29.04.2019 22:33:41
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BERLINER MORGENPOST: Europas rechte Welle / Leitartikel von Michael Backfisch zur Wahl in Spanien
Der vollständige Leitartikel: Nun also auch Spanien. Jahrzehntelang schien das Land immun zu sein gegen die Versuchungen rechtspopulistischer Parteien. Die Erinnerungen an die Schrecken der 1975 zu Ende gegangenen Franco-Diktatur wirkten nach. Spanien war offenbar eine Insel der Seligen. Bis zum vergangenen Sonntag. Die rechts außen angesiedelte Vox-Partei schaffte bei den Wahlen den Sprung ins Parlament - und zwar mit einem zweistelligen Ergebnis. Damit schwappt die rechtsnationale Welle Europas auch auf die Iberische Halbinsel über. In Rom (Lega), Wien (FPÖ) und Athen (Anel) und etlichen mittel- und osteuropäischen Ländern sitzen verwandte Gruppierungen bereits in der Regierung. Auch zur AfD hat Vox Verbindungen. Man sollte sich davor hüten, der erst 2013 gegründeten Partei lediglich das Etikett "rechtsextremistisch" oder "neonazistisch" zu verpassen. Das wäre zu einfach. Vox ist es vielmehr gelungen, bei dem Thema, das die Spanier am meisten elektrisierte - dem Katalonien-Konflikt -, viele Wähler zu mobilisieren. Die Partei hat den Versuch des sozialistischen Ministerpräsidenten Pedro Sánchez, ein Kompromiss-Paket mit mehr Autonomie für die Katalanen zu schnüren, als "Verrat" angeprangert. Bei etlichen Bürgern stieß diese radikale Linie auf Resonanz. Die Flüchtlingspolitik ist ein weiteres Feld, auf dem Vox punkten konnte. Seit Italien die Häfen dichtmacht, drängen die Migranten aus Afrika vor allem über Marokko nach Spanien. Das Argument der Rechtspopulisten: Mehr als 95 Prozent der Gestrandeten werden nicht als Flüchtlinge anerkannt, aber nur wenige abgeschoben. Vor diesem Hintergrund hat Premier Sánchez seine Willkommenspolitik zwar heruntergedimmt. Doch der Vorsitzende von Vox, Santiago Abascal, besetzte das Thema immer wieder mit scharfmacherischen Tönen. Die Abschottungspolitik ist die große gemeinsame Schnittmenge mit den anderen rechtspopulistischen Parteien in Europa. Vox-Chef Abascal hat hier zwei Vorbilder: Italiens Innenminister Matteo Salvini und Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán. Auch mit Blick auf Brüssel befindet er sich auf einer Wellenlänge mit Salvini & Co.: Der Nationalstaat geht vor, Verpflichtungen gegenüber der EU rangieren dahinter. Spanien droht nun eine Fortsetzung der seit 2016 andauernden innenpolitischen Patt-Situation. Weder der Mitte-links-Block mit Sozialisten und linkspopulistischer Podemos noch der Mitte-rechts-Block mit Konservativen, rechtsliberalen Ciudadanos und Vox kommen auf eine absolute Mehrheit an Sitzen. Sánchez strebt nun als Chef der stärksten Partei eine geduldete Minderheitsregierung an. Dies wird mühsam und dauert. Die neuen Partner dürften die alten sein: die linksalternative Podemos und die kleinen Regionalparteien. Ein derartiges Bündnis ist per se wackelig; die Teilnehmer werden einen hohen Preis verlangen. Sind die katalanischen Separatisten mit im Boot, besteht zudem die Gefahr, dass sich Sánchez im Räderwerk der politischen Kompromissmaschinerie aufreibt. Der Katalonien-Konflikt ist ein so heißes Eisen, dass sich derzeit jeder daran die Finger verbrennen muss. Was den einen zu viel ist - weitgehende Autonomie -, ist den anderen zu wenig. Es waren schließlich die Katalanen, die sich im Februar bei Sánchez' Haushaltsentwurf querlegten und damit Neuwahlen erzwangen. Für die EU bedeutet das nichts Gutes. Europa, das bereits durch das Brexit-Chaos geschwächt ist, hat im Süden eine weitere Zone von Instabilität. Das wiederum dürfte auf mittlere Sicht die Rechtspopulisten stärken, die groß im Verkaufen einfacher Lösungen sind.
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