19.06.2014 21:38:49
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APA ots news: Wirtschaftspolitik muss internationaler und strategischer werden
Wien (APA-ots) - Anlässlich des Jahrestreffens der führenden
europäischen Wirtschaftsforschungsinstitute skizzierte der Leiter des
WIFO Prof. Karl Aiginger eine verstärkte internationale und
strategische Orientierung der Wirtschaftspolitik, um die
Herausforderungen der nächsten Jahrzehnte zu bewältigen. Verschiedene
Elemente der Wirtschaftspolitik müssen immer mehr kombiniert und
miteinander in Einklang gebracht werden, um Synergien zu nutzen und
Kosten zu senken. Industriepolitik wird immer mehr auch zur Bildungs-
und Innovationspolitik, sie soll gesellschaftliche Ziele stärker
einbeziehen und muss vermehrt an langfristigen Zielen orientiert
werden. Überdies ist, so Aiginger, der Anteil der nur global zu
lösenden Probleme gestiegen, und wirtschaftliche Eingriffe in jeder
Region haben Folgewirkungen auf andere Länder.
Die OECD geht in ihrer Projektion der langfristigen
Weltwirtschaftsentwicklung von einem über die Jahrzehnte abnehmenden
Wachstum des technischen Fortschrittes in den Industrieländern aus.
Dies bedeutet in Kombination mit der Alterung der Bevölkerung, dass
sich der Anteil der heutigen OECD-Länder an der weltweiten
Wertschöpfung von derzeit 57% auf 39% im Jahr 2060 verringern wird.
Im selben Zeitraum werden China und Indien ihren Anteil von 19% auf
28% erhöhen, die Schwellenländer zusammen von 43% auf 61%. Obwohl
sich die Wirtschaftsdynamik weltweit und in den Industrieländern
besonders stark abschwächen wird, werden sich die CO2-Emissionen bis
2060 verdoppeln, und die Erderwärmung wird - ohne Gegensteuerung -
bis 2060 im Durchschnitt der Szenarien 3GradC betragen.
Beim Jahrestreffen der führenden Wirtschaftsforschungsinstitute in
Paris wurden die möglichen Reaktionen der Wirtschaftspolitik auf
diese langfristigen Entwicklungstrends diskutiert. Sowohl die
Experten und Expertinnen der OECD als auch der Institute aus den USA,
Europa, Japan und Brasilien betonten dabei die Notwendigkeit, aber
auch die Chancen der Wirtschaftspolitik, diese langfristigen
Entwicklungen zu beeinflussen. Zu diesem Zweck ist eine verstärkt
strategische und internationale Perspektive notwendig. Sie muss auch
die Folgen wirtschaftspolitischer Handlungen eines Landes auf andere
mit berücksichtigen. Sowohl in dem Projekt "New Perspectives" der
OECD als auch in dem von der Europäischen Kommission beauftragten
Forschungsprogramm "WWWforEurope - Welfare, Wealth and Work for
Europe" sind diese internationalen Zusammenhänge ein wichtiger Teil
der Rahmenbedingungen, an denen sich langfristige strategische
Überlegungen von Ländern und Regionen orientieren sollen. Die OECD
bietet auch ein System von Wohlfahrtsindikatoren an (Better Life
Indicators), an dem Länder sowohl ihren Fortschritt messen als auch
sich mit anderen Ländern vergleichen können.
Der Leiter des WIFO Prof. Dr. Karl Aiginger hielt auf dieser
Tagung ein Referat über das Zusammenspiel wirtschaftspolitischer
Strategien verschiedener Länder mit dem Titel "Strategien zur
Reindustrialisierung von Industrieländern". Er diskutierte vor allem
die Vor- und Nachteile unterschiedlicher strategischer Ansätze zur
Reindustrialisierung von Ländern. Jedes Land kann versuchen, die
Faktoren, die die künftige Wettbewerbsposition verbessern, zu
forcieren oder bei gegebenen Strukturen eine günstigere
Kostenposition zu erreichen. Anhand der Entwicklung in Südeuropa kann
dabei gezeigt werden, dass besonders in Strukturkrisen beide
Strategien notwendig sind. Einerseits mussten Griechenland, Spanien
und Portugal die Lohnkosten an die schwache Produktivitätsentwicklung
anpassen, andererseits reichte diese Strategie allein aber nicht aus,
um das Wirtschafts- und Beschäftigungswachstum zu stärken oder gar um
die Staatsschulden abzubauen.
