Rückzug

Mitten im Wirbel um den Rückzug von US-Präsident Joe Biden aus dem Rennen um eine weitere Amtszeit reist Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu heute zu einem offiziellen Besuch in die Vereinigten Staaten. Es sei noch "zu früh", um sagen zu können, welche Folgen Bidens Entscheidung für Israels Kriegsführung im Gazastreifen haben könnte, zitierte die "Washington Post" eine Quelle in Netanjahus Büro. Laut israelischen Medienberichten soll ein für Dienstag angesetztes Treffen mit Biden wie geplant stattfinden.

Biden und Netanjahu waren zuletzt im vergangenen Herbst in Tel Aviv persönlich zusammengekommen, kurz nach dem Massaker der islamistischen Hamas am 7. Oktober in Israel, das den Gaza-Krieg ausgelöst hatte. Bei dem nun geplanten Gespräch mit Biden soll es nach Medienberichten vor allem um die Bemühungen um eine Waffenruhe und eine Freilassung der Geiseln im Gegenzug für die Freilassung palästinensischer Häftlinge gehen. Kurz vor seiner Abreise entschied Netanjahu, am Donnerstag eine Delegation nach Katar zu schicken.

WASHINGTON (dpa-AFX) / FRANKFURT (dpa-AFX)

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