Die notwendigen Bedingungen für eine Wirtschaftsbelebung in
Südeuropa sind Unternehmensgründungen, eine Verbesserung der
Verwaltungsstrukturen, politische Reformen und eine Steigerung der
Attraktivität für internationale Investoren. Die Strategie muss auch
berücksichtigen, dass jederzeit andere Länder versuchen werden, die
Position in der internationalen Arbeitsteilung zu übernehmen, sodass
sich der Konkurrenzdruck erhöht. Eine langfristige
Wirtschaftsstrategie für ein Land in einer Strukturkrise muss daher
die Stärken des Landes definieren, die auch bei verschärfter
Preiskonkurrenz längerfristig gegeben sind.
Führende Industrieländer müssen Wettbewerbsstärken entwickeln, die
ihre Wohlfahrtsposition verbessern und auf dem hohen Innovations- und
Qualifikationsniveau aufbauen, das nur in Industrieländern verfügbar
ist. Eine stabile hochqualifizierte Industrie ist dafür ein
notwendiger Bestandteil, da hier der größte Teil der
Forschungsausgaben getätigt wird. Eine technologische
Vorreiterposition u. a. im Bereich neuer Energien und Vermeidung von
Treibhausgasemissionen eröffnet Exportchancen und die Ausbreitung der
neuen Technologien durch Auslandsinvestitionen auf dynamischen
Märkten. Die Erschließung billiger Energie - etwa durch Förderung von
Schiefergas - verbesserte laut Aiginger zwar die Kostenposition und
erhöhte den Anteil der energieintensiven Industrie in den USA; da
jedoch die USA bereits einen Exportüberschuss im Handel mit
energieintensiven Produkten und ein Defizit im Bereich der
Technologiegüter aufweisen, wird der Beitrag von
Energiekostensenkungen zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der
Industrie der USA begrenzt sein. Die Ausweitung der Erdöl- und
Gasförderung in den USA dämpft die Energiepreise und steigert den
Export von Kohle nach Europa. Der Umstieg auf erneuerbare
Energieträger wird sowohl in den USA als auch in Europa dadurch
weniger attraktiv.
Gerade im Umweltbereich hat dabei die Vernetzung der Konsequenzen
von Handlungen in einer Region für eine andere zugenommen, sodass
eine gemeinsame Strategie zur Senkung der CO2-Emissionen, besonders
angesichts der OECD-Szenarien zur Klimaerwärmung, sinnvoll wäre. Auch
wenn aktuell die Emissionen am stärksten in den rasch expandierenden
Volkswirtschaften in Asien steigen, ist eine Vorreiterposition der
Industrieländer in der Umweltpolitik notwendig, um Innovationen in
Umwelttechnologien zu fördern und anschließend über internationale
Verträge die Verbreitung der effizientesten Umwelttechnologien zu
beschleunigen. Eine technologische Vorreiterposition könnte auch den
Verlust von Marktanteilen der Industrieländer dämpfen, insbesondere
wenn Europa sein Defizit im Forschungsbereich verringert und das
Bildungssystem verbessert. Hohe Innovationsausgaben und
Energieeffizienz sowie hervorragendes Humankapital sind die beste
Absicherung gegen die Konkurrenz der Schwellenländer.
Abbildung 1: Wirtschaft der Schwellenländer in 50 Jahren größer als
die der Industrieländer - auf der WIFO-Website
(http://www.wifo.ac.at/wwa/pubid/47264)
Rückfragehinweis:
Rückfragen bitte am Freitag, dem 20. Juni 2014, zwischen 8 und 15 Uhr an
Prof. Dr. Karl Aiginger, Tel. (1) 798 26 01/210, Karl.Aiginger@wifo.ac.at
Digitale Pressemappe: http://www.ots.at/pressemappe/235/aom
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OTS0073 2014-06-19/21:33
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